13.09.1996

Lukrativer Handel mit wilden Tieren

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Lukrativer Handel mit wilden Tieren

IN Asien hat der neue Wohlstand eine geradezu beängstigende Ausweitung des Handels mit freilebenden Tieren zur Folge. Und dies, obwohl bereits 130 Staaten das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen, das sogenannte Washingtoner Artenschutzübereinkommen (WA), unterzeichnet haben, dessen zehnte Konferenz im Juni nächsten Jahres in Simbabwe stattfinden soll. Auf der Tagesordnung steht die Neubewertung des Status mehrerer Tierarten, ein Spagat zwischen größtmöglichem Schutz und erlaubter Vermarktung. Freilich steht nicht zu erwarten, daß sich an der bisherigen Haltung der betroffenen Staaten Grundlegendes ändern wird.

Von ALAIN ZECCHINI *

In China müssen in zuchthausähnlichen Farmen zehntausend Bären in Eisenkäfigen leben. Zweimal täglich wird ihnen mit einem Katheter Galle entnommen, die zur Herstellung von Medikamenten dient. Die Abnehmer sind asiatische Gemeinden in aller Welt, trotz des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen, das auch Peking unterzeichnet hat. Die Ausbeutung von Tigern und Rhinozerossen soll in Kürze eingeleitet werden. In Japan plant man derzeit ganze Meeresanlagen zur Haltung von Walen.

Auf der ersten Europa-Asien-Konferenz im März 1996 haben die beteiligten Staatschefs und Regierungen kein Wort über den blühenden Handel mit Raubtieren zwischen den beiden Kontinenten verloren. Auch gegenüber Peking wird in dieser Frage Stillschweigen bewahrt.

Die traditionelle chinesische Medizin, die sehr häufig tierische Produkte einsetzt, stellt derzeit die größte Bedrohung für die freilebende Fauna dar: Rhinozerosse, Raubkatzen, Bären, Schildkröten, Wale, Haie, Saigas (eine Antilopenart), Seepferdchen, Affen, Pangoline (zahnlose Schuppentiere aus der Familie der Säugetiere), Schlangen und Krokodile und viele andere Tierarten sind gefährdet. Die meisten von ihnen stehen auf der roten Liste der Welt-Naturschutz-Union (IUCN) und zählen zu den vom Aussterben bedrohten Arten, mit denen nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen nicht grenzüberschreitend gehandelt werden darf.

Außer zur Arzneimittelherstellung im Fernen Osten werden die Produkte dieser Tiere in den verschiedensten Ländern zu unterschiedlichen Zwecken verwandt: Primaten und Blutegel für Forschungszwecke; Vögel, Fische, Reptilien und Vogelspinnen als „Haustiere“; im Handwerk und bei der Schmuckherstellung wird Elfenbein eingesetzt, das Horn von Flußpferden1 und neuerdings von Phakochoerus, einem afrikanischen Warzenschwein, ferner das Horn des Nashorns, die Haut von Reptilien, das Fell der Raubkatzen, Vogelfedern und auch das Fell des Großen Panda2. Haie, Störe, Wale und Frösche werden gegessen...

Typisch ist der Fall des Moschusböckchens. Die Drüse dieses Tieres, die ungefähr 25 Gramm Moschus enthält, ist nicht nur im Fernen Osten zur Herstellung eines Medikaments gegen Blutkrankheiten, sondern auch im Westen als Essenz für Parfüm begehrt. Frankreich importiert jedes Jahr mehrere Kilogramm Moschus aus Hongkong, wofür Hunderte Tiere geschlachtet werden müssen.

Auf diesem unkontrollierten Wildtiermarkt hat Japan die Führung übernommen, gefolgt von China, der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und Kanada. In Japan ist man geradezu versessen auf Roten Thunfisch (dessen Population im westlichen Atlantik innerhalb von zwanzig Jahren zu 90 Prozent verschwunden ist), auf Elfenbein, Wale oder Schildkröten. China, wo Kontrollen durch die internationale Gemeinschaft außerordentlich schwierig sind, importiert wohl am meisten unterschiedliche Arten und Tierprodukte. Nach Spanien gelangen alljährlich illegal Hunderttausende Schimpansen und Papageien. In Belgien herrscht eine Nachfrage nach den Geschlechtsorganen des Tigers sowie nach Elfenbein. Deutschland ist die Drehscheibe für den Handel mit Raubvögeln, die aus Nordeuropa, Spanien sowie Frankreich stammen und insbesondere in den Nahen Osten teuer weiterverkauft werden. Die Vereinigten Staaten und Kanada führen Reptilien, Primaten und Vögel ein.

In den Zwischenhandelsländern wird diesen Geschäften ein legaler Anstrich verliehen. Neben Deutschland dienen auch Österreich, Griechenland und Portugal als Umschlagplätze. Die Länder des ehemaligen Ostblocks, inklusive Rußland, wo in alarmierendem Umfang gewildert und geschmuggelt wird, ziehen nach. In Südostasien und im Nahen Osten sind Birma, Thailand, Singapur, Indonesien, Taiwan, Macao, Hongkong, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Oman sowohl Zwischenhändler als auch Abnehmerländer. Gleiches gilt in Südamerika für Französisch-Guayana, Bolivien, Surinam, Argentinien, Paraguay und Kolumbien. Mittlerweile spielt auch Südafrika, das im übrigen zur Drehscheibe des Drogenhandels wurde3, beim Schmuggel mit dem Nasenhorn des Rhinozeros und mit Elfenbein eine bedeutende Rolle.

Dieser außerordentlich lukrative Handel garantiert gewaltige Gewinne bei geringem Einsatz. So konnte man 1993 mit einem Kilo Nasenhorn des Schwarzen Rhinozeros, das dem afrikanischen Zwischenhändler, der es von Wilderern erworben hat, für umgerechnet 180 bis 600 Mark abgekauft wurde, im Endstadium seiner Verarbeitung zum Arzneimittel zwischen 5.000 und 10.000 Mark erzielen. Bei diesem Geschäft liegt das Risiko allein bei den kleinen Gaunern: Im südlichen Afrika etwa oder auch in China wird auf Wilderer scharf geschossen. Nur selten werden die Zwischenhändler festgenommen, und noch seltener rechtlich verfolgt. In Indien führt der berüchtigte Sansar Chand die Behörden seit zwanzig Jahren an der Nase herum, dabei kann er eine „Jagdbeute“ von mehreren zehntausend Fellen und Hunderten Kilogramm an Knochen geschützter Raubkatzen, vor allem von Tigern und Leoparden, vorweisen. In Kanada wurde der illegale Import von Elfenbein erstmals am 1. Dezember 1994 gerichtlich geahndet.

Geschäftemacherei und Korruption, die in einigen Staaten selbst höchste Regierungskreise einbezogen, trugen nicht unwesentlich dazu bei, daß dieser Handel kräftig wuchern konnte. In den siebziger Jahren ließ sich Südafrika seine bewaffnete Unterstützung der Guerillas in Mosambik, Namibia oder Angola mit Stoßzähnen von Elefanten und dem Nasenhorn des Rhinozeros bezahlen. Diesen großangelegten illegalen Beutezügen fielen in Angola mehr als hunderttausend Elefanten zum Opfer, das Rhinozeros wurde dort ebenso wie in Mosambik praktisch ausgerottet, vom Abschlachten der Flußpferde, Büffel und anderer Huftiere für den menschlichen Verzehr – manchmal bis zur Vernichtung der Art – ganz abgesehen. Kürzlich hat die Botschaft Nord-Koreas in Sambia, die in finanziellen Schwierigkeiten steckt, von ihrer Regierung die Anweisung erhalten, „sich mit dem Handel von Elfenbein und Nasenhorn des Rhinozeros aus der Klemme zu helfen“4.

Um dem Rückgang bestimmter Tierpopulationen entgegenzuwirken, wurden unzählige Projekte für den Artenschutz entwickelt. Eines der größten Hindernisse stellt die Haltung der „Erzeugerländer“ dar, die wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Tierwelt ergreifen müßten. Dazu bedarf es nicht nur einer ernsthaften Bereitschaft, sondern auch bedeutender finanzieller Mittel: Entlohnung und Ausrüstung für das Personal von Parks und Reservaten, eventuelle Entschädigungen für benachbarte Dorfgemeinschaften, Vergütungen für den unverzichtbaren Aufbau eines Netzes von Informanten über die Aktivitäten der Wilderer etc. Die betroffenen, überwiegend afrikanischen Länder sind jedoch mittellos, und nur sehr wenige reiche Nationen unterstützen die nationalen oder internationalen Bemühungen um den Erhalt der Arten.5

Erschwerend kommt die politische Instabilität hinzu sowie die fehlende oder unzureichende Gesetzgebung vor Ort: „Mindestens 25 Prozent der Vertragsparteien (Unterzeichnerstaaten des Washingtoner Artenschutzübereinkommens) haben noch keine nationalen Gesetze verabschiedet, um die Anordnungen der Konvention durchzuführen und wirksam anzuwenden. In weniger als 20 Prozent der Länder ist die Anwendung aller Verfügungen der Konvention gesetzlich gewährleistet.“6 Staaten wie Birma, Bhutan, Laos, Oman, Taiwan, die Türkei oder der Jemen haben das Übereinkommen immer noch nicht unterzeichnet.

Auch Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Entwicklung bedeuten eine Gefahr für freilebende Tiere. Nach Schätzungen des Population Reference Bureau, einer unabhängigen, in den Vereinigten Staaten ansässigen Organisation, dürfte die Bevölkerung bis zum Jahre 2025 in Asien um 40 Prozent zunehmen und in Afrika von 720 auf 1510 Millionen Einwohner anwachsen. Mit beunruhigender Stetigkeit wird die Fläche der Naturlandschaften verringert zugunsten von Ackerbau, Weideland oder zur Ausbeutung mineralischer oder pflanzlicher Rohstoffe. Die einzelnen Staaten können den Forderungen nach einer Verminderung „überzähliger“ Tiere schwer widerstehen. Im Nationalpark von Akagera in Ruanda, der zum militärischen Trainingslager der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) und zum Aufnahmegebiet für dreihunderttausend Tutsi-Hirten mit ihren Viehherden wurde, dürften in absehbarer Zeit Zebras, Gazellen und Antilopen aus ihrem angestammten Lebensraum verschwinden – die Rhinozerosse sind dort bereits seit langem ausgerottet.

In Südafrika fragt man sich hingegen, wie man mit der Überzahl an Elefanten umgehen soll. Alle, auch die Umweltschützer, suchen nach einer Lösung, und die Befürworter der Vernichtung einerseits und der Umsiedlung oder Gefangennahme für den Transport in Zoos andererseits liefern sich heftige Auseinandersetzungen.7

Die größte Bedrohung dürfte in Zukunft jedoch von Südostasien ausgehen. Dieser Subkontinent „mag noch mit einem Fuß in der Dritten Welt stehen (...), er stellt jedoch ein Potential von fast einer halben Milliarde Verbrauchern dar, von denen gut zwanzig Millionen bereits einen Lebensstandard wie in Westeuropa erreicht haben.“8 Anders als manche gehofft hatten, haben diese wohlhabenden Bevölkerungsschichten ihre überlieferten Sitten durch den Kontakt mit westlichen Technologien keineswegs aufgegeben, sondern bekunden im Gegenteil ein erneuertes Interesse an Traditionen. So werden in den vornehmsten Restaurants Asiens unter anderem Bärentatzen und Tigerpenisse aufgetischt.

Diese gängige Praxis, die auf der viertausend Jahre alten östlichen Medizin gründet, sucht das Gleichgewicht der Prinzipien von Yin und Yang, das geistige und körperliche Gesundheit verleihen soll.9 Ein Überschuß an Yang, dem heißen Prinzip, wird mit „kalten“ Heilmitteln behandelt: mit dem Horn des Rhinozeros und des Saiga oder mit Bärengalle. Dagegen wird Yin durch „Heißes“ ins Gleichgewicht gebracht: durch Tiger- oder Leopardenknochen und Moschus vom jungen Stier. Auch wenn die Wirksamkeit nicht bewiesen ist, verlassen sich Hunderte Millionen Menschen auf diese Alchimie. Diese kulturelle Eigenart wird zuweilen sogar in den Westen „importiert“10.

Die meisten asiatischen Länder geben vor, diesen Handel zu überwachen. Regelmäßig veröffentlichen sie Ergebnisse von Nachprüfungen in den Apotheken, die besagen, daß die fraglichen Erzeugnisse, wenn überhaupt, nur in verschwindend geringen Mengen vorhanden sind.

Was hier auf dem Spiel steht, wird von der internationalen Gemeinschaft in seiner Tragweite kaum richtig eingeschätzt. Das von den Vereinigten Staaten zwischen August 1994 und Juni 1995 verhängte Embargo gegen Produkte tierischer Herkunft aus Taiwan war die einzige diplomatische Offensive der jüngsten Zeit. Durch das sogenannte Pelly-Amendment können die amerikanischen Behörden Sanktionen gegen Länder verhängen, die durch ihren Handel bestimmte Tierarten bedrohen. Doch China vermochte sich aufgrund der recht eng gefaßten Bestimmungen in letzter Minute der Verhängung einer Sanktion zu entziehen. Und Taiwan erließ, um eine Aufhebung des Embargos zu bewirken, eilig restriktivere Gesetze – ohne die Absicht, sie je zur Anwendung zu bringen.

Wie wirksam Kontrolle und Ahndung im Falle des Zuwiderhandelns letztlich sind, hängt somit von den Staaten selbst ab, denn die für den Erhalt der Arten kämpfenden Organisationen haben nur beratende Funktion. Vor allem bei den alle zwei bis drei Jahre stattfindenden Konferenzen, auf denen es um die Klassifizierung der zu schützenden Tiere geht, fühlt sich das Sekretariat des Artenschutzübereinkommens zunehmend versucht, die Rolle des Generalstaatsanwalts einzunehmen, anstatt sich mit der Protokollführung zu begnügen. In Anhang I des Übereinkommens sind all jene Arten aufgeführt, deren Überlebenschancen bereits sehr gering sind, und Anhang II nennt jene, deren Vermarktung unter der Prämisse einer „nachhaltigen“ oder „vernünftigen“ Nutzung ins Auge gefaßt werden kann.

Die Situation in der Waldwirtschaft zu überprüfen ist nicht schwierig, dies gilt jedoch nicht für die Fauna. Häufig fehlen genaue und aktualisierte Angaben – einige Staaten verkürzen sie sogar bewußt. Der Handel müßte sich daher mit seriösen Garantieerklärungen absichern, was bei weitem nicht der Fall ist. So könnte der afrikanische Elefant, der sich in Südafrika übermäßig stark ausgebreitet hat, bei der nächsten Konferenz des Artenschutzübereinkommens in Anhang II herabgestuft werden. Die meisten Länder in Afrika, Asien und in Europa, mit Japan und der Schweiz an der Spitze, doch mit Ausnahme Frankreichs, scheinen diese Änderung zu befürworten.

Aus Sicht der „Erzeugerländer“ ist dieses Anliegen verständlich. Doch die Öffnung des Handels birgt die Gefahr, daß nach einer kurzen Phase großer Gewinne der Verlust dieses natürlichen Kapitals droht. Eine ausgelöschte Tierart aber kann man nicht mehr ersetzen. Daher sollte man verstärkt auf Möglichkeiten der „erhaltenden Nutzung“ setzen wie Tourismus, Verkauf an Naturparks und Zoos oder auch auf den sogenannten Jagdsport. Entscheidend wird sein, daß man mit den Gemeinschaften vor Ort zusammenarbeitet und ihnen die finanziellen Vorteile in vollem Umfang zukommen läßt. Allerdings bleiben solche Maßnahmen ohne direkte Hilfe der reichen Länder unzureichend. Vielleicht gelingt es mit Überzeugungsarbeit gegenüber Asien und beträchtlichen Investitionen, die Artenvielfalt zu erhalten und darauf hinzuwirken, daß der natürliche Lebensraum der Tiere respektiert wird.

dt. Erika Mursa

1 Zwischen 1970 und 1990 war der Jemen hauptverantwortlich für die 95prozentige Ausrottung des Schwarzen Rhinozeros, dessen Nasenhorn zu „dschambija“, einem rituellen Dolch, verarbeitet wird. Auch Oman und die Arabischen Emirate haben seit einigen Jahren Anteile an diesem Markt.

2 Sie werden in Hongkong, Taiwan und Japan zum Preis von 10000 Dollar je Tier verkauft. In China sollen derzeit nur noch 1200 Pandas leben.

3 Vgl. Le Monde, 9. November 1995.

4 Vgl. Libération, 15. Februar 1996.

5 Für den Lebensraum der Rhinozerosse in Afrika werden 400 bis 1000 Dollar je Quadratkilometer aufgewendet.

6 Bulletin der Welt-Naturschutz-Union, IUCN, Nr.1, Gland, Schweiz, 1995

7 The Economist, London, 30. März 1996.

8 Le Monde, 9. Januar 1996

9 Sie ist systematisch erfaßt in der überlieferten „Medizinischen Sammlung des göttlichen Arbeiters“ (Shen Nang Ben Tschao Dsching).

10 So erklärt ein junger französischer Meister im Skilaufen, daß ihm der Genuß gegrillter Gemsen- oder Rehhoden Stärke und Mut verleihe (Libération, 25. Februar 1996).

* Journalist

Le Monde diplomatique vom 13.09.1996, von Alain Zecchini