Das Schreckgespenst der Invasion
IM Jahre 1987 wurde in der ABC-Fernsehserie „Amerika“ angekündigt, daß die Russen vor Ablauf von zehn Jahren, als Blauhelme der Vereinten Nationen verkleidet, amerikanisches Territorium besetzen würden. Für einige aufrechte Krieger der Ultra-Rechten, zu denen die mutmaßlichen Urheber des Attentats auf das Regierungsgebäude in Oklahoma City zählen, hat die Realität die Fiktion schon – fast – eingeholt.
Die amerikanische Geschichte ist gespickt mit derartigen Anfällen von Paranoia, mit Gerüchten von phantastischen Verschwörungen, bei denen sich Einwanderer und die Mafia, FBI und Gewerkschaften, Banker und rassische oder religöse Minderheiten miteinander verbünden oder auch gegeneinander antreten. In „JFK“, dem Film über die Ermordung Präsident Kennedys in Dallas, zeigt Oliver Stone, daß diese nebulöse Wahrnehmung der Wirklichkeit nicht nur einige unverbesserliche Anhänger der arischen Ordnung betrifft. Auffälliges Merkmal der letzten Jahre ist vielmehr, daß die phantastischen Theorien über derlei Umtriebe inzwischen auch von einflußreichen Vertretern der Rechten formuliert werden. So forderte Pat Robertson, Vorsitzender der Christian Coalition, die republikanischen Kandidaten für das Weiße Hauß ultimativ auf, zu seiner These Stellung zu nehmen, wonach es eine uralte satanische Verschwörung zwischen George Bush, John Lennon, der trilateralen Kommission und den Vereinten Nationen gebe, die die Errichtung einer Weltregierung und die Herrschaft des Antichrist zum Ziel habe.
PAT Robertson beschwört den Angsttraum von schwarzen UNO-Soldaten, die durch amerikanische Städte streifen, und erinnert an den Präzedenzfall vom Kongo 1960 und „jenes Foto eines belgischen Siedlers, dessen Frau und Kinder auf der Erde hinter einem Volkswagen liegen, niedergemetzelt von afrikanischen Truppen der Vereinten Nationen. Wenn so etwas dort geschehen konnte, dann ist es auch bei uns möglich“1.
Eine solche Verschwörung würde dann auch das Drama von 1993 in Waco, Texas, erklären, wo amerikanische Bundespolizisten die Mitglieder einer Sekte zu entwaffnen versuchten und sie dabei niederschossen. Denn für die Milizen der extremen Rechten haben die Erfahrungen der Russen in Afghanistan wie die der Amerikaner und Franzosen in Indochina gezeigt, daß das Volk, selbst wenn es schlecht bewaffnet ist, die am besten ausgerüsteten Truppen besiegen kann. Jede Reglementierung von Bürgerwehren und des Verkaufs von Feuerwaffen würde folglich das Geschäft künftiger Invasoren erleichtern. Bereits heute zeigen sich manche Bewohner von Pennsylvania beunruhigt über eine neue Straßenbeschilderung, von der sie glauben, sie diene dazu, die Bewegungen ausländischer Besatzungstruppen unter dem Kommando der Vereinten Nationen zu erleichtern. „Schwarze Hubschrauber“ der internationalen Organisation sollen zudem den amerikanischen Westen überflogen haben, wo die Stationierung umfangreicher russischer Waffen bereits durch Dokumente und Fotos bewiesen sei.
Doch man wird die Souveränität des Landes verteidigen: Norman Olson, Kommandeur einer Bürgerwehr in Michigan, forderte in einem Schreiben an Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, die UNO solle ihre „militärischen Manöver“ über dem „Hoheitsgebiet von Michigan“ einstellen.
S.H.
1 vgl. „The Right Wing Media Machine“, Extra!, New York, März/April 1995. Siehe auch Dale Russakoff, „Panic in Middle America“, The Washington Post National Weekly Edition, 15. Mai 1995, und Gary Wills, „The New Revolutionaries“, The New York Review of Books, 22. Juni 1995.