10.06.2011

Von Land zu Land

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Algerien

Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit (1962) war die Geburtenrate mit 8 Kindern pro Frau eine der höchsten in der arabischen Welt. Der demografische Übergang setzte in Algerien verzögert ein – was weniger an der Familienpolitik der Regierung lag als an den Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung, die eine Versorgung der Bevölkerung quasi „von der Wiege bis zur Bahre“ ermöglichten. Binnen zwanzig Jahren ging dann die Geburtenrate in Algerien stark zurück, etwa auf das Niveau in den Nachbarländern Tunesien und Marokko. Seit 2000 beginnt sie allerdings – gegen den Trend in den Nachbarstaaten – erneut zu steigen. Die Überwindung der politischen Krise in den 1990er Jahren und der Rückgang von Gewalttaten führten zu einem Anstieg der Eheschließungen (341 000 im Jahr 2009 gegenüber 280 000 im Jahr 2005).

Libyen

Mit seiner geringen Einwohnerzahl (6,4 Millionen) und den stabilen Deviseneinnahmen aus den Erdölexporten erlebte Libyen eine ähnliche demografische Entwicklung wie die ölfördernden Staaten am Golf. Lange Zeit ging die staatliche Familienpolitik Hand in Hand mit einer großzügigen Verteilung staatlicher Gelder. Aufgrund der fallenden Ölpreise Mitte der 1980er Jahre, später auch als Folge der internationalen Sanktionen, begann die Geburtenrate zu sinken. Nach Angaben der Vereinten Nationen lag sie 2010 bei 2,4 Kindern pro Frau.

Ägypten

Im Kontrast zur aktuellen politischen Instabilität weist Ägypten eine hohe demografische Stabilität auf. Obwohl nur 4 bis 5 Prozent des ägyptischen Territoriums wirklich bewohnbar sind und die Bevölkerung entsprechend im Nildelta und entlang des Nil konzentriert lebt, liegt das Bevölkerungswachstum seit Jahren konstant bei 2 Prozent. Auch die Geburtenrate bleibt auf dem konstant hohen Niveau von etwa 3,3 Kindern pro Frau. Damit ist sie doppelt so hoch wie in Tunesien oder Marokko.

Jordanien

Trotz enormer Fortschritte bei der Alphabetisierung verharrt die Geburtenrate in Jordanien seit etwa zehn Jahren auf dem relativ hohen Niveau von 3,5 Kindern pro Frau. Das erklärt sich vor allem aus der sozialen Dominanz der Patrilinearität und des entsprechenden Zwangs, einen männlichen Nachkommen zu zeugen. Das unterscheidet Jordanien von den Ländern des Maghreb, wo sich viele Paare von diesem Prinzip nicht mehr leiten lassen. Konfessionelle und regionale Rivalitäten, auch die zwischen Palästinensern und Transjordaniern – tragen ebenfalls dazu bei, die hohe Geburtenrate zu stabilisieren.

Libanon

Mit einer Geburtenrate von durchschnittlich 1,69 Kindern pro Frau bildet der Libanon in der Region eine Ausnahme. Seit dem Ende des Bürgerkriegs (1976 bis 1990) sind die demografischen Rivalitäten der 1960er und 1970er Jahre verschwunden. Zwar liegen die Geburtenraten bei den verschiedenen konfessionellen Gruppen – Maroniten, Schiiten, griechisch-orthodoxen oder katholischen Christen, Drusen oder Sunniten – auf unterschiedlichem Niveau, aber zugleich ist bei allen ein Abwärtstrend zu verzeichnen.

Türkei

Die Geburtenrate in der Türkei ist inzwischen ebenfalls unter die Reproduktionsgrenze von 2,09 Kindern pro Frau gefallen. Trotz der islamisch geprägten Regierung, die eine konservative Familienpoltik propagiert, lassen sich die Familien nicht hineinreden und entscheiden sich für weniger Kinder. Ein weiteres Beispiel für eine derartige Entwicklung ist der Iran, wo die Geburtenrate mit 1,83 Kindern noch niedriger liegt.

Israel/Palästina

Große Überraschung: Die Geburtenrate im jüdischen Bevölkerungsteil Israels steigt Jahr für Jahr an (auf inzwischen drei Kinder pro Frau). Gleichzeitig sinkt sie bei der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten im Westjordanland, Ostjerusalem und dem Gazastreifen, wo sie noch zur Zeit der ersten Intifada auf Weltrekordniveau lag. Inzwischen ist sie auf 3,6 Kinder pro Frau gesunken (3,1 im Westjordanland, 4,7 in Gaza nach Angaben eines US-Instituts). Bei den israelischen Arabern liegt die Geburtenrate mit 3,4 Kindern fast auf dem gleichen Niveau wie bei den jüdischen Israelis.

Le Monde diplomatique vom 10.06.2011