Außenpolitik im Takt algerischer Trommelschläge
PIERRE Claverie, der Bischof von Oran, wurde am 1. August 1996 ermordet, just als der französische Außenminister Hervé de Charette Algerien seinen ersten offiziellen Besuch abstattete. Wieder einmal haben dramatische Ereignisse die Frage nach der französischen Strategie aufgeworfen. Seit dem Beginn des zweiten Algerienkriegs schwanken die Beziehungen der beiden Hauptstädte zwischen Zerwürfnissen und stillem Einverständnis, ohne daß Paris je zu einer klaren Linie gefunden hätte.
Von LUCILE PROVOST *
Seit Beginn des Bürgerkriegs in Algerien im Jahr 1992 ist es Frankreich nicht gelungen, eine klare politische Haltung diesem Konflikt gegenüber zu finden. Bestimmend ist nach wie vor die Unterstützung der algerischen Machthaber. Sie drückt sich vor allem in finanziellen Hilfszahlungen in einer Größenordnung von vier bis fünf Milliarden Franc aus, die 1996 bis 1997 entgegen allen Gerüchten über Kürzungen in aller Stille verlängert wurden. Doch gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es richtig war, sich für diese politische Ausrichtung zu entscheiden. Die Bilanz ist in der Tat alles andere als überzeugend: Frankreich hat weder die Sicherheit seiner Staatsbürger in Algerien noch die seines eigenen Territoriums bewahren können. Genausowenig ist es gelungen, ein Klima des Einvernehmens mit dem herrschenden Regime in Algerien herzustellen.
Seit September 1993, als zwei französische Landvermesser im Westen Algeriens getötet wurden, hat es immer wieder Attentate gegeben, die gegen Frankreich gerichtet waren. Manche waren besonders spektakulär, wie die Entführung dreier Konsularbeamter in Algier im Oktober 1993, die Ermordung von fünf Agenten der französischen Botschaft (darunter drei Gendarmen) durch ein bewaffnetes Kommando im August 1994 oder die Entführung eines Airbusses der Air-France im Dezember 1994.
Daß es schließlich, im Sommer und Herbst 1995, auch auf französischem Boden zu Anschlägen kam, weckte Ängste vor einem Export der Gewalt. Nach einem relativ ruhigen halben Jahr haben die Entführung und anschließende Ermordung von sieben Mönchen in der Region von Médéa im Mai 1996 und kurz darauf die Ermordung des Bischofs von Oran, Pierre Claverie, erneut gezeigt, daß weder das Regime noch die bewaffneten Gruppen darauf verzichtet haben, Frankreich in ihren Kampf hineinzuziehen.
Abgesehen von diesen Gewalttaten herrscht zwischen beiden Hauptstädten ein Klima gegenseitigen Argwohns, wenngleich Frankreich nach wie vor Algeriens wichtigster Handelspartner ist. Die Flugzeugentführung vom Dezember 1994 hatte verschiedene Verständigungsprobleme deutlich werden lassen. Die Regierung von Edouard Balladur war damals mit den algerischen Machthabern aneinandergeraten, die sich unter Berufung auf die nationale Souveränität zunächst weigerten, das Flugzeug in Algier starten zu lassen, obwohl das Risiko eines Blutbads bestand. Paris konnte schließlich den Abflug der Maschine durchsetzen, die kurz darauf in Marseille zur Landung gezwungen wurde. Erst nach einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Außenminister Alain Juppé, der für eine entschlossene Haltung gegenüber dem algerischen Regime eintrat, und dem Innenminister Charles Pasqua, der es vorzog, nicht zu intervenieren, wurde damals die französische Position festgelegt.
Die Wahl von Jacques Chirac, dem Wunschkandidaten Algiers, im Mai 1995 gab Anlaß zu der Vermutung, es werde eine Annäherung stattfinden. Trotz der Anschläge in Paris entschied sich der neue französische Staatspräsident, seine Sympathie für Liamine Zéroual öffentlich zu unterstreichen, indem er sich bereit erklärte, ihn im Oktober 1995 am Rande der UNO-Generalversammlung in New York zu treffen. Für Zéroual, der gerade für die Präsidentschaftswahlen kandidierte, kam dieses Gipfeltreffen einer Legitimierung gleich.
Drei Tage vor dem Treffen veränderte eine erneute Explosion im Pariser Regionalverkehrsnetz die französische Sichtweise grundlegend. Jacques Chirac brach ein bedeutendes Tabu: Indem er ankündigte, die französischen Finanzhilfen von einer Demokratisierung abhängig zu machen, ging er implizit auf bestimmte Forderungen der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) ein. Um nicht den Eindruck zu erwecken, man gebe den Drohungen der Terroristen nach, wurde das geplante Gespräch mit Zéroual nicht abgesagt, Frankreich äußerte jedoch den Wunsch, die Modalitäten des Treffens im Hinblick auf mehr Diskretion neu zu bestimmen. Das algerische Regime beschloß daraufhin, die Zusammenkunft auf unbefristete Zeit zu verschieben, und nutzte die Gelegenheit, eine antifranzösische Kampagne zu starten.
Seitdem ist das Unbehagen in Paris deutlich zu spüren. Zéroual wurde zwar in einem relativ freien Urnengang mit sehr hoher Wahlbeteiligung zum Präsidenten Algeriens gewählt, doch die populärsten Parteien, die ehemalige Islamische Heilsfront (FIS) oder die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), nahmen an dieser Wahl nicht teil, die zudem auch innerhalb der Nationalen Befreiungsfront (FLN) selbst umstritten war. Die Führung des Landes ist dieselbe geblieben, und die schlechte Stimmung gegenüber Frankreich, die während des Wahlkampfs zum Ausdruck gekommen war, hat nicht nachgelassen. Besonders deutlich war sie im Frühjahr 1996 zu spüren, als der algerische Geheimdienst anläßlich der Entführung der Mönche jegliche Zusammenarbeit mit seinem französischen Pendant verweigerte.
Dieses Klima wirkt sich auch auf andere, weniger medienwirksame Bereiche negativ aus. Die Luftfahrtgesellschaft Air Algérie weigert sich nunmehr seit über einem Jahr trotz des französischen Entgegenkommens, den Flugverkehr nach Paris wiederaufzunehmen. Dieser war 1995 unterbrochen worden, als die Flüge aus Sicherheitsgründen von Orly nach Roissy verlegt worden waren. Tausende in Frankreich wohnende Algerier, die über den Sommer gerne in ihre Heimat zurückkehren würden, haben das Nachsehen.
UNTERSTÜTZUNG
Trommelschläge
* Verfasserin von „La Seconde Guerre d'Algérie“, Le Quiproquo franco-algérien, Paris (Flammarion) 1996.