08.01.2015

Der Terror in Pakistan

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Der Terror in Pakistan

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Am 16. Dezember 2014 haben die Taliban in Peschawar in einer von der Armee betriebenen öffentlichen Schule ein grausames Massaker angerichtet, bei dem 150 Menschen getötet wurden. Pakistans Taliban (TTP) rechtfertigten die Tat als Rache für die seit Juni 2014 laufende Militäroffensive „Zarb-e-Azb“ in Nordwaziristan, der auch Frauen und Kinder zum Opfer gefallen seien.

Das extrem brutale Attentat auf die Schule – viele Opfer wurden mit Kopfschüssen regelrecht hingerichtet – löste landesweit Empörung aus. Ministerpräsident Nawaz Sharif erklärte, die Tat habe „Pakistan verändert. Wir müssen die Geisteshaltung des Terrorismus auslöschen, um Extremismus und Sektierertum zu besiegen.“ Die Regierung stellte einen Nationalen Aktionsplan auf, woraufhin das Militär umgehend Taliban-Verstecke an der Grenze zu Afghanistan angriff. Bis zum Jahreswechsel wurden nach nicht zu überprüfenden Militärangaben 80 Dschihadisten getötet. Außerdem hob die Regierung für verurteilte Terroristen ein derzeit geltendes Moratorium für die Todesstrafe auf. Und sie will militärische Schnellgerichte für Terroristen einrichten. Landesweit gibt es 8 000 Todeskandidaten, darunter 500 „Terroristen“. Letztere würden laut Innenminister Chaudhry Nisar Ali Khan in den kommenden Wochen exekutiert: „Der Präsident hat schon ihre Gnadenappelle abgelehnt.“ Die ersten sieben wurden bereits im Dezember exekutiert. In Umfragen begrüßt eine große Mehrheit die Aufhebung des Moratoriums trotz Einwänden von Menschenrechtlern, dass manche Todesurteile auf Folter beruhten. Andere meinen, die Todesstrafe würde die Selbstmordattentäter nicht abschrecken. Noch umstrittener sind jedoch die laut Verfassung nicht vorgesehenen Militärtribunale, weil sie die Justiz gegenüber dem mächtigen Militär schwächen.

Die Aufhebung des Moratoriums für die Todesstrafe und die Militärtribunale sind die zentralen Punkte im Antiterrorplan der Regierung. Des Weiteren sind vorgesehen: Durchsetzung des Verbots von Milizen, Maßnahmen gegen Hassreden, Propaganda und Finanzierung von Terroristen, Registrierung und Regulierung der Koranschulen, wirtschaftliche Unterstützung für die Grenzregion zu Afghanistan und Gesetzesverschärfungen, die das Abhören von Terrorverdächtigen erleichtern.

Viele Maßnahmen basieren auf der Erkenntnis, dass der Terrorismus nicht nur mit militärischen und polizeilichen Mitteln bekämpft werden kann. Entscheidend ist, ob Islamabad an seiner Strategie festhält, die in Nachbarländern aktiven pakistanischen Terrorgruppen zu schonen. Zwar haben der Regierungs- wie der Armeechef versprochen, gegen alle Terroristen vorzugehen. „Aber in Wirklichkeit gibt es hier keinen Konsens“, sagt die Militärexpertin und Kommentatorin Ayesha Siddiqa aus Islamabad. „Pakistanische Führer wollen an einigen Militanten festhalten, um Indien zu bekämpfen oder Einfluss in Afghanistan zurückzugewinnen.“ Bei der Militäroffensive in Nordwaziristan werde beispielsweise das afghanische Haqqani-Netzwerk nicht angetastet, das dort seinen Rückzugsraum hat und mit den afghanischen Taliban und al-Qaida verbunden ist.

Der angekündigte Politikwechsel wird sich an zwei Personen ablesen lassen: Zaki-ur-Rehman Lakhvi von der Terrorgruppe Lashkar e-Taiba wird von Indien beschuldigt, 2008 die Terroraktion in Mumbai befehligt zu haben. Er sitzt seit 2009 in Pakistan in Haft. Ein Gericht ordnete zwei Tage nach dem Schulmassaker seine Freilassung an. Die Regierung geht dagegen vor – Ausgang unklar. Der andere ist Maulana Abdul Aziz, Imam der Roten Moschee in Islamabad. Aziz war 2007 an einem Aufstand beteiligt, bei dem mehr als 100 Menschen in der Moschee starben. Nach dem Angriff auf die Schule predigte er Verständnis für die Terroristen. Es kam zu Protesten, die Demonstranten wurden von Aziz’ Anhängern bedroht und erstatteten daraufhin Anzeige. Der Haftbefehl gegen Aziz wurde bisher nicht vollstreckt.

Lakhvi und Aziz sind nur zwei Vertreter für den von Pakistan ausgehenden, stets scheinheilig verbrämten Terror im In- und Ausland. Solange sich diese Situation nicht ändert, dürfte das Schulmassaker vom 16. Dezember kein Einzelfall bleiben. Sven Hansen

Le Monde diplomatique vom 08.01.2015, von Sven Hansen