10.11.1995

Solidarische Industrielle

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Solidarische Industrielle

KAUM war der US-Sender ABC von Disney aufgekauft worden, hielt er es für nötig, sich bei der Firma Philip Morris/R.J. Reynolds zu entschuldigen.1 Grund war eine Reportage, in der behauptet worden war, die Tabakhersteller setzten ihren Produkten absichtlich Nikotin zu, um bei den Rauchern Gewöhnungserscheinungen zu erzeugen. Die Beweise schienen erdrückend, sie waren bereits dem Repräsentantenhaus vorgelegt und von der Regierung Clinton zur Kenntnis genommen worden. Aber die Angst vor dem kostspieligen Rechtsstreit mit einer Firma, mit der es sich Disney nicht verderben will, hat ABC zu einem erniedrigenden öffentlichen Rückzieher gezwungen. Die für die Untersuchung Verantwortlichen wollten dabei nicht mitspielen, aber vergebens – das Recht auf Information mußte hinter der Unternehmenslogik zurückstehen.

Aber damit nicht genug. Philip Morris, bekannt für die Sorge um die bürgerlichen Freiheiten (die Firma finanziert die Wahlkampagnen des rechtsextremen republikanischen Senators Jesse Helms)2, hat bei American Express um Zahlungsbelege zu den Kreditkarten der ABC-Reporter gebeten, um deren Informanten ausfindig zu machen, und American Express beeilte sich, dieser Bitte nachzukommen.3 Damit die Kreditkarte nicht zu einem neuen Mittel der sozialen Kontrolle wird, beschlossen zahlreiche amerikanische Journalisten daraufhin, die kleine Plastikkarte von American Express zu zerreißen.

S. H.

1 Diese beiden Firmen stellen unter anderem folgende Zigaretten her: Camel, Winston, Gold Coast (R.J. Reynolds), Marlboro, Chesterfield, Merit und Philip Morris.

2 Allein zwischen Januar und Juli 1995 hat Philip Morris, um die Einführung neuer nationaler Vorschriften in bezug auf seine Produkte zu verzögern, 729749 Dollar an die Republikanische Partei bezahlt. Das ist das Siebenfache dessen, was die Firma im vergangenen Jahr beiden großen amerikanischen Parteien gespendet hat.

3 Auf unsere Nachfrage räumten Michael O'Neill, der Vizepräsident von American Express, und Sean Murray, der Pressesprecher von Philip Morris in Brüssel, ein, daß es da ein Problem gebe. Murray fügte hinzu: „Ich meine mich zu erinnern, daß American Express uns diese Quittungen irrtümlicherweise zugeschickt hat. Wir haben sie ihnen sofort zurückgesandt.“

Le Monde diplomatique vom 10.11.1995, von S.H.