13.04.2007

Francos Schatten

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Francos Schatten

Zapatero sucht den Weg in Spaniens Zukunft von José Manuel Fajardo

Die sozialistische Regierung Zapatero ist nun seit drei Jahren im Amt. Genauso lange hatte es keinen Mordanschlag der ETA mehr gegeben – bis am 30. Dezember eine Bombe am Madrider Flughafen Barajas explodierte und zwei Menschen dabei starben. Das Attentat trübte die Erfolgsbilanz des Ministerpräsidenten: Der Kampf gegen die Korruption zeigte Erfolge, die Wirtschaft wuchs kräftig, und die Arbeitslosenrate war zuletzt 1979 so niedrig gewesen.

Dennoch wird von Seiten der oppositionellen rechten Partido Popular (PP) unter lautem Geschrei die politische Apokalypse beschworen: Spanien, so wird behauptet, sei als Nationalstaat in Auflösung begriffen. Die Regierung wird angeklagt, die Terroristen zu stärken und Opfer des Terrorismus zu verraten. Zudem suggeriert die Opposition, dass die Sozialisten Teil einer Verschwörung waren, die – in geheimem Einverständnis mit der ETA und dem islamischen Terrorismus – den Sieg der Rechten bei der Wahl 2004 verhindert habe.

Wie kommt es dazu, dass sich die rechte Opposition auf so einen aberwitzigen Kreuzzug gegen die Regierung begibt? Beim Wüten der Opposition spielen zweifellos politischer Opportunismus eine Rolle – und die Unfähigkeit, politische Verantwortung für die Wahlschlappe von 2004 zu übernehmen. Aber die kompromisslose Kritik der PP an dem dialogbereiten Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero, die bei weitem die üblichen taktischen Manöver des politischen Alltagsgeschäfts überschreitet, legen eine weitere Vermutung nahe.

Die spanische Demokratie entstand als Vereinbarung entgegengesetzter Kräfte, die in der Franco-Ära entweder die Diktatur oder den Widerstand unterstützten: 1977 vereinbarten sie einen konstitutionellen demokratischen Rahmen, der das Nebeneinander der unterschiedlichen politischen Sensibilitäten erlaubte. Aber dabei wurde auch ausgeschlossen, dass diejenigen, die sich an der Diktatur beteiligt und durch sie bereichert hatten, zur Rechenschaft gezogen werden konnten.

Nach fast vierzig Jahren der Unterdrückung, in denen Zehntausende von politischen Gefangenen hingerichtet und Tausende gefoltert und eingesperrt wurden, Hunderttausende ins Exil gingen, wurde niemand, absolut niemand für eine derartigen Machtmissbrauch, für so viel Schmerz und Tod zur Verantwortung gezogen. Die historische Erinnerung wurde eingefroren, in der Erwartung, dass sich die Wunden von selbst schließen würden. Die repressiven Kräfte, die unter dem Franco-Regime gewirkt hatten und die auch in der neugeborenen Demokratie Teile von Militär und Polizei stellten, wachten darüber wie ein ominöser Schatten.

In der „Transición“, der Periode des politischen Übergangs von 1975 bis 1982, akzeptierten die Sieger des Spanischen Bürgerkriegs, die Verlierer nicht länger zu verfolgen. Als Gegenleistung erhielten sie die Zusage, dass die Verlierer ihnen nicht die Rechnung aufmachen würden. In genau diesem historischen Moment liegt die Ursache der aktuellen politischen Krise Spaniens.

Doch das grundsätzliche Problem, das seit dem Ende des spanischen Kolonialreichs im Jahre 1898 bestand, wurde noch nicht gelöst: dem Staat eine definitive Struktur zu geben. Während der Periode der Zweiten Republik (1931–1939) waren erste Schritte unternommen worden, ein modernes Staatswesen mit Autonomiestatuten für Katalonien und das Baskenland zu schaffen. Aber mit dem Bürgerkrieg und dem Sieg Francos waren diese Statuten nicht mehr das Papier wert, auf das sie geschrieben waren. Die Diktatur war besessen von der Idee der Einheit Spaniens und unternahm deshalb nichts, was die Nationalitätenfrage hätte lösen können.

So war es nicht überraschend, als die Verfassung von 1978 von den baskischen Nationalisten abgelehnt wurde. Die neuen, auf der Grundlage dieser Verfassung ausgearbeiteten Autonomiestatute waren kontrovers. Für die Rechte bedeuteten sie das Höchstmaß an regionaler Selbstverwaltung, das sie zu akzeptieren bereit war. Für die Nationalisten waren sie nur der erste Schritt auf dem Weg zur Selbstverwaltung, die nach Meinung der radikalsten Kräfte mit der Unabhängigkeit Kataloniens und des Baskenlands enden würde. Wegen der Drohung des Militärs mit einem Staatsstreich (der 1981 tatsächlich versucht wurde und scheiterte) setzte sich am Ende die Minimalversion von einem Staat der Autonomien durch.

Terrorismus als Perpetuum mobile

Weil niemand die Verantwortung für vier Jahrzehnte Diktatur übernommen hatte, weil die alten Unterdrücker nach wie vor im Polizei- und Militärapparat dienten und die Umsetzung des Autonomiestatuts umstritten blieb, betrachtete eine Minderheit der baskischen Bevölkerung die Demokratie als geschönte Verlängerung der Diktatur. Diese Minderheit war aber prozentual doch recht groß und reichte aus, um in den Augen der ETA das weitere Bestehen der Terrororganisation zu legitimieren.

Die ETA war während der Franco-Diktatur entstanden, den größten Teil ihrer Verbrechen beging sie allerdings in der Demokratie. Zwischen 1976 und 1987 führten Mitglieder der extremen Rechten und einige Staatsorgane gegen sie die „Guerra súcia“, den schmutzigen Krieg mit Mitteln wie Folter, Entführung und Mord. Die ersten demokratischen Regierungen, sowohl rechte als auch linke, waren machtlos dagegen oder nahmen diese Aktionen hin. Teilweise fanden sie gar unter dem Schutz der Regierung statt: Ein ehemaliger Innenminister der sozialistischen Regierung von Felipe González wurde deshalb später zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Die großen politischen Probleme aus dem Erbe des Franquismus sind also geblieben: die terroristische Gewalt, die Auseinandersetzung über die endgültige Rolle der Autonomien innerhalb der staatlichen Struktur und die historische Aufarbeitung der Diktatur. Zapatero versuchte innerhalb von drei Regierungsjahren Lösungen dafür zu finden. Inzwischen ist die Generation des Bürgerkriegs fast gänzlich verschwunden, die ETA ist nach Jahren effizienter politischer und gesetzlicher Verfolgung umstellt und der schmutzige Krieg seit zwanzig Jahren vorbei. Die spanische Rechte reagiert wütend auf die Suche nach neuen Lösungen. Diese Initiative sei, so Gabriel Elorriaga, der Pressesprecher der PP, „eine zweite Transición, eine historische Revision der Transición, des konstitutionellen Modells, des Autonomiestatuts und der antiterroristischen Politik“.

Zapatero bemüht sich, die spanische Demokratie von den letzten durch den Franquismus geschaffenen Fesseln zu befreien. Die Opposition der PP zeigt, wie stark die gefühlsmäßige und ideologische Bindung der spanischen Rechten an die diktatorische Vergangenheit noch immer ist. So hat sie sich auch immer geweigert, die Diktatur ausdrücklich zu verurteilen.

Zapatero und seine Regierung haben drei große politische Initiativen in Angriff genommen. Dazu kommt noch der Schlag gegen das katholische Moralmonopol, auch das ein Erbstück des Franquismus, wenn er die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen anstrebt. Zunächst versucht Zapatero die Reform des Autonomiestatuts, mit der die Möglichkeiten der Selbstverwaltung innerhalb des spanischen Staates erweitert werden. Damit soll den Bestrebungen der katalanischen und baskischen Nationalisten Rechnung getragen und eine nationale Einheit gefestigt werden, die mehr auf politischer Übereinstimmung basiert denn auf gesetzlichen Vorgaben.

Zum Zweiten hat er einen Friedensprozess mit der ETA in Gang gesetzt, der auf ein endgültiges Ende der Gewalt und eine Bekräftigung des Waffenstillstands abzielt, den die ETA am 22. März 2006 erklärt hat. Und drittens ist das Gesetz zum historischen Gedenken („Ley de la Memoria Histórica“) in Arbeit. Bei diesem Gesetz geht es nicht um die gerichtliche Verfolgung der Täter des Franco-Regimes, sondern vielmehr um die angemessene Würdigung der Opfer der Diktatur. So sollen alle franquistischen Gerichtsurteile für ungültig erklärt und die Toten aus den anonymen Massengräbern exhumiert und identifiziert werden.

Bei diesen Initiativen konnte Zapatero nicht nur auf die Unterstützung seiner eigenen sozialistischen Partei (PSOE), sondern auch auf die der Izquierda Unida (IU, der Vereinigten Linken) und der Ezquerra Republicana de Catalunya (der unabhängigen republikanischen Linken aus Katalonien) zählen, obwohl diese Kräfte durchaus nicht in allen Punkten einig sind. Auch die nationalistische, zentrumsorientierte Rechte in Katalonien (Convergencia i Unió) wie im Baskenland (Partido Nacionalista Vasco) unterstützte ihn punktuell bei seinen Vorhaben. Von diesem breiten parlamentarischen Bündnis werden 57 Prozent der Wähler repräsentiert. Dem gegenüber stehen 37 Prozent, auf die sich die PP stützt. Diese Partei verweigert nicht nur die Teilnahme an den genannten Initiativen, sondern sie blockierte und boykottierte, wo sie nur konnte.

Dabei nutzte sie zum einen das spanische Wahlsystem aus, das ihr fünf Prozent mehr Sitze im Parlament zubilligt, als ihr nach den Wählerstimmen zustünden. Zum anderen bediente sie sich der konservativen Mehrheiten in einigen Staatsorganen, wie zum Beispiel dem „Consejo General del Poder Judicial“, dem obersten Gerichtshof, wo die Mehrheitsverhältnisse noch aus der Amtszeit des PP-Ministerpräsidenten José María Aznar stammen.

Die Radikalisierung der Konservativen

Die Zwischenbilanz für alle drei Initiativen fällt recht unterschiedlich aus. Das Gesetz zum historischen Gedenken hat noch keine konkrete Form angenommen, ein Entwurf wurde von der Rechten komplett zurückgewiesen und von der Izquierda Unida und der katalanischen Ezquerra Republicana als zu zaghaft kritisiert. Die Reform des katalanischen Autonomiestatuts ist vorangeschritten. Trotz des Gezeters der Rechten werden die Möglichkeiten der Selbstverwaltung wesentlich erweitert. Für die anderen Regionen dient es als Vorbild. Die Reform des baskischen Autonomiestatuts ist seit dem ETA-Attentat vom Dezember blockiert.

Sicher ist, dass sich die Führung der PP nach der Wahlniederlage im März 2004 auf eine radikale und unnachgiebige Haltung festgelegt hat. Sie hat versucht, dem Wahlergebnis die Legitimität abzusprechen und jegliche Zusammenarbeit mit der Regierung abgelehnt. Ihre Strategie dabei war, von vornherein maximalistische Forderungen zu stellen. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit der PP wird es nur geben, wenn die sozialistische Regierung deren Forderungen widerspruchlos akzeptiert.

Hinter dieser extremen Unnachgiebigkeit steckt ein wahltechnisches Kalkül, das mit Sicherheit nicht aufgehen wird. Die PP will Zapatero wegen des gescheiterten Friedensprozesses als unfähigen Regierungschef darstellen, der die Sicherheit Spaniens gefährdet. Dann würde, so hofft sie, die Stimmung zugunsten der Konservativen umschlagen. Aber hinter dem Verhalten der Führungsriege der PP ist eine politische Haltung erkennbar, die eher zu einer rechtsextremen als zu einer zentristischen Partei passt.

Ein Grund für einen derartigen politischen Selbstmord ist die Unfähigkeit der gegenwärtigen Parteiführung. Es ist dieselbe Führung, die die islamistische Gefahr nicht wahrnehmen wollte, nachdem sie Spanien in den Irakkrieg verwickelt hatte – im Attentat am 11. März 2004 wurde sie zur schrecklichen Gewissheit. Ein weiterer Grund ist das politische Identitätsproblem der Rechten, das sie seit ihrer Wahlschlappe im Jahre 1982 mit sich herumschleppt. Die damalige Zentrumspartei UCD (Unión de Centro Democrático), gegründet von Adolfo Suárez, wurde nach ihrer ersten Legislaturperiode abgewählt. 1989 wurde die Partido Popular gegründet, in der sich ein Teil der alten UCD und die postfranquistische Rechte der Alianza Popular zusammenschlossen. Chef der Alianza Popular war damals Manuel Fraga, der in den 1960er-Jahren Minister unter Franco war und heute Ehrenvorsitzender der PP ist. Ein positiver Effekt der Vereinigung war, dass die extreme Rechte durch eine konservative Partei in die politische Mitte manövriert wurde. Dies eröffnete die Möglichkeit, die Ultrarechten aus dem alten Regime auszuschalten, die in den ersten Jahren der Demokratie eine konstante Bedrohung darstellten.

1996 kehrte dann die spanische Rechte in die Regierungsverantwortung zurück und konnte im Jahr 2000 unter Aznar sogar die absolute Mehrheit erringen. In den USA kam gleichzeitig mit George W. Bush ein weltanschaulicher Bündnispartner an die Macht. Auf solche politischen Erfolge stützt sich die Fraktion der extremen Rechten, die in den drei Jahren der Opposition das Übergewicht bekommen hat. Schützenhilfe bekommt diese Fraktion zudem von der katholischen Kirche Spaniens sowie von den militanten Katholiken innerhalb der PP – Leuten wie Angel Acebes von der ultrakonservativen Ordensgemeinschaft Legionarios de Cristo (Legionäre Christi) Das geht so weit, dass im Falle einer erneuten Wahlniederlage der PP eine neuerliche Abtrennung des Rechtsaußenflügels der Partei nicht auszuschließen ist. Die PP könnte dann in die politische Mitte zurückkehren.

Trotz des politischen Klimas in Spanien und des Anschlags der ETA ist der Friedensprozess unumgänglich, wenn die Reform des baskischen Autonomiestatuts nicht gefährdet werden soll. Und diese Reform ist der einzige Weg, um eine Formel im Rahmen des spanischen Nationalstaats zu finden, die allen Empfindlichkeiten der baskischen Gesellschaft Rechnung trägt. Der Abbruch des Friedensprozesses bedeutet für Zapatero ein schweres Handicap bei seinem Versuch, das franquistische Erbe innerhalb der spanischen Demokratie zu beseitigen.

Zwei Faktoren werden die Ergebnisse der Wahlen 2008 entscheidend beeinflussen: Erstens, ob es Zapatero gelingt, ein breites politisches Spektrum zusammenzubringen, das seine politischen Initiativen unterstützt. Zum anderen, ob die die PP genug politische Willenskraft aufbringt, um sich von der Last der extremen Rechten in ihren eigenen Reihen zu befreien. Die Kommunalwahlen im kommenden Mai werden ein erster Test sein. Auf jeden Fall wird die baskische Frage, die zweifellos schon zu einer Frage des spanischen Nationalstaats geworden ist, auch weiterhin ein Prüfstein für die spanische Demokratie sein. Das ist der ETA nur allzu bewusst, und genau das ist ihre einzige Trumpfkarte. Deswegen bedeutet die Schwächung der antiterroristischen Politik der Regierung durch die Opposition eine tatsächliche Stärkung der Terrororganisation.

In den politischen Auseinandersetzungen der vergangenen drei Jahre waren die Opfer der Gewalt immer gegenwärtig – ständig zitiert und oft manipulativ benutzt. Einige der Organisationen, in denen die Opfer der ETA-Gewalt zusammengeschlossen sind, haben mit der PP gemeinsame Sache gemacht, um den Dialog mit der ETA zu verhindern. Die Opfer der franquistischen Unterdrückung haben mit ihrer Forderung nach Anerkennung keinerlei Unterstützung bei der der PP gefunden. Die Opfer des schmutzigen Krieges gegen den Terrorismus kommen gar nicht vor. Sie werden immer von den Anhängern der ETA erwähnt, wenn sie ihre Weigerung, die ETA-Gewalt zu verurteilen, begründen müssen.

Vielleicht werden irgendwann einmal alle Opfer aller Formen der Gewalt in Spanien würdig behandelt, ohne die einen gegen die anderen aufrechnen zu wollen. Vielleicht wird dann der Hass nachlassen. Es braucht dazu eine seltene Art von Mut, nämlich die eigenen Fehler und Ängste einzugestehen.

Zapatero hat versucht, die ersten Schritte auf einem Weg in die Normalität zu gehen. Denn nichts anderes bedeutet es, wenn die Gewalt durch den Dialog ersetzt wird. Wegen des starrsinnigen Beharrens der ETA, die politische Zugeständnisse als inakzeptabel ablehnt, wenn sie dafür der Gewalt entsagen soll, und der Feindseligkeit der Partido Popular andererseits – für die der Kampf gegen die Regierung wichtiger ist als die Einigkeit im Kampf gegen den Terrorismus – war die Initiative leider nicht von Erfolg gekrönt. Aber noch liegen die Karten auf dem Tisch. Und am Ende werden die Wähler entscheiden.

Aus dem Spanischen von Regine Lassen José Manuel Fajardo ist spanischer Schriftsteller und Journalist. 2005 erschien sein Roman „A pedir de boca“.

Le Monde diplomatique vom 13.04.2007, von José Manuel Fajardo