14.12.2007

Zum Referendum von Venezuela

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Zum Referendum von Venezuela

Es war ein turbulentes Jahr für Venezuela. Das ist nichts Neues. Revolutionen bestehen aus Turbulenzen und Stürmen. Diesmal war die Ursache der Vorschlag zu einer Verfassungsreform, den der Präsident im Dezember 2006 kurz nach seinem fulminanten Wahlsieg angekündigt hatte. Damals hatte er gesagt, er werde fünf Motoren anwerfen, um die Gesellschaft in den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu führen. Einer dieser Motoren sollte die Verfassungsreform sein, die in der Volksabstimmung vom 2. Dezember mit 51 zu 49 Prozent knapp verworfen wurde.

Man darf sich aber von den Zahlen nicht täuschen lassen. Die politische Niederlage war sehr deutlich. Der Präsident und seine Verbündeten, die in fast allen Departements und Gemeinden die führende Kraft sind und fast alle öffentlichen Machtpositionen kontrollieren, griffen für die Durchsetzung parteilicher Interessen nach Belieben auf staatliche Gelder und auch auf die staatlichen Massenmedien zurück. Man setzte zudem die Beamten unter Druck, die Kampagne für die Verfassungsreform zu unterstützen.

Diese Skrupellosigkeit fand ihre Entsprechung auf Seiten der Opposition. Auch sie bediente sich der Medien, die sie unterstützen, und – in den wenigen Regionen und Gemeinden, die sie kontrolliert – der öffentlichen Ressourcen; und sie bekam außerdem, wenn auch spärlich, Geld vom „Empire“. Im revolutionären Venezuela von heute ist der Staat mehr denn je Beute derer, die gerade das Sagen haben – egal welcher Partei.

Am Sonntag, den 2. Dezember, hat die Opposition nicht einen „Pyrrhussieg“ errungen, wie Chávez am Montagmorgen sagte. Nach Angaben der Nationalen Wahlbehörde CNE verlor der Präsident gegenüber den Wahlen vom Dezember 2006 über 3 Millionen Stimmen, der Anteil der Nichtwähler stieg von damals 25 auf nun 44 Prozent. Das heißt, ein Teil des Chávez-Lagers beteiligte sich nicht an der Abstimmung.

Weshalb? Es sind viele Fehler gemacht worden, auch vom Präsidenten. Er begann den Reformprozess mit dem Vorschlag seiner unbegrenzten Wiederwahl. Ein schlechter Anfang in einem Land mit einer langen Tradition von Caudillos und Diktatoren, die die Verfassung geändert haben, um sich an der Macht zu verewigen. Dann sprach er von einer Einheitspartei, um seinen Sozialismus voranzubringen, und weckte damit Unbehagen bei seinen Verbündeten. Im August präsentierte er seinen Vorschlag zur Verfassungsreform als sein „eigenhändiges“ Werk. Kann denn eine Verfassung oder ihre Reform das persönliche Werk von irgendjemandem sein? Die Debatte, die folgte, war sporadisch, oberflächlich und von kurzer Dauer und schaffte noch mehr Verwirrung darüber, was Chávez unter dem Sozialismus des 21. Jahrhundert eigentlich versteht.

Inhaltlich ging es bei einigen der vorgeschlagenen Artikel um recht radikale und tief greifende Veränderungen – nicht nur um eine Reform. Für die Ausarbeitung solcher Artikel hätte eine verfassunggebende Versammlung einberufen werden müssen, denn sie verändern die Magna Charta von 1999 substanziell. Die wichtigsten dieser Artikel betreffen: die Rückkehr zu einem zentralistischen Staat, eine neue administrative Aufteilung des Landes, die Schaffung einer Volksmacht, zudem die unbegrenzte Wiederwahl des Präsidenten und dessen Befugnis, in allen neuen territorialen Einheiten die obersten Vertreter zu ernennen, die Zentralbank zu kontrollieren und die Beförderungen von Militärs persönlich zu genehmigen.

Entscheidend für das Nein zum Vorschlag des Präsidenten war auch die verschlechterte Lebensqualität in den großen Städten Venezuelas. Dort war die Ablehnung größer als im Landesdurchschnitt. Mit schmutzigen und unsicheren Großstädten, die ernsthafte Probleme bei der Basisversorgung haben, wie Strom und öffentlichen Verkehrsmitteln, mit Inflation und Mangelwirtschaft kann keine Regierung Wahlen gewinnen. Die Bolivarianer, berauscht von ihrer revolutionären Rhetorik, vernachlässigen das Wichtigste: zu regieren. Bei der notwendigen Kurskorrektur ist es absolut dringlich, wieder auf den Boden zu kommen und sich an die Arbeit zu machen – nicht um ein Werk von monumentaler Größe zu errichten, sondern für eine Politik des Alltags, die es den Menschen ermöglicht, zu arbeiten und von den Früchten ihrer Arbeit in Sicherheit und Würde zu leben.

Margarita López Maya

Aus dem Spanischen von Thomas Schmid

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 14.12.2007, von Margarita López Maya