Alles ist Fracht
Der Container als Vehikel der Globalisierung von Gregor Papsch
Es ist zwei Uhr nachts, als die „London Senator“ im Hafen von Barcelona festmacht. Am Kai blinken Containerbrücken gespenstisch ins Dunkel und bringen sich in Position. Das Schiff mit 3 000 Containern an Bord hat Verspätung. Jetzt muss es schnell gehen. Vier Riesenkräne beugen sich gleichzeitig über den 220 Meter langen Stahlkoloss, löschen Container und hieven neue an Bord. Im Schiffsoffice auf dem Hauptdeck warten schon die Hafenagenten. Casmiro Cueto, der erste Offizier, überwacht die Lösch- und Ladearbeiten am Computer, im Hintergrund läuft das Radio. Die Ladung an Bord ist Chefsache. Die Ladung hat immer Priorität. „Wenn Gefahrgut dabei ist, werden wir informiert“, sagt er. Was er sonst noch transportiert? Das weiß er auch nicht so genau, ergänzt er und zeigt sein freundliches Filippino-Grinsen: Schuhe, Werkzeug, Kekse, Wein. „Viele Millionen Dollar jedenfalls.“
Unterwegs auf der „London Senator“, auf einer Reise, die niemals endet, an keinem Tag im Jahr. Es ist eine Reise quer über den Globus, von Asien via Europa in die USA und wieder zurück, auf immer demselben Kurs: Hongkong, Singapur, Port Kelang, Jiddah, Port Said, Gioia Tauro, La Spezia, Fos sur Mer, Barcelona, Valencia, New York, Norfolk, Savannah – und wieder zurück. Das Schiff fährt, wohin die Reederei es schickt, seine Crew gehorcht Befehlen aus dem Fax, und der Großteil der 22-Mann-Besatzung hat keine Ahnung, was sie über die Meere befördert. Die „London Senator“ ist nur ein winziges Rädchen im gewaltigen Getriebe des globalen Warenverkehrs.
Der Container ist sein Motor. Sechs Millionen dieser genormten Stahlboxen sind jeden Tag des Jahres auf den Weltmeeren unterwegs. Der Container hat den Warenstrom revolutioniert, wie einst der Computer den Datenfluss. So wie Informationen in Bits und Bytes aufgelöst werden, wird der globale Warenverkehr in Container gepresst. Vorbei die Zeiten, als Hafenarbeiter Sack für Sack einzeln an Bord schleppten. Heute regiert der Container den Welthandel, die genormte Blechkiste, die man dort vollpacken kann, wo die Ware produziert wird, die man über Land und See dorthin transportieren kann, wo sie gebraucht wird, und die man dort wieder auspackt, ohne dass ein Mensch die Ware selber noch berühren muss.
Der Erfolg des Containers sprengt die Grenzen des Vorstellbaren: 1972 wurden weltweit 5 Millionen Container auf den Meeren bewegt, im Jahr 2005 waren es 400 Millionen. Seit China 2001 der Welthandelsorganisation beigetreten ist, hat das Tempo noch angezogen. Der Containerverkehr wächst dreimal so schnell wie das Weltsozialprodukt. Für die Zukunft rechnen Fachleute wie der Hamburger Schifffahrtsexperte Eigel Wiese mit einem jährlichen Wachstum von 7 bis 8 Prozent. „Das Geschäft boomt, weil ein preiswerter Transportweg über große Entfernungen Waren attraktiv macht, die in einer Region aufgrund der niedrigen Arbeitskosten sehr günstig produziert werden können und im Abnehmerland sehr günstig auf dem Markt angeboten werden.“ So entsteht eine immer größere Nachfrage. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre niemand auf die Idee gekommen, eine Ware, die in China produziert wurde, mit einer Ware, die in Europa produziert wurde, in eine preisliche Konkurrenz zu setzen.
Und eine Alternative zum Container gibt es nicht. Kein Transportmittel ist so einfach zu handhaben wie der Container und kein Transportweg so billig wie der über das Meer. In einen Container passt fast alles und er kostet fast nichts. 95 Prozent aller Waren, die weltweit zwischen den Kontinenten bewegt werden, werden heute auf dem Seeweg transportiert. Die Rechnung ist simpel: Je mehr Container auf ein Schiff geladen werden desto günstiger wird ihr Transport. „Der Trend geht zu Mega-Carriern“, erklärt Jan-Olaf Probst von der Schiffsklassifikations-Gesellschaft Germanische Lloyd in Hamburg. Die Baukosten pro TEU (Twenty-foot Equivalent Unit, ein TEU entspricht einem 20-Fuß-Container, der 6,10 Meter lang, 2,60 Meter hoch und 2,44 Meter breit ist) für ein großes Containerschiff sind etwas geringer als für eine kleinere Einheit. Und die Treibstoffkosten für ein Großcontainerschiff sind auch nicht viel höher.
Wie Linienbusse auf hoher See
Vor zehn Jahren konnten lediglich rund 20 Schiffe mehr als 5 000 Container transportieren, heute sind es über 400. 10 000 Container und mehr sind bereits Realität. Der zurzeit größte Containerfrachter der Welt, die 400 Meter lange und knapp 60 Meter breite „Emma Maersk“, das neue Flaggschiff einer dänischen Reederei, bietet offiziell 11 000 Standardcontainern Platz, inoffiziell wird von bis zu 14 500 gesprochen.
Die „London Senator“ mit ihren gerade einmal 3 000 Containern ist dagegen nur ein kleiner Kahn. Kontrollgang ums Hauptdeck mit Rico Nußbaumer, dem Sicherheitsoffizier. Das Wetter hat sich verschlechtert auf dem kurzen Weg von Barcelona nach Valencia. Der Wind jagt Regen und Gischt über das Deck. 15 Meter unterhalb der Reling brodelt das Meer und bringt Leben in die Container. „Bisschen windig heute“, sagt Nußbaumer, „macht aber nix, bisschen Spiel is’ überall.“ Es ist glitschig auf dem schmalen Streifen Deck zwischen den Containern, fast wie in einem Tunnel. Jeder verfügbare Platz ist für die Stahlboxen reserviert, alle fest verlascht, bis zu zwölf übereinander.
Vor 13 Jahren, als sie gebaut wurde, war die „London Senator“ ein mittlerer Riese. Heute ist der Riese eine Maus. Die neuen Containerschiffe tragen die drei- und vierfache Ladung. Das zahlt sich aus – für fast alle Beteiligten. Wer heute in einem deutschen Supermarkt eine Flasche australischen Wein kauft, kann davon ausgehen, dass er sie nicht viel teurer ersteht als ein Australier in Sydney oder Melbourne. Der Seetransport um die halbe Erde bis nach Deutschland kostet ganze 15 Cent. Der Transport derselben Flasche Wein per Lkw von Hamburg nach Süddeutschland kostet das Vierfache. Billiger als im Container geht es nicht.
Die Folge: Entfernungen schrumpfen. Firmen wie H & M oder Ikea lassen ihre Konfektionen in Asien fertigen, Nordseekrabben werden zum Pulen nach China verschifft, denn dort wird die mühsame Handarbeit noch billiger erledigt als anderswo. „Die Meere“, sagt Jan-Olaf Probst hoch oben in seinem Büro über der Elbe, „werden zur Autobahn.“ Man muss die ungeheuren Dimensionen verstehen, die zunehmende Arbeitsteilung, die dazu führt, dass eine einfache Isolierkanne vor der Fertigstellung dreimal um die Welt verschifft wird. Da wird der Einsatz in Deutschland gefertigt, der Deckel in China, die Außenschale in Vietnam. Und das Transportvolumen steigt rapide an.
Die Auftragsbücher der großen Containerschiffwerften sind bis 2010 und darüber hinaus gefüllt. Zwei Drittel aller Neubauten entstehen in Korea. Die Werften des Landes, vor allem die großen drei, Hyundai, Daewoo und Samsung, sind komplett ausgelastet. Sie bauen immer mehr und immer größere Frachter. Es wird eng auf den Meeren. „Es gibt bottlenecks“, bestätigt Probst, „Gibraltar, der englische Kanal, selbst die Elbe ist sehr gut befahren zu gewissen Zeiten.“ Die Nautiker auf See benötigen eine immer ausgefeiltere Technik, um den Schiffsverkehr sicher zu halten.
„Und wieder ein Alarm.“ Im Kontrollraum der „London Senator“ blinkt eine Alarmlampe, der Computer meldet: Das Kühlwasser der 27 000 PS starken Maschine ist zu kalt. „Dasselbe wie vorhin, nichts Dramatisches“, sagt Bernd Claußen mit gelangweiltem Blick auf den Computerschirm. Alle paar Stunden gibt es so einen Alarm. Der Erste Ingenieur ist ein kleiner, eher schmächtiger Mann, dem das graue Haar lang über die Schultern wallt. Auf der Nase sitzt eine riesige Brille mit dicken Gläsern.
Einen Seemann stellt man sich anders vor. „Man muss sich auf die Technik verlassen“, sagt Claußen. Es klingt nicht begeistert. „Da ist jetzt ’ne Sache dazugekommen, die wir gar nicht gelernt haben.“ Gelernt hat er mal Maschinenschlosser. Arbeit mit den Händen. „Die ganze Elektrik, die kann man nicht sehen, die kann man nur merken, und wenn man sie merkt, ist es zu spät.“ Die Überwachung der elektronischen Sicherungssysteme, der gestiegene Verkehr, ein gedrängter Fahrplan, ständige Absprachen mit Häfen, Reedereien und Charterern – für die Crew heißt das: mehr Stress. „Eigentlich bräuchten wir eine Sekretärin“, sagt Claußen.
Containerfrachter wie die „London Senator“ sind Linienbusse, jahrelang auf den immer gleichen Routen unterwegs, mit den immer gleichen Haltestellen, bestimmt vom Strom der Waren. Lange glaubte Europa, Mittelpunkt der Welt zu sein. Der Container hat dieses Bild zerstört, seit sich der Warentransport so sehr verbilligt hat. Heute findet der weltweit wichtigste Seeverkehr zwischen asiatischen Häfen statt. Der zweite große Strom geht von Asien über den Pazifik nach Nord-, Mittel- und Südamerika, erst dann folgt der Weg zwischen Asien und Europa.
Die klassische Nordatlantikpassage hat dagegen ihre besten Zeiten hinter sich. Vor der Hafeneinfahrt von Valencia, dem letzten Stopp vor der Atlantiküberquerung nach New York. Die „London Senator“ muss warten. Der vorgesehene Liegeplatz im Hafen ist besetzt. Auf der Brücke, 30 Meter über dem Meer, dirigiert der spanische Lotse den Stillstand. „50 Prozent ist nur Warten, rausgeschmissenes Geld“, sagt Sergei Iwanow. Der junge deutsch-russische Kapitän ist ein Mann, der nicht viel Worte macht, und wenn, dann feuert er nur kurze Wortsalven ab: „Stress, viel Stress“, kriegt man zu hören, wenn man nach seinem Job fragt. „Time is money. Es geht nur ums Geld.“ Die Zeiten haben sich geändert. Früher trugen Kapitäne weiße Uniformen mit goldenen Streifen am Unterarm. Der neue Kapitänstyp trägt Jeans und Poloshirt und ist flexibel. Immer auf alles gefasst sein. Immer mit allem rechnen. Da wird die Uniform unwichtig. Nach jeder Zigarette geht der Blick zur Uhr. Häfen sind unberechenbar.
Aber Globalisierung braucht Häfen. Und weil die sich nicht so schnell bauen lassen wie Schiffe, steckt die Containerschifffahrt immer öfter im Stau. Und die Kaimauern der Terminals sind umkämpftes Terrain. Wer warten muss, zahlt drauf. Jeder Tag auf Reede kostet ein Schiff wie die „London Senator“ rund 25 000 US-Dollar. Die Häfen der Welt strampeln sich ab, um der gewaltigen Containermassen Herr zu werden. Milliarden werden in den Um- und Ausbau investiert, anderswo entstehen ganz neue Hafenanlagen. Asien ist dabei die Erste Liga. Singapur hat mit einem Umschlag von jährlich 23 Millionen Containern Hongkong als größten Hafen der Welt überholt. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Schanghai Singapur überholt.
Europa hat da Mühe mitzuhalten. Bremerhaven baut seinen Hafen aus, in Wilhelmshaven entsteht mit dem Jade-Weser-Port ein neuer Tiefwasserhafen. Und damit in Hamburg auch künftig die größten Containerschiffe einlaufen können, soll die Elbe auf einer Strecke von 70 Seemeilen noch einmal vertieft werden. Der Ausbau rechnet sich. Der Fall des Eisernen Vorhangs hat der Hansestadt ungeahnte Perspektiven eröffnet. Im Jahr 2000 wurde für den Hamburger Containerhafen für das Jahr 2015 ein Umschlag von 6 Millionen Containern prognostiziert. Diese Grenze wurde aber schon 2003 überschritten. Jetzt rechnet man für 2015 mit 18 Millionen. „Hamburg ist die Drehscheibe zwischen Osteuropa und Fernost“, erklärt Ina Klotzhuber von der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), die in der Hansestadt drei Terminals betreibt. Der Großteil der Waren, die von China nach Schweden oder Polen gehen, werden über den Hamburger Hafen verschifft. Und Hamburg ist Exporthafen für Österreich, für die Schweiz, für die deutsche Exportwirtschaft, den Maschinenbau etwa. „Wir müssen diese Funktion als Drehscheibe weiter ausbauen“, sagt Klotzhuber.
Das Hamburger Terminal Altenwerder gilt heute als modernstes und schnellstes der Welt. Vierzehn Containerbrücken fertigen rund um die Uhr einlaufende Schiffe ab. Der Blick vom Dach des Logistikgebäudes beeindruckt. Sechzig führerlose Portalkräne rollen über das Terminal und schichten Container in Endlosreihen. Das menschenleere Containerterminal Altenwerder ist umgeben von Logistik- und Speditionsbetrieben. Wo einst Schauerleute und Windenführer rackerten, sind heute IT-Experten gefragt. Tausende Arbeitsplätze sind in den letzten Jahren weggefallen.
Dank des hohen Automatisierungsgrads arbeitet Altenwerder mit größter Effizienz, 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche. An einem einzigen Tag werden hier 5 000 Container „gelöscht“, das heißt vom Schiff geholt, 1,7 Millionen im Jahr. An der Perfektionsschraube wird dennoch weitergedreht. In den nächsten Jahren will die HHLA ihren Umschlag in Hamburg verdoppeln. Für Klotzhuber liegt die Herausforderung in zweierlei: „Einmal das System weiter zu verbessern, und dann die Logistikkette besser zu spannen, sowohl innerhalb des Hafens als auch über den Hafen hinaus bis weit ins Hinterland, bis nach Sankt Petersburg oder Wien.“
Reparaturarbeiten an Deck der „London Senator“. Die Muttern passen nicht auf die Schrauben, mitten im Nordatlantik kann das zum Problem werden. Nicolas Gorgon flucht. Vom tiefblauen Himmel knallt die Sonne aufs rote Achterdeck. Der „Schiffsmechaniker Maschine“ schwitzt im viel zu warmen, ölverschmierten Blaumann. Mit 22 Jahren ist er fast der Jüngste an Bord, nur der philippinische Steward ist jünger. Gorgon guckt aufs Meer und sagt: „Ich bin eigentlich nur hier, um zu arbeiten.“ Dann erzählt er von den fünf Monaten, die er schon an Bord ist. Dreimal war er bisher an Land, und das nur für ein paar Stunden. „Wenn du viel Gesellschaft brauchst, bist du hier fehl am Platz“, sagt er: „Nach ein paar Monaten sprichst du mit dir selbst oder mit den Postern an der Wand. Nach einem halben Jahr bist du einsam.“ Wer heute den Beruf des Seemanns wählt, arbeitet rund um die Uhr, kennt keinen Sonntag und muss immer verfügbar sein. Auch nachts. Der Mensch an Bord eines Containerschiffs arbeitet fast wie eine Maschine. Ist sie nach ein paar Monaten verschlissen, wird sie ersetzt.
Die alten Rituale passen nicht zur modernen Arbeitswelt
Wer fragt angesichts des Booms nach der Kehrseite? Der Container hat die Welt kleiner gemacht. Anonymer. Eintöniger. Häfen in Hongkong, Barcelona oder New York gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Der standardisierte Container hat jene dichten, zuverlässigen und preisgünstigen Transportketten geschaffen, die den globalen Warenaustausch revolutioniert haben. Nur wenn jedes einzelne Glied dieser Ketten reibungslos arbeitet, kann das System funktionieren. Noch gilt allein die Devise: Wer sich auf dem Highway der Globalisierung rechtzeitig positioniert, kann viel gewinnen, wer ihn verpasst, verliert garantiert. „Die Verlierer der Globalisierung“, sagt Eigel Wiese, „sind all diejenigen, die gemessen am Niveau des Weltmarkts zu teuer produzieren. Die stellen irgendwann fest, dass sie das, was sie für ihre Arbeit haben möchten und auch müssen, um ihren Lebensstandard zu halten, mit ihrer Arbeit nicht mehr verdienen können.“
An dieser Grenze werden die Konflikte der Zukunft ausgetragen, meint Wiese. Wenn der Lebensstandard sinkt, sinkt auch die Nachfrage nach Konsumgütern. Globalisierung verlange das Bewusstsein, dass die Kontinente stärker aufeinander angewiesen sind. „Nur mit Konkurrenzkampf geht es nicht.“
Und was, wenn der Boom einmal ins Stocken gerät? Wenn die asiatischen Märkte wider Erwarten einbrechen? Für diesen Fall befürchten die Experten eine Weltwirtschaftskrise nicht gekannten Ausmaßes. Allzu stark ist Europa auf den chinesischen Markt ausgerichtet, und europäische Firmen haben dort kräftig investiert. Oder aber das Gegenteil tritt ein. „China könnte die Fabrik der Welt werden“, sagt Eigel Wiese. China bildet seine Menschen immer besser aus, und die produzieren immer mehr hochwertige Waren. Nur womit verdient dann die übrige Welt das Geld, um diese Waren abzunehmen?
Neun Tage sind es über den Atlantik von Valencia nach New York, neun Tage kein Hafen, neun Tage mal nicht der Stress. Da kommen die Gedanken. Bernd Claußen ist „der Alte“ an Bord der „London Senator“. Dabei ist er erst 50. Für einen Seemann ist das alt. „Seefahrtsromantik“, sagt er, „die hab ich nicht kennengelernt, obwohl ich jetzt seit 28 Jahren dabei bin.“ Der Erste Ingenieur sitzt am Tresen der Offiziersbar. In Sandalen. Auch Offiziere ziehen vor der Kabinentür die Schuhe aus. Das gehört sich so. Die alten Rituale sind geblieben, aber irgendwie passen sie nicht mehr zur neuen Arbeitswelt. „Ich weiß nicht, ob ich diesen Schritt noch mal machen würde … weiß nich.“
Es ist neun Uhr abends. Auf dem Tresen steht eine Dose Cola. Außer Claußen ist niemand da. Die anderen arbeiten noch. Wenn es die Seefahrtsromantik je gab – die Globalisierung hat sie weggefegt. „Die Schiffsmaschinen“, sagt Claußen, „gehn jetzt an die 100 000 PS ran, das sind wahnsinnige Monster.“ Früher fuhr Claußen in vier Wochen nach Australien, heute braucht er nur noch zwei. Früher trug sein Schiff 1 000 Container, heute fast 10 000.
Und die Carrier wachsen weiter. Eine Machbarkeitsstudie des Germanischen Lloyd und des koreanischen Hyundai-Konzerns kam kürzlich zu dem Ergebnis: Möglich sind noch viel größere Schiffe. Grenzen liegen allenfalls beim Antriebsorgan, den Hauptmaschinen. „Dann“, meint Jan-Olaf Probst, „kommt es eben darauf an, wie schnell Güter von A nach B transportiert werden sollen. Von der Länge, der Breite und Seitenhöhe gibt es keine Grenze, da könnte man auch über die 400 Meter gehen.“ Schon jetzt gibt es Schiffe, vor allem im Tankerbereich, die sind 450 Meter lang und haben eine Breite von 60 Metern bei einer Seitenhöhe von über 35 Metern. „Die Größe, vom Stahl her, ist handhabbar.“
Auf dem Markt ist Konzentration angesagt. Große Unternehmen wie Maersk, Evergreen und Hapag-Lloyd teilen die Ozeane und ihre Küsten unter sich auf. Sie sind die neuen Könige der Meere. 2005 kaufte die dänische Maersk Line den Konkurrenten P&O für knapp 3 Milliarden Dollar, sie ist mit 500 Schiffen und 1,4 Millionen Containern weltweit größte Containerreederei. Ähnlich die Konzentration bei den Terminalbetreibern. Der weltweit größte, die Hutchison Port Holdings (HPH) mit Sitz in Hongkong, betreibt mehr als 250 Terminals in 43 Häfen der Welt, von Panama bis Polen. Inzwischen gehen Reedereien dazu über, ganze Hafenterminals zu kaufen, um so die Konditionen der Betreiber zu umgehen.
Wohin die Entwicklung führt, lässt sich nicht voraussagen. In der Containerschifffahrt haben Prognosen eine kurze Haltbarkeit. Der Panamakanal, das vielbefahrene Nadelöhr zwischen Atlantik und Pazifik, wird in spätestens fünf Jahren für ein Drittel der auf den Weltmeeren operierenden Containerschiffe zu schmal sein. Im Oktober 2006 beschlossen die Einwohner Panamas daher, den Kanal für die sogenannte Post-Panamax-Generation auszubauen. Im Jahr 2014 soll er für Schiffe mit einer Länge bis zu 366 Metern, einer Breite von maximal 49 und einem Tiefgang bis 15 Metern befahrbar sein. Doch jetzt kommen die Mega-Carrier. Ist das Jahrhundertprojekt veraltet, ehe es beginnt?
© Le Monde diplomatique, Berlin Gregor Papsch ist Redakteur beim Südwestrundfunk.