11.05.2007

Sicherheitsdenken

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Sicherheitsdenken

„In Marokko wird das Thema Migration von Sicherheitsfanatikern verwaltet“, schimpft Professor Mehdi Lahlou. „Diese Leute sind nur auf hohe Zahlen aus, um Europa ihre Effizienz zu beweisen.“ Und um dabei etwas abzusahnen, möchte man ergänzen. Doch was die Finanzen anbelangt, so hat Marokko für seine Arbeit als Gendarm der Europäischen Union bisher nur eine Sonderzulage von 67 Millionen Euro erhalten.

Ein „Trinkgeld“, meint der Jurist Mohamed Kachani, im Vergleich mit den tatsächlichen Ausgaben, die Rabat weit höher beziffert, und zwar vor allem wegen der teuren Flugkosten für die Rückführung von über 7 000 Afrikanern seit 2004.

Im Übrigen fordert Marokko, dass die Quoten der in Frankreich und in Spanien zugelassenen marokkanischen Saisonarbeiter erhöht werden. Es verlangt von Europa auch mehr Visa für seine Staatsangehörigen. Dabei geht es um viel Geld: 2006 summierten sich die Transferzahlungen der im Ausland wohnhaften Marokkaner auf 4,3 Milliarden Euro, das sind fast 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und nach der jüngsten Studie der Kommission für Wirtschaftsplanung träumt mindestens jeder dritte junge Marokkaner von der Emigration.

Auf beiden Seiten des Mittelmeers verbergen sich hinter dem Migrationsproblem, das nur noch unter dem Sicherheitsaspekt gesehen wird, ganz konkrete und schreckliche persönliche Dramen, für die niemand eine dauerhafte Lösung sucht. In Wirklichkeit sind die Afrikaner, die unter unmenschlichen Bedingungen in Marokko festsitzen, die Opfer einer ebenso absurden wie unwirksamen europäischen Politik. Denn je rigoroser sich Europa verbarrikadiert, umso größer werden die Ströme der Migranten. 2006 sind 31 000 Einwanderer aus Subsahara-Afrika von den westafrikanischen Küsten auf die Kanarischen Inseln gelangt, sechsmal so viele wie im Vorjahr.

Will die Europäische Union jetzt den ganzen afrikanischen Kontinent mit Schutzzäunen umgeben, nachdem sie schon einen quasi militärischen Etat von schätzungsweise 260 Millionen Euro aufgebracht hat, um 1 000 Kilometer andalusischer Küste abzuriegeln?

Das ist so unrealistisch wie grotesk, wenn man weiß, dass weniger als 5 Prozent der „Illegalen“, die es nach Europa geschafft haben, über Marokko gekommen sind. Die anderen kommen, mit Visum und allen Formalitäten, in Häfen oder auf Flughäfen an – und nicht nur aus Afrika, sondern aus der ganzen Welt.

Le Monde diplomatique vom 11.05.2007