10.11.1995

Deutliche Kürzungen der Auslandshilfe

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Deutliche Kürzungen der Auslandshilfe

Von

IBRAHIM

WARDE *

EINS der wenigen Themen, bei dem sich fast alle Mitglieder der weißen männlichen Mittelschicht, die vermutlich den Republikanern im November 1994 zum Wahlsieg verholfen haben, einig sind, betrifft die Auslandshilfe. „Washington müßte endlich aufhören, Geld ins Ausland zu schicken, und lieber die Aufgaben im eigenen Land anpacken.“ So das Ergebnis einer Umfrage des Wall Street Journal. Dieses wird von einer Untersuchung der Universität Maryland bestätigt, der zufolge 75% der Amerikaner die gegenwärtige Höhe der Auslandshilfe für übertrieben halten und 64% eine Verringerung fordern. In der gleichen Untersuchung wurden die Befragten gebeten, den Anteil der Auslandshilfe am Bundeshaushalt zu schätzen und anzugeben, welcher prozentuale Anteil ihnen angemessen erschiene. Der gegenwärtige Anteil wurde durchschnittlich auf 18% geschätzt, und die Mehrheit war der Meinung, daß 5% vom Haushalt genug wären.1

Die gesamte Auslandshilfe der USA beträgt aber in Wirklichkeit weniger als 1% des Bundeshaushalts (13,6 Milliarden von insgesamt 1600 Milliarden Dollar) und nur knapp 0,15% des amerikanischen Bruttosozialprodukts. Aber der Mythos hält sich hartnäckig. Besonders lautstark ist in dieser Hinsicht Senator Jesse Helms, der Vorsitzende des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, der sich über die Summen erregt, die in „Rattenlöchern“ verschwinden, aber auch die Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Dana Rohrabacher, verkündet, daß die Vereinigten Staaten nicht mehr der „Dummkopf“ der ganzen Welt sein dürften.

Seit die republikanischen Kandidaten die Auslandshilfe im Rahmen des „Vertrages mit Amerika“ zum Wahlkampfthema gemacht und sich dafür eingesetzt haben, die dafür verwendeten Mittel zu verringern, soll nun der Haushalt bis zum Jahre 2002 saniert und die Auslandshilfe bis dahin um 23 Milliarden Dollar gekürzt werden. Im kommenden Jahr wollen Senat und Repräsentantenhaus die von der Exekutive angeforderte Summe (15 Milliarden Dollar) um 3 Milliarden kürzen, obwohl der Präsident sein Veto bereits angedroht hat.

Neben dem Streit um einzelne Beträge geht es aber auch darum, wer die Außenpolitik kontrolliert. Zwar ist dafür die Exekutive zuständig, aber die beiden Kammern des Kongresses, in denen die Republikaner die Mehrheit haben, entscheiden über die Finanzierung. Die Kongreßführung sieht nun die Gelegenheit gekommen, der Regierung, die immer noch nach einer außenpolitischen Doktrin sucht, neue Prioritäten aufzuzwingen.

Newton Gingrich, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, kritisiert den „albernen Multilateralismus“ der amerikanischen Diplomatie. Senator Mitchell McConnell, der Vorsitzende der Unterkommission für den Auslandshilfeetat, wirft der Regierung vor, sich in Regionen zu verzetteln, in denen das „nationale Interesse“ nicht auf dem Spiel steht, und faßt den Unterschied zwischen den beiden Parteien so zusammen: „Die Demokraten wollen die militärischen Verteidigungsmöglichkeiten reduzieren und unsere Truppen überall einsetzen; wir wollen eine stärkere Armee, die aber gezielter eingesetzt wird.“2 Allen Sparzwängen zum Trotz wollen die Republikaner den vom Pentagon aufgestellten Verteidigungshaushalt noch um 7 Milliarden Dollar erhöhen.

Der schärfste Kritiker der Regierung ist unbestritten Jesse Helms. Der Senator aus North Carolina läßt keine Gelegenheit ungenutzt, sowohl seine Verachtung für den amerikanischen Präsidenten als auch seine abweichende Meinung zu den meisten Fragen der internationalen Politik zum Ausdruck zu bringen. Über die Vorwürfe der Republikaner, die Regierung setze zu sehr auf Boris Jelzin und messe Rußland eine zu große Bedeutung gegenüber den anderen Staaten der früheren Sowjetunion bei, geht Helms noch hinaus: Für ihn bleibt Rußland der Todfeind Amerikas. Als Vorsitzender des außenpolitischen Senatsausschusses droht er, den gesamten diplomatischen Apparat des Landes (Ernennung von Botschaftern, Bewilligung von Haushaltsmitteln) zu blockieren, wenn er nicht eine Kehrtwendung der amerikanischen Außenpolitik durchsetzen könne. Vor allem versucht er die Waffenkontrollbehörde, das Informationsamt und insbesondere die Internationale Entwicklungsagentur (IDA) aufzulösen, die die Hälfte des Auslandshilfeetats verwaltet. Des weiteren will er das Außenministerium neu organisieren.

Die Regierung hält all dies für unakzeptabel und wirft dem Kongreß „Isolationismus“ vor. Präsident Clinton weist das Haushaltsargument zurück und erinnert daran, daß der diplomatische Dienst seit dem Beginn seiner Amtszeit zum einen schon abgespeckt habe (Streichung von 1000 Arbeitsplätzen im Außenministerium, Schließung von 21 Konsulaten, Reduzierung der Auslandshilfe um 20%) und daß der Etat des Außenministeriums zum anderen ohnehin schon sehr niedrig sei. Er beläuft sich insgesamt auf 21,6 Milliarden Dollar, was pro Familie und pro Jahr 44 Dollar ausmacht; davon müssen neben der Auslandshilfe die gesamten Kosten des diplomatischen Dienstes bestritten werden. Außenminister Warren Christopher erklärt dazu: „Wir können uns keine Außenpolitik zum Billigtarif erlauben. Unsere Mittel müssen im Verhältnis zu unseren Aufgaben stehen.“3

Davon wollen die republikanischen Kämpfer im Kongreß aber nichts hören. Im allgemeinen kümmern sie sich wenig um internationale Politik. Ihre Denkmuster richten sich am Inland aus4, und diese wenden sie auch auf die neue Politik der Auslandshilfe an: Die Hilfe schadet den Empfängern, denn sie schafft ein „Klima der Abhängigkeit“, das die Armut zum Dauerzustand macht. Das Rezept ist immer das gleiche: Von den „marktwirtschaftlichen Lösungen“ (Privatisierungen, Deregulierungen und Freihandel) wird das Heil kommen. Und ebenso wie in der Innenpolitik ist der „Kampf für die Werte“ den wirtschaftlichen Überlegungen übergeordnet. Das erklärt die Rückkehr zu der sogenannten Mexico-City-Politik (benannt nach dem Ort ihrer Verkündung durch Präsident Reagan im Jahre 1984), die von der Regierung Clinton aufgehoben wurde. Sie verbietet jede finanzielle Unterstützung für internationale Organisationen, die Schwangerschaftsabbrüche billigen...

Zwar werfen die Republikaner den amerikanischen Diplomaten vor, „den Realitäten der Zeit nach dem Kalten Krieg“ nicht gerecht zu werden, aber trotzdem tauchen die alten antikommunistischen Geister wieder auf. So soll die finanzielle Unterstützung für das „stalinistische“ Regime in Nordkorea ausgesetzt werden, die als Gegenleistung für die zivile Ausrichtung des nordkoreanischen Atomprogramms gewährt worden ist. Tibets Unabhängigkeit von China soll wieder auf die Tagesordnung kommen, und Chinesinnen, die fürchten, zur Abtreibung oder zur Sterilisation gezwungen zu werden, sollen Anrecht auf politisches Asyl erhalten. Kubanische Flüchtlinge sollen nicht befürchten müssen, in ihr Herkunftsland ausgewiesen zu werden.

Abgesehen von Israel und Ägypten, die eine gleich hohe Unterstützung wie im Vorjahr erhalten, wird die Hilfe für alle Länder gekürzt. Die beiden „heiligen Kühe“ – Israel mit 3,1 Milliarden Dollar und Ägypten mit 2,1 Milliarden – erhalten hingegen den Löwenanteil der Auslandshilfe, wenn man von Mexiko absieht, dem nach dem Kursverfall des Peso allein 20 Milliarden Dollar überwiesen wurden, die aber nicht im amerikanischen Haushalt auftauchen (siehe Kasten).

Da sich die großen Ausgabeposten nicht beschneiden lassen, muß der Kongreß also kleine Einsparungen vornehmen, denen diejenigen zum Opfer fallen, die ohnehin schon sehr arm sind und obendrein in Washington die schwächste Hausmacht haben. Betroffen ist vor allem die Entwicklungshilfe für den afrikanischen Kontinent, die gegenüber dem Vorjahr um 35% gekürzt worden ist.

Um diese Kürzungen zu rechtfertigen, ist jeder Vorwand recht: Die Hilfe für die Türkei, ehedem ein hochgeschätzter Verbündeter, wird gekürzt, weil die Türken die Kurden unterdrücken. Die Hilfe für Rußland wird gekürzt, weil das Land Waffen und Atomreaktoren an den Iran verkauft. Nicaragua muß wahrscheinlich auf 30 Millionen Dollar verzichten, weil das Land nicht genügend Verstaatlichungen rückgängig gemacht hat, die die Sandinisten vorgenommen hatten.

Die Exekutive beklagt sich zwar darüber, daß ihr ein wichtiges außenpolitisches Instrument aus der Hand genommen worden ist, zeigt sich jedoch trotzdem kompromißbereit: Sie stimmt den zusätzlichen Kürzungen zu, beharrt aber darauf, daß sie vom Präsidenten vorgenommen werden. Dieser betrachtet die Auslandshilfe als Investition in die Stabilität des internationalen Systems. Bill Clinton erinnert daran, daß die Hilfe für Rußland, Kasachstan und für die Ukraine als Gegenleistung für die Zerstörung ihrer Atomarsenale gewährt wird, daß zahlreichen Ländern eine gesellschaftliche Destabilisierung bevorsteht, wenn ausländische Hilfsgelder ausbleiben, und daß ein amerikanischer Rückzug dazu führen würde, daß Japan und Europa ihre jeweiligen Einflußzonen ausdehnen würden. Gleichgültig, ob es um den Kampf gegen „gesetzlose“ Staaten oder um die Ermutigung zu demokratischen Reformen oder zu Friedensinitiativen geht – die Finanzhilfe stellt immer ein Zuckerbrot zur Errichtung einer neuen Weltordnung dar.

Für Präsident Clinton hängt der Frieden im Nahen Osten „von unserer Fähigkeit ab, diejenigen zu belohnen, die für den Frieden Risiken auf sich nehmen“5. Das Camp-David-Abkommen, das 1978 von Israel und Ägypten unterzeichnet wurde, war ein Präzedenzfall. Seitdem sind alle Abkommen, die unter der Führung der Amerikaner geschlossen wurden, mit finanziellen Zusagen verknüpft. So wurde beispielsweise Jordanien für die Unterzeichnung des Friedensabkommens mit Israel eine Streichung seiner Schulden versprochen. Wenn nun die USA die Zusagen nicht einhielten, die ihre Führung gemacht hat, dann würden sie an Glaubwürdigkeit verlieren. Beim G-7-Gipfel in Halifax hatte Präsident Clinton 270 Millionen Dollar zum Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe für Bosnien – Herzegowina zugesagt, doch konnte er nur ein Drittel dieser Summe aufbringen.6

Heute betreiben die Vertreter vieler Länder in Washington eine verbissene und höchst kostspielige Lobbyarbeit, um zu retten, was noch zu retten ist. Doch die Regierungsorganisationen zeigen sich mit leeren Händen, um zu beweisen, daß sie mit ihren Geldern sparsam und vernünftig umgehen und daß sie den Thesen der neuen republikanischen Mehrheit beipflichten. Es ist durchaus möglich, daß die USA ihren Beitrag zum Etat der Weltbank um 40% kürzen werden. Aus diesem Grund hat die Weltbank Anzeigen in den Washingtoner Zeitungen geschaltet, um zu erklären, daß die Regierung der USA auf dem Umweg über die Weltbank „etwas für ihr Geld bekommt“. Die Internationale Entwicklungsagentur, die der Kongreß aufzulösen versucht, verbreitet in den Zentren des politischen Establishments eine umfangreiche Dokumentation, mit der sie beweisen will, daß 80% der Hilfsgelder auf Umwegen wieder in die Vereinigten Staaten zurückfließen.7

dt. Christian Voigt

1 The New Yorker, 6. Februar 1995.

2 The New York Times, 12. Dezember 1994.

3 The Los Angeles Times, 24. Mai 1995.

4 Siehe: Serge Halimi, „Virage à droite aux États-

Unis“, Le Monde diplomatique, Dezember 1994.

5 The Los Angeles Times, 8. Mai 1995.

6 The Los Angeles Times, 30. Juni 1995.

7 Newsweek, 29. Mai 1995.

* Professor an der Universität Berkeley

Le Monde diplomatique vom 10.11.1995, von Ibrahim Warde