08.04.2011

REPORTER OHNE GRENZEN FÜR PRESSEFREIHEIT Meldungen des Monats

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REPORTER OHNE GRENZEN FÜR PRESSEFREIHEIT Meldungen des Monats

Schlechte Nachrichten

Ein neues Stadium hat die Einschränkung der Publikationsfreiheit in der Türkei erreicht. Auf Anordnung eines Staatsanwalts fahndet die Polizei seit dem 24. März nach einem unveröffentlichten Buchmanuskript des Journalisten Ahmet Sik, das die Beziehungen zwischen der türkischen Polizei und der islamischen, der AKP-Regierung nahestehenden Gülen-Bewegung behandelt. Durchsucht wurden der Verlag, das Büro von Siks Anwalt und die Redaktion der Zeitung Radikal, wo der PC des Journalisten Ertugrul Mavioglu beschlagnahmt wurde. Nachdem die Aktion erfolglos blieb, erklärte die Polizei, wer eine Kopie des Skripts besitze und diese nicht den Behörden aushändige, werde nach dem Antiterrorismusgesetz Nr. 3713 verfolgt. Unter Berufung auf dieses und andere Gesetze hat sich auch die Verfolgung von kurdischen Journalisten und Autoren wieder erheblich verschärft. Allein im März wurden sechs Personen angeklagt, zuletzt der Radikal-Journalist Mavioglu, der ein Interview mit PKK-Chef Karayilan veröffentlicht hatte. Nach der gleichen Anklage wurde am 24. März Hakan Tahmaz, ein Journalist der Zeitung Birgün, zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt.

Seit über einem Monat sitzt in Simbabwe ein Internetnutzer in Haft, weil er seine Meinung auf der Facebook-Seite von Ministerpräsident Morgan Tsvangirai geäußert hat. Vikas Mavhudzi hatte die Ereignisse in Ägypten als „nachahmenswert“ bezeichnet, weil sie den Diktatoren in aller Welt Angst machten. Ein Richter versagte Mavhudzi die Freilassung gegen Kaution, weil er eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darstelle. In Simbabwe stehen insgesamt 45 Personen unter Anklage, weil sie Videos über die ägyptische Protestbewegung an einem öffentlichen Ort angesehen haben.

Nach einem Bericht der Nachrichten-Website Lenta.ru hat in Russland die Aufsichtsbehörde für Informationstechnologie und Massenmedien (Roskomnadsor) einen Wettbewerb für ein Softwareprogramm ausgeschrieben, das Onlinemedien nach „extremistischen“ Inhalten durchsuchen kann. Die Programme sollen bis 15. August eingereicht und anschließend von der Behörde getestet werden. Aufgespürt werden sollen damit terroristische Aufrufe und Nazisymbole, aber auch Inhalte, die „der Einheit Russlands abträglich“ sind oder „sozialen Zwist“ anheizen könnten. Mithilfe eines solchen Programms könnte das Internet in Russland ebenso systematisch gefiltert werden wie schon heute in China.

Gute Nachrichten

Die Oberste Staatsanwaltschaft der Ukraine hat offizielle Ermittlungen gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Leonid Kutschma eröffnet, der seit langem im Verdacht steht, im Herbst 2000 die Ermordung des oppositionellen Journalisten Georgi Gongadse angeordnet zu haben. Am 22. März teilte Vizegeneralstaatsanwalt Renat Kusmin mit, man ermittle wegen „Amtsmissbrauchs“ und „illegaler Befehle“ an Mitarbeiter des Innenministeriums. Bis Abschluss der Untersuchung darf Kutschma die Ukraine nicht verlassen. Ob es zu einer Anklage gegen ihn kommt, ist allerdings völlig offen.

Le Monde diplomatique vom 08.04.2011