Hinter deutschen Gittern
LIEBLINGSSERIE? „Hinter Gittern“ natürlich. In den Gemeinschaftsräumen der Berliner Justizvollzugsanstalt für Frauen läuft jeden Montagabend der Fernseher. Es gibt „Fangemeinschaften“ der Serie über ein Frauengefängnis. „Hat aber nichts mit uns zu tun“, sagen die Gefangenen, „außer der Bettwäsche“, die tatsächlich genauso aussieht wie im Fernsehen. Der größte Unterschied zwischen ihrer Wirklichkeit und der Fernsehhandlung sind die Haftgründe. In der Serie sind sechs der zehn Hauptfiguren Mörderinnen. In Berlin-Lichtenberg sitzen zwei von 235 Frauen wegen Tötungsdelikten. Drogendelikte sind dagegen überrepräsentiert. „Man kann anhand der Flugpläne schon vorher abschätzen, aus welchen Städten die Frauen kommen“, sagt der Leiter des Berliner Gefängnisses, Matthias Blümel, „sie kommen mit Drogen, sehen Deutschland das erste Mal und bleiben gleich vier bis fünf Jahre.“ Gewaltdelikte seien dagegen wenig vertreten. „Es gibt nicht so viele Frauen, die mit einer MP in eine Bank gehen und sie ausrauben“, sagt Blümel. Das deckt sich mit der Statistik. 2001 lag der weibliche Anteil an der registrierten Kriminalität in Deutschland bei 23,2 Prozent.
Wenn Frauen strafbar werden, dann eher mit Bagatelldelikten. Deshalb fällt der Anteil von Frauen in Haft noch hinter den in der Verurteiltenstatistik zurück: Nicht alle „weiblicheren Vergehen“ werden gleich mit Haft bestraft. 2001 waren nur 4,3 Prozent aller Strafgefangenen in Deutschland Frauen.
Ihre geringe Zahl hat für die weiblichen Häftlinge fast nur Nachteile. Obwohl nach deutschem Recht Frauen prinzipiell getrennt von Männern untergebracht werden müssen, sind nur drei Anstalten organisatorisch und räumlich selbstständig: in Berlin, Hamburg und Frankfurt. Ansonsten sind sie Anhängsel von Männergefängnissen. Weil es mehr Männergefängnisse gibt, bedeutet die Unterbringung in einem Männerknast für die Frauen meistens auch, dass sie näher an ihrem Wohnort sind, also näher an Familie und Freunden. Das ist insbesondere für Frauen mit Kindern wichtig.
Doch wenn weniger als 10 Prozent der Insassen weiblich sind, kommen die Frauen zu kurz. Ihre Betreuung fällt hinter die der Männer zurück. Oft werden Frauen immer noch mit Kochen, Waschen und Flicken beschäftigt, während die Männer in Werkstätten arbeiten. Damit qualifizieren sich die Frauen kaum für einen Job, den sie nach der Entlassung bräuchten. Auch die Ausbildung ist dürftig bis hausfraulich. Selbst die reine Frauenanstalt in Berlin ist erst vor kurzem dazu übergegangen, neben der Arbeit in der Schneiderei und der Gärtnerei auch Computerkurse anzubieten.
Die Plätze in Mutter-Kind-Einrichtungen sind rar. Frauen dürfen mit ihren Kindern im Gefängnis nur mit Zustimmung des Jugendamts leben, wenn sie nicht drogenabhängig sind. Und die Kinder dürfen bei der Entlassung nicht älter als drei sein. In Deutschland gibt es insgesamt 65 Plätze für Mütter mit Kindern, etwa ein Drittel der Anstalten für Frauen bietet überhaupt die Möglichkeit. Den anderen fehlen Räume oder Personal oder beides. Oft sind die Anstaltsleiter auch unsicher, ob sie das Kind mit aufnehmen sollen, denn die Einteilung in Mütter mit Kindern und andere Häftlinge führt, so ihre Befürchtung, wiederum zu Konflikten. Außerdem werden die Kinder nach und nach oft doch ein wenig wie Gefangene behandelt. Matthias Blümel von der JVA in Berlin erzählt von einem Kind, das allen Leuten mit dickem Schlüsselbund mehr Achtung entgegengebracht hat als seiner Mutter und „vor jeder Tür stehen geblieben ist, bis irgendwer sie geöffnet hat, auch wenn sie gar nicht abgesperrt war“.
Der Minderheitenstatus, den Frauen in den meisten Gefängnissen haben, bedeutet schließlich, dass in den Anstalten kaum weiter differenziert werden kann. In vielen Gefängnissen ist es kaum möglich, wie vorgeschrieben Minderjährige von Erwachsenen zu trennen. In Berlin sind zwar 25 Zellen für Frauen leer, aber für jugendliche Täterinnen fehlen 10 Plätze. Unabhängig vom Alter treffen Ersttäterinnen auf Berufskriminelle, Gelegenheitstäterinnen auf Drogensüchtige mit einer langen Liste an Beschaffungsdelikten. Das macht die Haftzeit unangenehm und die Resozialisierung schwer. Hinzu kommen individuelle Nöte, Misshandlungen und Suchtprobleme. Trotzdem, sagt Blümel, sei die Zeit im Gefängnis für viele nicht die schlechteste. „Das spricht nicht für den Vollzug, das spricht gegen die Umstände draußen.“
Das Schattendasein der Frauengefängnisse hat allerdings auch einen Vorteil. Reformprojekte und Modellversuche werden weniger beachtet und können deswegen leichter durchgeführt werden als in Männergefängnissen. Die Berliner Frauen-JVA ist inzwischen die einzige Anstalt in Deutschland, in der sich die Häftlinge mit Spritzen versorgen können. Außerdem ist dort gerade ein Teil der Gitter vor den Fenstern zum Innenhof entfernt worden. Noch ein Unterschied zu „Hinter Gittern“.
MAREKE ADEN