13.07.2007

Kein Widerstand, nur Überdruss

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Kein Widerstand, nur Überdruss

Die US-Demokraten und der Irakkrieg von Alexander Cockburn

In den USA sind heute alle gegen den Krieg: Über zwei Drittel der Befragten wollen die Truppen nach Hause zurückholen. Doch als die Demokraten im Kongress den Appell verabschiedeten, Präsident Bush soll die Truppen noch vor Ende seiner Amtszeit nach Hause bringen, war dies keinesfalls eine Reaktion auf gewaltige Menschenmengen, die vor dem Lincoln Memorial gegen den Krieg protestiert hätten. Vielmehr hatte die Opposition dabei schon die Wahlen von 2008 im Blick und wollte zumindest symbolisch bekunden, dass sie die allgemeine Antikriegsstimmung im Lande zur Kenntnis nimmt.

Die Antikriegsbewegung aus der Zeit des Vietnamkriegs ist bis heute im kollektiven Gedächtnis tief verwurzelt. Damals galt in den USA auch noch die allgemeine Wehrpflicht. So wurden etwa 18-jährige Jungen aus behüteten Mittelklasse-Familien zwangsrekrutiert, um sich nur kurz danach im Mekong-Delta den Schrecken des Krieges ausgesetzt zu sehen. Rein formal gesehen ist jeder US-Soldat im Irak oder in Afghanistan heute ein Freiwilliger. Doch natürlich werden viele Armeeangehörige zu einer Verlängerung ihres Einsatzes gezwungen. Zudem gibt es Kandidaten, denen man den Dienst im Irak als Alternative für eine Gefängnisstrafe angeboten hat, oder auch illegale Immigranten, denen man als Belohnung die Greencard oder die US-Staatsbürgerschaft in Aussicht stellt.

Obgleich der Mangel an militärischem Personal für das Pentagon inzwischen zu einem großen Problem geworden ist, wird es keine Regierung in Washington riskieren, zur allgemeinen Wehrpflicht zurückzukehren. Dass es die seit 1973 nicht mehr gibt, ist freilich auch ein maßgeblicher Faktor für die Schwäche der Antikriegsbewegung. Dennoch gab es noch Ende der 1980er-Jahre eine lebendige Friedensbewegung. Da demonstrierten alte Gewerkschafter Seite an Seite mit Quäkern und Unitariern, und natürlich mit der Vietnamgeneration, von denen viele heute auch schon über sechzig sind, gegen die Politik der Reagan-Regierung.

Als am 27. Januar 2007 das große Antikriegsbündnis „United for Peace and Justice“ (UPJ) zu einer Kundgebung in Washington aufrief, kam zwar eine respektable Menge zusammen, doch letztlich war es eine recht müde Veranstaltung. Wie schwach die Antikriegsbewegung ist, erkennt man zum Beispiel auch an solchen Details: Die Veranstalter hatten Sean Penn oder Jane Fonda als Redner eingeladen, aber nicht den engagierten Anwalt Ralph Nader, der für viele Anhänger der Demokraten noch immer eine Persona non grata ist, weil er bei den Präsidentschaftswahlen 2000 als Kandidat einer dritten Partei angetreten war.

Hier zeigt sich, wie sehr die Antikriegsbewegung oder jedenfalls ihre von der UPJ repräsentierte Hauptströmung von der Demokratischen Partei vereinnahmt wird. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Demokraten im Kongress Jahr für Jahr die Gelder bewilligen, die es Bush erst möglich machen, diesen Krieg zu führen.

Stellen wir uns eine einfache Frage: Haben die in letzter Zeit stattgefundenen Abstimmungen in beiden Häusern des Kongresses das Ende des Irakkriegs näher gebracht? Am 23. März hatte das Plenum des Repräsentantenhauses mit 218 zu 212 Stimmen einen Zeithorizont für den Abzug der US-Truppenabzug beschlossen: Ab 1. September 2008 soll es demnach möglich sein, finanzielle Mittel nur noch für Rückzugsoperationen zu bewilligen. Das sieht keineswegs nach einer verbindlichen Terminierung aus, denn es verpflichtet Bush lediglich dazu, für eine Verlängerung der Besetzung des Irak die Zustimmung des Kongresses zu suchen und neue Geldmittel zu beantragen.

Mit Krediten für Spinatfarmer die Zustimmung erkauft

Auf der Website von Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, kann man nachlesen, welche Rolle sie für die US-Truppen vorsieht, wenn diese nach dem 1. September 2008 zurückgezogen oder „umgruppiert“ werden: „Die im Irak verbleibenden US-Truppen dürfen nur für den Schutz von Diplomaten, Operationen gegen den Terrorismus und die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte eingesetzt werden.“ Das erinnert beunruhigend an die alten Pläne der Bush-Regierung. Aber werden die aus dem Irak abgezogenen US-Truppen endlich nach Hause kommen? Nein, sagen Pelosi und Harry Reid, Fraktionsvorsitzender der Demokraten im Senat. Dann werden sie nach Afghanistan geschickt.

Im Grunde übernimmt und bekräftigt der Gesetzentwurf der Demokraten nur den Kriegsplan des Präsidenten und die entsprechenden „Erfolgskriterien“, wie sie Bush in seiner Rede vom 10. Januar 2007 definiert hat. Inzwischen geht der Krieg mit einem von den Demokraten bewilligten Zusatzetat von 124 Milliarden Dollar weiter; das ist mehr Geld, als Bush selbst gefordert hatte. Und bei den Beratungen über den Etat des Pentagon für das Jahr 2008 gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die Führung der Demokraten im Kongress einen ernsthaften Angriff auf die weitere Kriegsfinanzierung zulassen wird.

Obgleich am 23. März also gar nichts Bedeutendes geschehen ist, könnte man bei der Lektüre liberaler Kommentatoren glauben, dass im Repräsentantenhaus dank Pelosis geschickter Koordination der unterschiedlichen demokratischen Fraktionen ein echter Aufstand stattgefunden habe. In Wirklichkeit ist es ihr gelungen, die Antikriegsfraktion zu kastrieren. Von den 212 Stimmen gegen Pelosi stammten nur 10 (davon 8 Demokraten) von Leuten, die grundsätzlich gegen den Krieg opponieren. Die restlichen Neinstimmen kamen von 202 Republikanern, die Pelosis Vorlage als eine Aktion gegen Bush und gegen den Krieg sahen. Insgesamt gaben also 420 Abgeordnete des Repräsentantenhauses zu Protokoll, dass sie nichts dagegen haben, wenn der Irakkrieg bis zum Vorabend der nächsten Wahlen im November 2008 weitergeht.

Tatsächlich sind die Antikriegskräfte im Kongress eher schwächer geworden. Das zeigt sich am Beispiel der beiden Abgeordneten Sam Farr aus Kalifornien und Peter DeFazio aus Oregon, die beide eine große progressive Wählerschaft repräsentieren. Vor 2006 waren sie, in dem noch von den Republikanern beherrschten Kongress, entschiedene Gegner des Irakkriegs, die gegen die Zustimmung zur Invasion und gegen die Bewilligung von Irakgeldern gestimmt hatten. Aber das war einmal. Farr wurde von Pelosi mit Darlehen für die Spinatfarmer seines Wahlkreises überzeugt, und DeFazio bekam Gelder für Schulen und Büchereien seiner Region bewilligt.

In einer Presseerklärung versuchte Sam Farr sein Votum für die Kriegsfinanzierungsvorlage seiner Fraktionschefin mit dem Satz zu begründen: „Dieses Gesetz wird unsere Soldaten nach Hause bringen.“ Doch gegenüber dem San Francisco Chronicle meinte er: „Sie lassen die Lage im Irak auf Teufel komm raus eskalieren. Was könnten wir da mit unserer Neinstimme ausrichten?“ Die Antwort ist einfach: Wenn noch vier weitere Abgeordnete Pelosis Schmiergeldern widerstanden hätten, wäre ihre Vorlage demontiert worden. Und das hätte gezeigt, dass es im Repräsentantenhaus keine Mehrheit für eine gezinkte Resolution geben kann.

Doch auch die echte Antikriegsbewegung hat sich als unfähig erwiesen, auf die Demokraten hinreichend Druck auszuüben. Tom Matzzie von der Internetinitiative MoveOn.org meinte nach der Abstimmung vom 23. März: „Bush ist unser schlimmster Feind und zugleich unser bester Verbündeter.“ Mit anderen Worten: Indem Bush Pelosis Gesetzesvorlage mit dem Argument niedermachte, diese unterstütze und erfreue nur die Feinde der USA, zementierte er die Unterstützung der Demokraten für Pelosis Projekt. Das hatte unter anderem zur Folge, dass MoveOn.org darauf verzichtete, drei Millionen E-Mail-Adressen dafür einzusetzen, gegen Pelosis Strategie zu protestieren, und sich stattdessen darauf beschränkte, seine Mitglieder nach deren Meinung über die Vorlage der Demokraten zur Kriegsfinanzierung zu befragen. Wobei die Frage lautete, ob sie dafür oder dagegen seien oder unsicher, was der Gesetzentwurf genau bedeutet. Die MoveOn-Leute hätten ihre Frage ganz anders formulieren können: Bist du für den Pelosi-Plan (bei genauer Darlegung des Inhalts); oder für den Barbara-Lee-Plan (nach dem Gelder nur für den schrittweisen Rückzug der US-Truppen bewilligt werden sollten); oder bist du gegen jegliche Finanzierung des Kriegs?

Wird jetzt die Opposition gegen den Krieg, gestützt auf das Pelosi-Gesetz, im Kongress stärker werden? Das ist unwahrscheinlich. Die Möglichkeit dazu bestand gleich nach den Wahlen. Doch inzwischen hat die Führung der Demokraten ihren Plan umgesetzt, lediglich so zu tun, als sei sie gegen den Krieg. Und dieser „Erfolg“ wird vom progressiven Lager auch noch selbstzufrieden bejubelt.

Aber wurden Kriege jemals von „Bewegungen“ beendet? Der Vietnamkrieg endete in erster Linie deshalb, weil die Vietnamesen die USA besiegt hatten und weil unter den US-Truppen offene Meutereien ausgebrochen waren. Auch an der Heimatfront hatten weite Teile der Gesellschaft rebelliert. Die Bedeutung von Antikriegsbewegungen liegt häufig eher in den Leistungen, die sie nach der aktiven Protestphase erbringen, zum Beispiel wenn sie an die nachkommende Generation die Haltungen und Taktiken ihres Widerstands weitergeben. In dieser Hinsicht haben wir in den USA in den Jahren seit Vietnam einen stetigen, aber kaum überraschenden Verfall der Linken erlebt, die jedes politische Selbstvertrauen und jeden Ehrgeiz verloren hat. Und die es in den 1990er-Jahren fatalerweise versäumt hat, die Demokratische Partei und die demokratische Regierung Clinton/Gore wegen des Angriffs auf Jugoslawien und der unmenschlichen Sanktionen gegen den Irak zu anzugreifen.

In der Ära Bush erlebten wir den weiteren Niedergang einer unabhängigen Linken, die keinerlei gemeinsame theoretische und praktische Strategie, ja nicht einmal eine politische Analyse zustande brachte. Gleichzeitig nahm die hilflose und hilflos machende Paranoia zu, die sich in der Flut von Verschwörungstheorien über 9/11 äußerte. An den Universitäten herrschte Ruhe. Auch die Arbeiterbewegung ist in der Defensive. Die praktischen Erfolge der Antikriegsbewegung beschränken sich auf ein paar gute Aktionen wie die Kampagnen gegen die Anwerbeaktivitäten der US-Army auf dem Campus und die Auftritte von tapferen Einzelkämpfern, die Kinder im Irakkrieg verloren haben, wie zum Beispiel die Initiative von Cindy Sheehan, die 2006 mit ihrer Mahnwache vor der Ranch von George W. Bush in Texas die Friedensbewegung fast im Alleingang wachgeküsst hat.

Und aus welchem Anlass gab es in den USA im vergangenen Jahr überraschend große Kundgebungen? Es waren Einwanderer (vorwiegend Hispanics), die auf einmal mit riesigen, kämpferischen Demonstrationen in den Großstädten der Vereinigten Staaten auf sich aufmerksam machten. Sie artikulierten ihre Wut über die brutale Behandlung durch die Behörden und die neuen verschärften Gesetze gegen illegale Einwanderer, ohne deren billige Arbeit die Landwirtschaft in Staaten wie Kalifornien zum Erliegen kommen würde. Betroffene Menschen meldeten sich also durchaus zu Wort. Der Krieg hingegen war kein Thema.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Alexander Cockburn ist Mitautor des politischen Newsletters „CounterPunch“ (www.counterpunch.org).

Le Monde diplomatique vom 13.07.2007, von Alexander Cockburn