Betr.: "Das Zeitalter der Extreme"
„Eines der unheimlichsten Phänomene unserer Zeit“, schreibt Eric Hobsbawm in seinem Buch „Das Zeitalter der Extreme“, sei die Zerstörung der Vergangenheit. “Die meisten jungen Menschen am Ende dieses Jahrhunderts wachsen in einer Art permanenter Gegenwart auf [...].“ Für ihn und seine Generation hingegen, deren Lebenszeit beinahe das gesamte Jahrhundert umfasst, sei die “Gegenwart Teil (ihrer) permanenten Erfahrung“. Zum Teil haben sie noch den Ersten Weltkrieg und die Schlächterei des Stellungskriegs erlbt, dessen Brutalität, wie allzuoft vergessen wird, eine ganze Generation nachhaltig traumatisiert und den alten Kontinent in seinen Grundfesten erschüttert hat. Ohne den Ersten Weltkrieg lässt sich weder der Sieg der Bolschewiki in Russland noch der Faschismus und die Regierungsübernahme Hitlers noch der Zweite Weltkrieg verstehen. Angesichts der Schrecken des Krieges nimmt es nicht Wunder, dass nur wenige Beobachter in den zwanziger Jahren an ein Überleben des demokratischen Systems glaubten. Die Weltwirschaftskrise und der Erfolg der Fünfjahrespläne in der SU taten ein übriges. Paradoxerweise aber war es die Sowjetunion, die dem liberalen Kapitalismus zu Hilfe eilte: Zunächst half sie Nazi-Deutschland zerschlagen, anschließend zwang sie den Kapitalismus zur Selbstreform, um die Arbeiterbewegung gesellschaftlich einzubinden. Eric Hobsbawms großer Überblick über die Geschichte unseres Jahrhunderts, die in Deutschland 1995 erfolgreich publiziert wurde, erscheint nun, mit Jahren Verspätung, auch in französisher Sprache: Mit Unterstützung von „Le Monde diplomatique“ erscheint „Das Zeitalter der Extreme“ dieser Tage im belgischen Verlag Éditions complexe. In einem Vorwort, das wir im folgenden auszugsweise abdrucken, spricht Hobsbawm über das lange Schweigen der französischen Verlagswelt. A. G.