Allgemeine Erholung in Thailand
HALBFERTIGE Gebäude als Ruinen der Finanzkrise von 1997/98, Symbole einer am Abgrund taumelnden Wirtschaft, verrotten in der tropischen Feuchtigkeit von Bangkok. Am Ufer des Chai Praya, wenige Fußminuten vom Luxushotel Oriental entfernt, in unmittelbarer Nähe der französischen Botschaft, ragt ein dreißigstöckiges Betonskelett in den Himmel. Niemand schenkt der Bauruine noch Beachtung, und das gilt auch für die zahllosen anderen, die das Zentrum wie die Peripherie der thailändischen Hauptstadt kennzeichnen.
Die befürchtete Rückkehr zu den Verhältnissen aus der Vorwirtschaftswunderzeit ist in Thailand nicht eingetreten. Die unmittelbar nach der Krise zu hörende Prognose, dem Land stünden bestenfalls magere Zeiten, schlimmstenfalls eine lang anhaltende Depression bevor, hat sich nicht bewahrheitet. Gewiss, die soziale Lage ist nach wie vor äußerst gespannt, doch die Wirtschaft floriert bei Wachstumsraten, die nahe an das Niveau der Wirtschaftswunderjahre heranreichen: Für das laufende Jahr schätzt man sie auf 6 Prozent. Dank der raschen Wiederauffüllung der Währungsreserven konnte das Land Anfang August, ein Jahr vor der festgesetzten Frist, alle Schulden beim Internationalen Währungsfonds begleichen – ein Erfolg, den Ministerpräsident Thaksin Shinawatra mit den Worten begrüßte: „Nie wieder wird Thailand zur Beute der Mächte des Auslandskapitals werden.“
DIESER Wirtschaftsnationalismus überrascht vielleicht bei einem konservativen Land, das vor nicht allzu langer Zeit noch als Musterbeispiel für umfassende Liberalisierung galt. Doch der „Washingtoner Konsens“ stößt inzwischen nicht nur in Thailand auf Ablehnung. Malaysia zum Beispiel schirmte sich bereits zu Beginn der Krise mit Kapitalmarktkontrollen ab und konnte in den vergangenen fünf Jahren beachtliche Wachstumsraten verzeichnen. Dieses Jahr sollen es 4,5 Prozent werden.
Die thailändische Regierung bemüht sich seit zwei Jahren mit einigem Erfolg, den Druck des Weltmarkts durch eine Stimulierung der Binnennachfrage, die Protektion strategischer Sektoren und die Förderung staatseigener Unternehmen zu mildern. Vor allem die Förderung der staatseigenen Unternehmen hat gute Ergebnisse gebracht. Obwohl Bangkok mit dem IWF 1998 ein Protokoll unterzeichnete, das für 1999 die Teil- oder Vollprivatisierung der Transport-, Energie- und Telekommunikationsunternehmen vorsah, gelang es, die Kontrolle über diese wichtigen Sektoren zu behalten. Vier Jahre nach der vom IWF gesetzten Frist befinden sie sich noch immer in staatlicher Hand.
Langfristig wird das Land die Produktionsstruktur diversifizieren und die Binnennachfrage ankurbeln müssen, um die Abhängigkeit vom Export einiger weniger Produkte – hauptsächlich elektronische Bauteile – zu verringern. Auf diesem Weg steht Thailand noch ganz am Anfang.