11.12.2014

Phosphor und Profite

zurück

Phosphor und Profite

Eine kurze Einführung in die Düngerwirtschaft von Johannes Kotschi und Kathy Jo Wetter

Audio: Artikel vorlesen lassen

Noch nie wurde so viel gedüngt wie heute. In den letzten 50 Jahren hat sich der Verbrauch von Mineraldünger mehr als verfünffacht. Dabei ist die Verteilung sehr unterschiedlich. China ist mit einer durchschnittlichen Menge von 344 Kilogramm Mineraldünger pro Hektar und Jahr Spitzenreiter, gefolgt von Brasilien und Japan. In vielen afrikanischen Ländern hingegen kommt sehr wenig Dünger zum Einsatz, in Ruanda sind es 2,7 Kilogramm, in Ghana 7,5 Kilogramm. Und in Europa und den USA ist der Verbrauch in den letzten Jahren sogar gesunken. Im Allgemeinen sind die Böden der Industrieländer mit den wichtigsten Nährstoffen Stickstoff, Phosphor und Kalium überversorgt. Dies liegt aber weniger am Mineraldünger, sondern an den großen Futtermittelimporten, deren Nährstoffe über tierische Dünger, vor allem durch Gülle, in den Boden gelangen.

Pflanzen brauchen Nährstoffe, um wachsen zu können. Wenn dafür einzelne Nährstoffe über Mineraldünger zugeführt werden müssen, weil es keine Alternativen gibt, so ist darauf zu achten, dass nicht nur optimale Erträge erwirtschaftet, sondern auch die Bodenfruchtbarkeit erhalten und Umwelt und Klima geschont werden.

Weltweit entfallen 74 Prozent des Mineraldüngers auf synthetischen Stickstoff, in manchen Ländern sogar 90 Prozent. Das verursacht enorme ökologische Schäden: Die gängigsten Stickstoffdünger basieren auf Ammoniak, einer chemischen Verbindung, die den Boden stark versauert, was wiederum die Herauslösung des wichtigen Nährstoffs Phosphor erschwert. Außerdem fördert Stickstoff den Abbau von Humus, wodurch die Bodenlebewesen verhungern.

Stickstoff ist der einzige Nährstoff, der biologisch erneuerbar ist und damit umweltverträglich erzeugt werden könnte, nämlich durch den Anbau von Hülsenfrüchten, die in Symbiose mit Knöllchenbakterien Stickstoff atmosphärisch binden. Die Erzeugung heutiger und zukünftiger Nahrungsmittel wäre somit gesichert.

Zugleich könnte die für die synthetische Stickstoffgewinnung erforderliche fossile Energie eingespart werden. Das wären, da zur Herstellung von einer Tonne Ammonium etwa eine Tonne Erdgas benötigt wird, immerhin 1,5 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs. Trotzdem wird synthetischer Stickstoff in Entwicklungsländern zunehmend subventioniert. Vor allem Kleinbauern, die weltweit etwa 2,6 Milliarden Menschen mit Nahrung versorgen, sollen so ihre Erträge steigern. Dies gelingt vielerorts bestenfalls kurzfristig. Im schlechtesten Fall werden die Böden durch die Dünger langfristig zerstört.

Kleinbauern werden den zunächst subventionierten Dünger kaum zu Marktpreisen kaufen können. Die Mehrerlöse sind häufig zu gering. Dieser Mangel an Rentabilität wird sich verstärken, sobald die Kosten steigen, weil sich beispielsweise die fossile Energie oder knapper werdende Rohstoffe wie Phosphor verteuern. Daher sind alle Ansätze, die Landwirtschaft vorrangig durch Mineraldünger zu intensivieren zum Scheitern verurteilt und für Entwicklungsländer und Regionen mit Nahrungsmittelknappheit fatal.

Außerdem belasten Mineraldüngersubventionen die staatlichen Agrarhaushalte, schließlich handelt es sich um nicht nachhaltige Investitionen mit geringer oder negativer Verzinsung. In einzelnen afrikanischen Ländern machen diese Subventionen mehr als 45 Prozent des Agrarhaushalts aus. Dabei wäre es, um die Nahrungsproduktion zu steigern und den Hunger zu bekämpfen, weitaus sinnvoller, das Geld in landwirtschaftliche Beratung und Ausbildung sowie Infrastrukturentwicklung zu stecken.

Dennoch: auf Mineraldünger werden wir wohl nicht ganz verzichten können. Aber wir müssen ihn anders verwenden. Erstens: Für eine bessere Bodenfruchtbarkeit haben organische Dünger Vorrang, die den Humus im Boden anreichern und zu verstärkten Stoff- und Energiekreisläufen führen. Mineraldünger kommt ergänzend hinzu. Dazu eignen sich tierischer Dünger und Komposte ebenso wie Gründüngung, des Weiteren können Intensivbrachen, Agroforstwirtschaft und das Einbeziehen von Bäumen und Sträuchern in die Ackerbewirtschaftung einen Beitrag leisten.

Zweitens gilt es, dem zum Teil dramatischen Phosphatmangel in der Landwirtschaft zu begegnen. Da die Phosphatreserven allmählich zur Neige gehen, können neue Technologien das Recycling von Abwässern oder einen weniger umweltschädlicher Abbau lokaler Vorkommen ermöglichen.

Drittens brauchen wir eine „Stickstoffwende“. Der Umstieg von synthetischer Produktion auf biologische Stickstoffgewinnung ist möglich, wenn auch nicht von heute auf morgen, aber er sollte bald beginnen. Viertens müssen die versauerten Böden systematisch gekalkt und auf alle sauer wirkenden Mineraldünger sollte verzichtet werden.

Um einen solchen Strategiewechsel hin zu nachhaltiger Intensivierung herbeizuführen, müssen geeignete Technologien entwickelt und verbreitet sowie Fördermittel zur Verfügung gestellt werden. Und natürlich ist mit Widerstand zu rechnen seitens derer, die am jetzigen System der Finanzierung von Mineraldünger aus öffentlichen Mitteln sehr gut verdienen – allen voran die wenigen Großproduzenten und Händler. Wenn Mineraldünger einen sinnvollen Beitrag zur Ernährungssicherung leisten soll, ist eine vollkommene Neuorientierung bei Produktion, Handel und Düngung notwendig.

In Afrika kommt sehr wenig Dünger zum Einsatz – 2006 waren es im Durchschnitt 8 Kilogramm pro Hektar. Das könnte mithilfe eines geplanten Fonds anders werden, der für den gesamten Kontinent die Herstellung, den Vertrieb, die Beschaffung und den Einsatz von Düngemitteln finanzieren und die Menge bis zum Jahr 2015 auf mindestens 50 Kilogramm erhöhen soll. Der Fonds befindet sich zwar noch im Projektstadium, aber einzelne Länder haben bereits eigene Unterstützungsprogramme aufgelegt.

Über solche Subventionen freuen sich vor allem einige wenige Düngemittelhersteller, die über eine große Marktmacht verfügen. Die britische Unternehmensberatung MarketLine schätzt, dass 2013 weltweit Düngemittel im Wert von insgesamt 192 Milliarden Dollar verkauft wurden. 35 Prozent davon entfielen auf die zehn weltgrößten Unternehmen der Branche.

In allen wichtigen Düngemittel herstellenden Ländern (mit Ausnahme von China) kontrollieren die vier größten Firmen mehr als die Hälfte der Produktionskapazitäten. In manchen Ländern gibt es sogar nur ein einziges Düngemittelunternehmen. Der Bau einer Düngemittelfabrik erfordert gewaltige Investitionssummen, und oft übernimmt ein und dieselbe Firma gleich mehrere Schritte in der Produktionskette: Abbau der Rohstoffe, Verarbeitung, Herstellung der Endprodukte und Vertrieb.

Diese vertikale Integration schafft Hindernisse für den Marktzugang und den Wettbewerb. Unternehmen nutzen ihre Marktmacht aus und treffen nicht selten geheime Absprachen. Das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik (Ifpri) fand heraus, dass sich während der Nahrungsmittelpreiskrise von 2007 bis 2008 die Düngemittel noch mehr verteuerten als Öl oder landwirtschaftliche Erzeugnisse. Führende Düngemittelhersteller verzeichneten in diesen Jahren Rekordgewinne.

Die Branche unterhält enge Beziehungen zur Bergbauindustrie, die für die Gewinnung von Kaliumkarbonat (Pottasche) und Phosphat gebraucht wird, sowie zu Energiekonzernen, die das Erdgas und Strom liefern. Die meisten Düngermittelkonzerne waren einst Staatsbetriebe. Heute sind staatseigene Düngerhersteller selten. Eine Ausnahme bildet der weißrussische Kaliumkarbonatproduzent Belaruskali.

Die Vertriebsallianz Canpotex ist der weltgrößte Exporteur von Pottasche. Zu ihr gehören die im kanadischen Saskatchewan, wo mehr als ein Drittel des weltweit verarbeiteten Kalis herkommt, ansässigen Branchenriesen, unter anderem Agrium (der größte Düngemittelproduzent der Welt), Mosaic und PotashCorp. PotashCorp hält darüber hinaus größere Anteile an vier weiteren Branchenriesen, darunter der chinesische Staatsbetrieb Sinofert und die israelische ICL-Gruppe. 2014 verkaufte ICL seine Geschäftssparte Phosphatabbau und -produktion für 1,4 Milliarden Dollar an das US-Unternehmen Mosaic.

2013 brach zwischen der russischen Uralkali und der weißrussischen Belaruskali, beide Partner in einem Preiskartell, das unter dem Namen Belarusian Potash Company bekannt war, ein regelrechter Kalikrieg aus. Als die russische Uralkali sich Ende Juli 2013 aus dem Kartell zurückzog, warf sie Belaruskali Nebenabsprachen vor. Einen Monat später wurde der CEO von Uralkali in Weißrussland verhaftet, an Moskau ausgeliefert und unter Hausarrest gestellt. Als dieses Kartell auseinanderbrach, fielen die Preise für Kaliumkarbonat um 30 Prozent. Inzwischen steigt die Nachfrage wieder, insbesondere in großen Entwicklungsländern. Analysten sind vorsichtig optimistisch, dass die Preise wieder auf ihren alten Stand klettern.

Johannes Kotschi ist Agrarwissenschaftler und Mitbegründer des Vereins Agrecol; Kathy Jo Wetter ist Programmleiterin der Forschungsgruppe ETC in Durham, North Carolina, USA. Der vorliegende Text ist die Langfassung eines Beitrags aus dem „Bodenatlas 2015“, (Hg. Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, IASS Potsdam und Le Monde diplomatique). Der komplette Atlas liegt im Januar 2015 Le Monde diplomatique bei (nur in Deutschland und Österreich).

© Dieser Text steht unter der freien Lizenz CC-BY-SA-3.0

Le Monde diplomatique vom 11.12.2014, von Johannes Kotschi und Kathy Jo Wetter