10.05.1996

Die Stabilität des Landes ist gefährdet

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Die Stabilität des Landes ist gefährdet

■ Im Vergleich zu seinen Nachbarn im Maghreb – insbesondere dem von Gewalt zerrütteten Algerien – wird Marokko in den Medien zumeist als politisch stabiles Land mit großem ökonomischem Potential dargestellt, an dessen Spitze mit König Hassan II. ein Staatsmann von Format stehe. Dieses Bild ist zwar nicht völlig falsch, aber offensichtlich trügerisch, denn die Stabilität des Landes ist aus dreierlei Gründen stark gefährdet. Die schwere Krankheit von König Hassan II. im letzten Winter hat heftige Besorgis au. Seine Lebenserwartung dürfte drei Jahre nicht übersteigen. Dabei ist die Frage seiner Nachfolge keineswegs geklärt. Der offizielle Nachfolger, Prinz Sidi Mohammed, wurde von seinem Vater nicht wirklich auf die Rolle des Staatschefs vorbereitet, zumal sich der König offenbar vorbehält, die Krone seinem zweitältesten Sohn Moulay Rachid zu übergeben. Diese von den Bürgern mißbilligte Palastintrige schafft eine geradezu shakespearsche Atmosphäre des Machtverfalls und ruft Aasgeier und Hyänen, Genräle n omsae auf den Plan, die das Ableben des Monarchen erwarten, um selbst auf politischen Beutezug zu gehen. Zum zweiten ist die soziale Lage äußerst gespannt. Rund um die Großstädte breiten sich Elendsviertel aus, in denen all jene hausen, die vor der ländlichen Armut und der feudalen Willkür geflohen sind. Die Hälfte der Einwohner sind Analphabeten. 17 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung haben keine Arbeit, bei den 15-25jährigen sind es sogar 30 Prozent. Die Schattenwirtschaft wächst ebenso ie de Shmggl ndde Handel mit Drogen, vor allem Haschisch, das Marokko als Hauptexporteur nach Europa verschifft. Auf diesem Nährboden von Elend, Korruption und Mißstand gedeiht der Islam. Ein gemäßigter Islam zwar, der aber mittlerweile in der Gesellschaft so tief verwurzelt ist, daß – sofern die von der Mehrzahl der Bürger gewünschte demokratische Öffnung weiter voranschreitet – eine islamistische Organisation, nämlich „Gerechtigkeit und Wohltätigkeit“, möglicherweise die Wahlen gewinnen könnte. Wi in Ageren,wo ie slaisce Heilsfront (FIS), damals auch eine gemäßigte Partei, im Dezember 1991 die Wahlen gewann, woraufhin es bekanntlich zu einem militärischen Staatsstreich kam und in der Folge der Bürgerkrieg ausbrach.

Von ABDERRAHIM LAMCHICHI *

ANFANG Dezember 1995 verkündeten die marokkanischen Behörden, Scheich Abdessalam Yassin, 69 Jahre alt und die Symbolfigur des marokkanischen Islam, werde bald seine Freiheit wiedergewinnen. Tatsächlich konnte der seit beinahe sechs Jahren in Salé (nahe der Hauptstadt Rabat) unter Hausarrest stehende islamische Führer am 13. Dezember Besucher empfangen, darunter Führer der Organisation „Gerechtigkeit und Wohltätigkeit“ (El Adl wal Ihsan).

Am 15. Dezember begab sich Yassin in eine Moschee, wo er vor dem zahlreich versammelten Publikum eine sehr polemische Rede hielt. Er verurteilte das Embargo gegen den Irak. Er dankte den Demokraten, die sich für seine Befreiung eingesetzt hatten, verwarf jedoch gleichzeitig die „importierte“ Ideologie der Menschenrechte, da diese in seinen Augen bereits „durch den Koran“ garantiert seien. Ohne die monarchistische Regierung offen anzugreifen, kritisierte er die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Israel und bezeichnete die Friedensverhandlungen im Nahen Osten als „arabische Kapitulation“. Schließlich kritisierte er die „politisch statt spirituell“ geprägten Programme der Opposition. Bereits in seinem Buch „Dialogue avec les honorables démocrates“, das im Buchhandel praktisch nicht erhältlich war, hatte der Scheich die Demokratie und den Säkularismus, die „Verwestlichung der Sitten“ und die „falschen“ Menschenrechte angeprangert. „Wahre Demokratie“ beruht für ihn auf der „islamischen Lösung“, durch die „die Herrschaft Gottes“ errichtet werden soll.

Einige Tage später, am 20. Dezember 1995, machten die Behörden die Aufhebung des Hausarrests rückgängig. War es die Furcht, der Einfluß des charismatischen Führers sei größer als erwartet? Die Angst, die Kultstätten könnten politisiert werden? Innenminister Driss Basri beschränkte sich auf die Erklärung: „Abdessalam Yassin steht nicht unter Hausarrest, sondern unter Polizeischutz.“

Dieses Ereignis gibt die ambivalenten Beziehungen des Machtapparats zur islamistischen Opposition recht genau wider: weder Freilassung noch Gefängnis. Das Regime verfolgt eine Doppelstrategie: Integration und Toleranz gegenüber kritischen islamistischen Strömungen (ohne sie jedoch zu institutionalisieren), und andererseits Repression gegenüber Gruppen, die auf Gewalt zurückgreifen.

Ein kurzer Überblick über die Geschichte der islamischen Bewegung in Marokko läßt zwei Phasen erkennen: eine Anfangsphase in den sechziger und siebziger Jahren, während derer die Gesellschaft mit Duldung der Regierung infiltriert wurde und die radikale islamische Bewegung expandierte. Sie endet zu Beginn der achtziger Jahre, als die Radikalisierung eines Teils der islamistischen Strömungen die Regierung zu einer Änderung ihrer Politik in zweifacher Hinsicht nötigt: stärkere Repression sowie eine stärkere Kontrolle des religiösen Lagers. Die zweite Phase ab Mitte der achtziger Jahre zeichnet sich durch die Schwächung der radikalen Strömungen und eine Zunahme jener Gruppierungen aus, die für eine „Reislamisierung“ der Gesellschaft plädieren – jedoch innerhalb des gesetzlichen Rahmens der Monarchie.

Die Opposition spalten

IN den siebziger Jahren wurde die Mehrzahl der islamistischen Gruppen vom Regime direkt unterstützt (manchmal sogar gegründet), um dadurch die linke und linksextremistische Opposition zu bekämpfen. Es war eine Zeit der Repression (Inhaftierungen, Folter, „Verschwindenlassen“, Hinrichtungen, große politische Prozesse wie der von Kenitra im Jahr 1973 oder der von Casablanca 1978 ...) gegen die fortschrittlichen Bewegungen.

Die Repression gegen die Linke ging einher mit dem Dschihad, den die militanten Islamisten gegen die „Atheisten“ führten. Diese Phase der Gewalt erreichte ihren Höhepunkt in dem Mordversuch an Abderrahim Miniaoui, einem Lehrer und Mitglied der Kommunistischen Partei in Casablanca, und vor allem in dem Mord an Omar Benjelloun, dem Führer der Sozialistischen Union der Volkskräfte (USFP), am 18. Dezember 1975.

Zwei große Bewegungen beherrschten den Bereich des politischen Islam: die „Bewegung der islamischen Jugend“ (MJI) und die Organisation „Gerechtigkeit und Wohltätigkeit“. Die MJI entstand gegen Ende der sechziger Jahre (manche behaupten, auf Initiative der Regierungsbehörden). Tatsächlich fanden nach der Hinrichtung von Sayyed Qotb, dem Chef der ägyptischen Muslimbrüder, und der Verfolgung dieser Bruderschaft durch Gamal Abdel Nasser mehrere hochrangige Vertreter dieser Organisation und anderer Bruderschaften des Nahen Ostens (vor allem Syriens) Unterschlupf in Marokko. Sie nahmen Kontakt zum Lehrermilieu auf, insbesondere zu Abdelkrim Muti, einem Inspektor der höheren Schulen und Begründer der MJI, der zur Galionsfigur der marokkanischen islamischen Bewegung werden sollte.

Nach ihrer offiziellen Anerkennung im Jahre 1972 begann die MJI ihre Lehren an den Schulen und Universitäten zu verbreiten. Als ideologische Grundlage dienten ihr die Schriften von Sayyed Qotb und Hassan al-Banna, dem Begründer der Muslimbrüder. Finanziell unterstützt wurde die MJI von Saudi-Arabien und von islamischen Organisationen in Ägypten, dem Libanon, Syrien und so weiter.

Nach der Verwicklung einiger seiner Mitglieder in den Mord an Omar Benjelloun (die MJI wurde kurz danach aufgelöst) ernannte Muti eine Untergrundführung und floh; Stationen seiner Reise waren Saudi-Arabien, Kuwait, der Iran, Libyen, Algerien und Europa. Für die MJI begann nun eine Periode des Rückzugs, innerer Kämpfe und der Radikalisierung, die einige Strömungen auf den Weg des Terrorismus führen sollten.

In dieser Zeit traten mehrere Untergrundgruppen in Erscheinung, die vom Ausland aus (Frankreich, Belgien, Libyen, Algerien) dirigiert wurden: die „Gruppe für die Wahrheit“ und die „Bewegung der marokkanischen Mudschaheddin“ mit ihrem Organ al-SiyÛssah – bei dem Prozeß von Casablanca im Jahre 1985 wurden Aktivisten dieser Bewegung zu schweren Strafen verurteilt, beim Prozeß von Marrakesch von 1986 wegen des Einfalls einiger bewaffneten Mitglieder von Nordmarokko aus ebenfalls. Ferner entstand die von Belgien aus von Abdelkrim Muti geleitete „Gruppe des Dschihad“, von der einige Mitglieder ebenfalls im Prozeß von Casablanca verurteilt wurden. Später sollten an einem algerischen Grenzübergang durchgeschleuste Waffen gefunden werden, was den Prozeß der Gruppe Hakimi in Casablanca zur Folge hatte; es tauchten der „Rat von Gottes Volk“ auf (seit 1990 mit dem Organ „Al- Muslim al-SiyÛssi“) und die „Jugend der islamischen Revolution“, mit iranischer Ausrichtung – Aktivisten dieser Gruppierung wurden ebenfalls im Prozeß von Casablanca im Jahr 1985 verurteilt. Nach diesem Prozeß versuchten diese Organisationen erfolglos, sich im Rahmen des „Islamischen Hohen Rates für den Heiligen Krieg“ neu zu konstituieren.

Geschwächt durch die Repression, die inneren Kämpfe und den Mißerfolg ihres Versuches, eine breitere Mobilisierung zu erreichen, verschwanden die meisten Gruppierungen wieder von der Bildfläche, und ihre Führungen entschlossen sich, in der Halblegalität oder im Rahmen legaler kultureller Organisationen zu agieren.

Mitte der achtziger Jahre ging die Regierung zur Repression über, nachdem Islamisten 1984 an den „Hungeraufständen“ teilgenommen hatten, die in den großen Städten zu blutigen Unruhen führten. Die Sicherheitsmaßnahmen führten zu einer stärkeren Kontrolle der politisch-religiösen Vereinigungen, jedoch wurden sie nicht aufgelöst. Die Regierung nahm in erster Linie eine Neuordnung des religiösen Bereichs vor: Kontrolle der Kultstätten (vor allem durch ein Verbot nichtautorisierter Predigten), Institutionalisierung eines „Klerus“, Überwachung der Ausbildung der Geistlichen sowie die Einrichtung eines Obersten Rates der Ulema, der neben dem Ministerium für Heiligtümer und islamische Angelegenheiten den Bau und die Nutzung der Moscheen, die Ernennung der Imame und der Prediger und so weiter mit drakonischer Strenge regelt.

Diese Politik bewährte sich insofern, als der radikale politische Islam offenbar einer gemäßigteren Form Platz gemacht hat, die eher die „Hebung der gesellschaftlichen Moral“ anstrebt als den politischen Protest. So ist eine islamistische Konkurrenzorganisation zur MJI entstanden, die stärker als diese ist und von Anfang an auf eine Integration ins politische System gesetzt hat: die von Scheich Abdessalam Yassin geleitete Vereinigung „Gerechtigkeit und Wohltätigkeit“.

Der aus bäuerlichem Berbermilieu stammende Yassin, Arabischlehrer und später Grundschulinspektor, wurde durch seine theologischen und politischen Schriften bekannt, die zu Beginn der siebziger Jahre erschienen und das Regime heftig kritisierten. 1974 wurde er nach der Herausgabe eines offenen Briefes an Hassan II. mit dem Titel „Islam oder Sintflut“ wegen Majestätsbeleidigung eingesperrt. Das Buch ist eine Mischung aus Vorwürfen, Schmähungen und religiöser Predigt. Es wechselt zwischen der Mahnrede an den Monarchen, Kritik an der Korruption in der Verwaltung und freundschaftlichen Ratschlägen für den Thronfolger. Das Werk wurde als „unverschämt“ angesehen und brachte seinem Autor die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, eine Gefängnisstrafe und die Frühpensionierung ein. Nach der Haftentlassung gründete Yassin die Zeitschrift al-Dschamaa (Die Versammlung) und 1979 die Organisation „Gerechtigkeit und Wohltätigkeit“, welche 1989 offiziell aufgelöst wurde, nachdem ihr Gründer in Salé unter Hausarrest gestellt worden war.

Die Organisation bestand jedoch weiter und gab 1983 die Zeitschrift al-Sobh (Die Morgenröte) heraus. Sie greift die linken Parteien scharf an, nimmt gegenüber dem Regime aber eine versöhnliche Haltung ein. „Gerechtigkeit und Wohltätigkeit“ lehnt Gewalt als Mittel zur Machterlangung ab (obwohl ihre Aktivisten wenig Skrupel zeigen, Gebrauch von ihr zu machen, insbesondere gegen fortschrittliche Studenten) und betont immer wieder, daß sie eine legale politische Partei werden möchte, die im Rahmen der Verfassung agiert. Ihr Sprecher Fathallah Arssalan erklärte im Hinblick auf die Ereignisse in Algerien, daß er „Gewaltanwendung mißbillige“ und „die Massaker an Kindern und Intellektuellen verurteile“, welche von den „Bewaffneten islamistischen Gruppen“ (GIA) oder der „Armee des islamischen Heils“ (AIS) verübt wurden, und unterstützte die gemäßigten islamistischen Bewegungen Algeriens wie Hamas und al-Nahda von Mahfoud Nahnah und Abdallah Dschaballah.

In ihrer Zeitschrift und in zahlreichen anderen Publikationen verurteilen die Mitglieder der Organisation die sozialen Ungleichheiten und den Verfall der Sitten. Ihr erklärtes Ziel besteht in der „Rückkehr zum Gesetz Gottes“ auf legalem Wege, und eine Lösung der Gesellschaftskrise liegt für sie in der Anwendung der Scharia. Die Organisation verdankte der Auflösung der MJI einen Anhängerzuwachs. Die inneren Kämpfe im diffusen radikalen Milieu kamen ihr zugute, und sie konnte kontinuierlich ihre Basis durch die Rekrutierung von Führungskräften und Sympathisanten erweitern, die der Gewalt abgeschworen hatten.

Neben dieser Organisation streben auch andere islamistische Gruppierungen eine legale Betätigung an: so etwa die „Vereinigung für Reform und Erneuerung“ von Abdelilah Benkiran, die die am Kiosk erhältliche Zeitung al-Rayah (Die Fahne) herausgibt und beteuert: „Die Monarchie ist für die Marokkaner eine historische, politische und soziale Notwendigkeit.“

Weitere kleine Gruppierungen agieren ganz legal. Beispielsweise die Zeitschrift al-Dschisr (Die Brücke), die vor allem in den Studentenkreisen von Casablanca und Rabat zirkuliert; die von Mustafa Ramid herausgegebene Zeitschrift al-Sahua (Das Erwachen); Proselyten-Vereinigungen wie etwa die „Vorhut des Islam“; die in Casablanca, Rabat und Tanger vertretene „Vermitteln und Predigen“; die „Partisanen des Islam“, die vor allem in Fès und Tetuan tätig sind; die vorwiegend im studentischen Milieu von Casablanca, Rabat und Fès verwurzelte „Allianz“ und andere mehr.

Alles weist darauf hin, daß sich die Mehrzahl der in den siebziger Jahren entstandenen islamistischen Strömungen in Richtung eines „Islamismus des Kompromisses“ mit dem Regime entwickelt hat. Die meisten bekannten Führer haben sich für eine Strategie des „Druckes“ zur „Hebung der Moral“ im politischen, sozialen und kulturellen Leben entschieden. Die militanten Bewegungen, die für Gewalt eintraten, sind verschwunden oder führen ein Untergrunddasein. Es gibt jedoch noch kleinere Gruppierungen, wie sich an den verschiedenen Hilfeleistungen ablesen läßt, die manche Widerstandsgruppen der algerischen GIA oder der AIS erhalten. Junge Aktivisten, die enttäuscht sind von einem sozioökonomischen System, das sie ausschließt, werden im geeigneten Moment ohne zu zögern zur Tat schreiten. In der jüngeren Vergangenheit ist dieser mitunter sehr radikale und gewalttätige Aktivismus bereits offen zutage getreten, so etwa im Januar 1979 bei den Protesten gegen den Besuch des Schah von Persien, im März 1979 bei den Demonstrationen gegen das Camp-David-Abkommen, 1990 und 1991 während des Golfkrieges sowie bei allen „Hungeraufständen“: im Januar 1981, im Januar 1984, im Dezember 1990 und so weiter. Gegenwärtig aber haben sich die Islamisten für die Legalität entschieden, bei gleichzeitiger langsamer Infiltrierung der Gesellschaft.

Diese Verwurzelungsarbeit erfolgt vor allem an den Universitäten durch die materielle Unterstützung der Studenten und durch eine Strategie des Einsickerns, insbesondere in die Nationale Studentenorganisation Marokkos (UNEM). Diese Strategie trägt Früchte, da diese Organisation bei den Hochschulwahlen über die linken Strömungen, vor allem die der extremen Linken nahestehenden baathistischen Studenten (al-Ka'idiyin), gesiegt hat. An allen Hochschulen und Akademien (in Marrakesch, Oujda, Fès, Rabat, Casablanca, Meknès und Tanger) versuchen die Islamisten, den häufig armen Studenten durch Beschaffung von Unterkünften, Lehrbüchern, Fotokopien der Skripte und so weiter zu helfen; sie richten Solidaritätsfonds ein und unterstützen die Forderungen nach Verkehrsverbindungen, Stipendien, besseren Studienbedingungen, Unterkünften ... Parallel dazu veranstalten sie Kulturtage, Diskussionsvorträge zum Islam und zu gesellschaftlichen Problemen, Ausstellungen von islamistischen Büchern und Broschüren et cetera. Die anderen von ihnen bevorzugten Gebiete sind die Moscheen (trotz der Überwachung durch die Polizei); das Thema „gute Sitten“ (die jungen Mädchen werden zum Tragen des Kopftuches aufgefordert und vor der Prostitution – ein großes Problem in Marokko – gewarnt); Ungleichheit und Korruption; die Praxis der „islamischen Wohltätigkeit“ in den Armenvierteln der Großstädte (Spenden an die Armen, Verteilung von Medikamenten, Mietbeihilfen, Alphabetisierungskurse und Nachhilfeunterricht, Abhaltung von „islamischen“ Hochzeiten, Gründung von Sportclubs und so weiter).

Neben diesen soziokulturellen Aktionen verfolgen sie weiterhin die Strategie des Einsickerns in die Gewerkschaften und die politischen Parteien, im wesentlichen in die USFP, wo die Islamisten, so scheint es, in vielen Sektionen präsent sind, und in die Istiqlal, die klassische Rechte. So kann man sagen, daß der politische Islam heute alle sozialen Schichten in Marokko zu durchdringen scheint.

dt. Andrea Marenzeller

Dozent für Politikwissenschaften an der Universität der Picardie. Letzte Publikation: „Islam, Islamisme et modernité“, Paris (L'Harmattan) 1994.

Le Monde diplomatique vom 10.05.1996, von Abderrahim Lamchichi