09.11.2007

Il parlamento, il presidente

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Il parlamento, il presidente

Das italienische Parlament besteht aus der Abgeordnetenkammer und dem Senat. Obwohl beide Kammern am selben Tag gewählt werden, kommt es zu Differenzen in deren Zusammensetzung, weil die Bestimmungen über die Wahlberechtigung unterschiedlich sind: Für die Kammer gilt ein Mindestalter von 18 Jahren, für den Senat dagegen von 25 Jahren (außerdem müssen Mitglieder des Senats mindestens 40 Jahre alt sein).

Jedes Gesetz muss eine Mehrheit in beiden Kammern finden. Die Regierung Prodi hat eine „sichere Mehrheit“ in der Abgeordnetenkammer, aber nur eine äußerst knappe Mehrheit im Senat. In der zweiten Kammer sitzen auch ehemalige Staatspräsidenten und von diesen ernannte „Senatoren auf Lebenszeit“. Letztere haben sich mehrheitlich für Prodi ausgesprochen und bilden heute das Zünglein an der Waage. Das erklärt den Slogan der Rechten, Prodi verfüge im Senat über keine „gewählte“, sondern nur eine „ernannte“ Mehrheit.

Derzeit muss Prodi bei jeder wichtigen Abstimmung mit einer Niederlage im Senat rechnen. Dass die Regierung bisher nicht gestürzt wurde, verdankt sie der Weisheit der meist über 80-jährigen Senatoren auf Lebenszeit, aber auch dem Selbsterhaltungstrieb der neugewählten, jüngeren Abgeordneten in beiden Kammern, die sich ihre Pensionsansprüche erst durch eine gewisse Dienstzeit erwerben müssen.

Der Weg zu den von Berlusconi und den Oppositionsparteien geforderten Neuwahlen ist nicht leicht zu beschreiten. Berlusconi hatte noch ein neues Wahlgesetz durchgesetzt, das die Mehrheit der Abgeordneten als unzureichend bezeichnet. Viele erwarten von der Regierung Prodi ein neues Wahlgesetz und erst danach Neuwahlen.

Bei einer oder mehreren schweren Abstimmungsniederlagen muss Prodi allerdings beim Staatspräsidenten seinen Rücktritt einreichen. Ein konstruktives Misstrauensvotum ist in der italienischen Verfassung nicht vorgesehen. Es liegt in der Macht des Staatspräsidenten den Rücktritt anzunehmen, den gleichen oder einen anderen Politiker mit der Bildung einer neuen Regierung zu beauftragen oder die Kammern aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben.

In solchen kritischen Phasen kann aus einem eher dekorativen Staatspräsidenten ein großer Weichensteller werden. Seine übrigen Machtbefugnisse sind eher bescheiden: Gesetze bedürfen seiner Unterschrift und können von ihm zurückgewiesen werden; er muss sie allerdings unterzeichnen, falls beide Kammern des Parlaments sich auf einen Text einigen. Der Staatspräsident kann im Laufe seiner Amtszeit fünf „Senatoren auf Lebenszeit“ ernennen und er hat ein starkes Mitspracherecht bei der Besetzung der höchsten Ämter in Armee und Polizei.

Außerdem ist der Präsident Vorsitzender des höchsten Selbstverwaltungsorgans der italienischen Justiz (Consiglio Superiore della Magistratura). Dieser Funktion kommt angesichts des Dauerkonflikts zwischen Exekutive und Justiz zentrale Bedeutung zu. Völlig ausgehöhlt ist dagegen die auf dem Papier wichtige Kompetenz des Staatspräsidenten für die Entscheidung über Krieg und Frieden, da Kriege heute nicht mehr „erklärt“ werden.

Giorgio Napolitano ist der 11. Staatspräsident Italiens. Seine Vorgänger sind in ganz unterschiedlichen Rollen erinnerlich: Staatspräsident Segni (1962–1964) als Mitwisser eines rechten Putschversuchs; Saragat (1964–1971) als Blockierer der großen Offensive der Arbeiterbewegung; Leone (1971–1978) als Exempel blauäugiger Korruption; Pertini (1978–1985) als erster Präsident, der einer „aus dem Widerstand hervorgegangenen Republik“ Ehre machte; Cossiga (1985–1992), der mit seinen Alleingängen den Untergang der 1. Republik beschleunigte; Scalfaro (1992–1999), der als großer Lotse beim Übergang zur 2. Republik eine Machtergreifung Berlusconis verhinderte; Ciampi (1999–2006), der in entscheidenden Augenblicken durch Bedeutungslosigkeit hervorstach. Und nun Giorgio Napolitano.

Le Monde diplomatique vom 09.11.2007