12.08.2011

Das große Umdenken

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Das große Umdenken

Weinerliches Lustspiel über die Finanzkrise in vier Akten von Frédéric Lordon

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III. AKT 2. Szene Im Büro des Präsidenten der Republik. Der Präsident, die Bankiers - dank der Intervention des Staates gerade der Katastrophe entkommen - und unter ihnen ein besonderer Berater, die unwahrscheinliche Stimme der Systemkritik im Herzen des Systems.

BANKIER Für steten Schutz und Schirm, Verehrter Präsident Gilt Euch allein die Ehr, die größte, die man kennt. Für Eure Tat zuerst, es gibt nicht ihresgleichen Denn siegreich ließet Ihr das Undenkbare weichen. Voll Weisheit ließet Ihr für uns stets Gnade walten Verehrter Präsident, Ihr lasst euch unterhalten Ihr folgt stets unsrem Rat, wir haben Euer Ohr Bewahren allzeit Euch vor jedem dummen Tor. DER VIERTE BANKIER Wir wissen um den Grimm der uns entgegenschlägt Um das, was darin gärt, was Volkes Meinung prägt. Wir sehn die Straße glühn, der Mob will dafür sorgen dass man uns wieder nimmt, was unrecht wir erworben. Das Volk ist schrecklich dumm, es hört auf Demagogen Exzess und Unvernunft sind seine stärksten Drogen. Nur rohe Leidenschaft, vermaledeiter Drang Empörung, wilder Zorn, entzieht sich jedem Zwang. DER DRITTE BANKIER Am meisten fürchten wir, dass ein Opportunist Ganz schamlos treibt sein Spiel, sich gibt als Populist Verbreitet seine Sicht, missgönnt uns Saus und Braus Verseucht den Volksverstand, wünscht uns nur den Garaus. Selbst von Gemäßigten droht mehr und mehr Gefahr Sie geben sich zwar zahm und schwören am Altar Dass sie mitnichten uns gleich wollen ausradieren doch wollen sie - o Graus - die Banken regulieren! BANKIER Nichts davon darf geschehn, Verehrter Präsident Verzeiht das klare Wort, das wär total dement. Was da vernünftig klingt, ist‘s nur dem Anschein nach Es brächte solches Tun uns großes Ungemach. Aus Krisen muss der Markt stets stärker auferstehn Auch wenn es Zyklen gibt, die schnell vorübergehn Wer wollt die Sonne denn beschwörn in ihrem Lauf Am Abend geht sie unter und morgens wieder auf Nach Sommer kommt der Herbst, der Lenz kommt nie zu spät Und um die Sonne dreht sich ewig der Planet. Dem Markt verdanken wir der Weisheit letzten Schluss dass seinem Auf und Ab man stetig folgen muss. Der Regulierungswahn ist wider die Natur Drum überlassen wir den Markt dem bloßen Zufall nur Auch wenn das Hin und Her uns mal Enttäuschung bringt Wir nehmen gern es hin, auch wenn‘s dramatisch klingt. Im Grunde ists banal, vergleicht man es mit dem Was nach dem tiefen Tal wir vor uns glänzen sehn Was dieser Markt verteilt, das macht uns wieder Mut Verehrter Präsident, nur dann wird alles gut. DER ZWEITE BANKIER Die Krise gab es wohl, Verehrter Präsident Doch schaden tat sie kaum, das ist ganz evident. Ein kleiner Gegenwind, doch kaum ist es geschehn Sieht man uns reicher noch als vorher auferstehn Ist das nicht der Beweis, muss nicht ein jeder sehn Dass man auf keinen Fall darf ändern das System? DER DRITTE BANKIER Bedenkt noch obendrein, verehrter Präsident Dass die Ökonomie stets nach dem Gelde rennt: Wir geben gern Kredit, verleihen Kapital Das Geld aus unsrer Hand erweist sich als vital. Was immer wir auch tun, hat nur ein hehres Ziel Der Wirtschaft Effizienz steht einzig auf dem Spiel. Dem öffentliche Wohl gilt stets unser Bestreben Den Bürgern unsres Lands wolln allen Schweiß wir geben Ihr Vorteil und ihr Heil, zufrieden solln sie sein Lasst uns nur freie Hand, dann richten wir es ein Bei uns spielt die Musik, mit Schellen und mit Laute Der Regulierungswahn führt uns nur in die Flaute. DER NEUE ZWEITE BERATER zum dritten Berater “Ihr Vorteil und ihr Heil“, „dem öffentlichen Wohl“ Sie rühren mich zutiefst, sind auch die Worte hohl Das Schauspiel geht ans Herz, die Mimen sind grandios. Das sollen Gauner sein? Sie wollten helfen bloß! Je frecher desto besser, wozu auch halten Maß wenn man doch im Palast glatt schluckt den Redefraß ein offnes Ohr ihm schenkt und sie auch lässt in Ruh? So dummes Zeug zu hörn, bewirkt, ich geb‘ es zu dass vor Bewunderung ich gradezu bin platt Wenn jemand keine Hemmung und keinen Anstand hat. Das ist der Gipfelpunkt, das Zeichen unsrer Zeit: Zur Schandtat jeder Art sind allzeit sie bereit. Verlangt ihr Ehrlichkeit? Zurückhaltung gefragt? Wenn ich gut heucheln kann, dann glaubt ihr, was man sagt! Zynisch oder verrückt, nur das ist hier die Frage. Ich hoffe, euch gefällt, was ich hier dazu sage: All diese edlen Herrn erkennt man nur daran Das sie aufs Ganze gehen und nichts sie bremsen kann. DER ZWEITE BANKIER Das Land liegt uns am Herz, verehrter Präsident Wir sorgen uns um das, was Volksherrschaft man nennt. Und lauthals tun wir kund: Wir stehn zu unserer Pflicht. Doch raten wir statt voreil‘ ger Reform Vorerst zu dem Appell an unsre hehre Norm Nicht Normen per Gesetz, andre weit höher stehn Dank derer ohne Fehl den rechten Weg wir gehen: Ich meine die Moral, sie heiligt unser Tun braucht das Gesetzbuch nicht, bewahrt sich ohne Ruh‘n In des Gewissens Tiefe. In diesem Tabernakel Lag sicher nicht der Grund für das Finanzdebakel. Wir alle hier vereint, an diesem großen Tag Sind da, Euch zu erklärn, was Ethik nur vermag. Gesetz und Regulierung nach blankem Terror klingt Wenn doch der Seele Kraft die beste Lösung bringt. Wo schon von vornherein die Regeln uns nur stören Sollt Ihr aus unsrem Mund Lob des Gewissens hören. Der Markt will kein Gesetz, er lehrt uns nur Moral Hier habt Ihr unser Wort, der Rest sei Euch egal. Dazu verpflichten wir uns selbst, was will man mehr. DER NEUE ZWEITE BERATER zum dritten Berater Wer wohl dereinst erzählt die ew‘ge Wiederkehr Wie jeder Banker hält die immer gleichen Reden, Die Krise kommt und geht, der Markt ist unser Eden. Das Ganze ist perfekt, da darf man nicht dran rühren Wenn einer mal versagt, dann lasst es ihn nur spüren Setzt auf den Index ihn und predigt ihm Moral Verschreibt ihm ein Prinzip, ein Globulus oral. Schon sind gewappnet wir, die Zukunft ist Ekstase! Erinnert Ihr Euch an die dot-com-Firmen-Blase? Versprechungen von einst die gleiche Melodie Was heute davon bleibt, klingt nach Palinodie. Der wahre Zyklus ist nicht der, dem alles lauscht So leer ist jedes Wort, an dem man sich berauscht. (weist auf den Präsidenten) Das ist jedoch ein Feld, wo der da ist Zuhaus Mit Worten nur aus Luft kennt er sich wahrlich aus. Nichts liebt er nämlich mehr als heldenhafte Pose Ich sag es Euch voraus, das Ding geht in die Hose. Wir werden ihn erleben, folgt ihnen auf dem Fuß ... DER PRÄSIDENT Hiermit verkünde ich, von heute an ist Schluss Mit schlechtem Management und heftigen Exzessen Was ich euch hier verkünde, soll keiner je vergessen. Vernehmet das Prinzip und beugt euch der Doktrin: Der Tugend Höhepunkt erstrebt der Mandarin Von diesem Tage an ist nichts mehr euer Bier Was fortan ist Gesetz, das hört ihr nur von mir. Die Krise löste ich in allergrößter Not Und beuge vor, wenn morgen die Zukunft aus dem Lot Doch bleibt das Kapital das Ziel, um das es geht Gleich unsrer Sonne fast, um die die Welt sich dreht Wir halten wacker Kurs in unsrer Umlaufbahn Verschiebt sich der Zenit, versinken wir im Wahn. (begeistert) Seht, wie mir großes Wort von selbst kommt aus dem Mund Von Göttern wohl diktiert, mit denen ich im Bund! In Zungen rede ich, erfüllt vom Heil‘gen Geist, der euch durch meinen Mund die helle Zukunft weist. Ich sag es noch einmal: die Tugend ist das Ziel Das Kapital ist gut, wird es durch sie nur viel. Die Ordnung, die es schafft, ist gradezu perfekt Noch die Moral dazu, schon glänzt es wie geleckt. Berater hier im Raum, ihr seid zu mir entsandt, zu helfen, dass mein Wort bald klingt im ganzen Land Wählt mir den besten Ort, erweckt die Leut, die müden, warum nicht nach Toulon, warum nicht in den Süden.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz Frédéric Lordon ist Ökonom. Der vorliegende Text ist ein Auszug aus „D‘un retournement de. Comédie sérieuse sur la crise financière, en quatre actes, et en alexandrins“, Paris (Seuil) 2011.

Le Monde diplomatique vom 12.08.2011, von Frédéric Lordon