13.09.1996

Neuer Kreuzzug Von ALAIN GRESH

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Neuer Kreuzzug Von ALAIN GRESH

AM 13. März 1996 wurde im ägyptischen Scharm al- Scheich ein Medienspektakel mit Regierungsvertretern aus 26 Staaten zelebriert, am 26. Juni verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen eine martialische Erklärung, der sich auch Rußland anschloß; am 30. Juli kamen die Außen- und Innenminister der G-7-Staaten in Paris zu einem Arbeitstreffen zusammen: 1996 ist das Jahr, in dem sich die Großen dieser Welt gegen „die gewaltige Gefahr für die Sicherheit aller unserer Länder“ verbündet haben.

Der Kampf gilt jedoch nicht der Arbeitslosigkeit, die immer weitere Kreise zieht, oder dem Wohlstandsgefälle zwischen dem Norden und dem Süden, es geht auch nicht um die Kriege in Tschetschenien, Afghanistan oder Afrika und ihre Flüchtlingsströme. Die furchtbare Geißel, die uns alle bedroht, die Pest, die nun wieder ausbricht, nachdem sie in den 80er Jahren ausgemerzt schien, das ist der Terrorismus.

Die Inszenierung von Gipfeltreffen und eine Flut dramatischer Fernsehbilder soll die Weltöffentlichkeit in die rechte Stimmung bringen, sich um die Banner eines neuen Kreuzzugs zu scharen und für den edlen Zweck die zunehmende Einschränkung bürgerlicher Freiheiten zu akzeptieren – wobei unter diesen Restriktionen gewöhnlich nicht die Urheber von Anschlägen, sondern Immigranten zu leiden haben.

Aber die vordergründige Einmütigkeit in der Führungsspitze der „internationalen Gemeinschaft“ täuscht über herbe Meinungsverschiedenheiten hinweg. Sie beruhen in erster Linie darauf, daß man nicht zu definieren vermag, was man ausrotten will. Denn was haben die Giftgasanschläge der Aum- Sekte in der Tokioter U-Bahn mit den Attentaten islamistischer Palästinenser im Februar und März 1996 gemein? Und folgt die IRA etwa derselben Logik wie in den USA die rechtsextremistischen Milizen, die für das Massaker in Oklahoma verantwortlich sind? Hat ein Bombenanschlag bei den Olympischen Spielen in Atlanta den gleichen Hintergrund wie etwa der Guerillakrieg im Südlibanon gegen eine Besatzungsmacht? Da der Begriff Terrorismus „auf sehr unterschiedliche Arten der Gewalt angewandt wird, die durchaus nicht alle ein politisches Ziel verfolgen“, hat sich die Bedeutung des Wortes gewissermaßen „aufgelöst“1.

Andererseits müßte „eine aufrichtige Regierung eigentlich zugeben, daß der Terrorismus häufig Ausdruck berechtigter Empörung ist“2. Wie die Geschichte lehrt, sind aus ehemaligen Terroristen immer wieder angesehene Persönlichkeiten geworden. So machten sich die späteren israelischen Staatsmänner Menachem Begin und Jitzhak Schamir in den 40er Jahren durch mörderische Attentate gegen die arabische Zivilbevölkerung einen Namen. Und die „Killer von der FLN“, wie sie einst in Frankreich von offizieller Seite genannt wurden, haben Algerien in die Unabhängigkeit geführt.

Viele, denen das Schreckgespenst des Terrorismus als Alibi für fehlende Kompromißbereitschaft diente, mußten in letzter Zeit ihre harte Haltung aufgeben. So haben die weißen Machthaber Südafrikas schließlich mit dem ANC verhandelt, und Jitzhak Rabin hat Jassir Arafat die Hand geschüttelt, „einem Mann, an dessen Händen jüdisches Blut klebt“. Benjamin Netanjahu dagegen bereitet durch die Aushöhlung der ohnehin eng gefaßten Osloer Verträge das Terrain für künftige palästinensische Selbstmordkommandos.

Gewalt gegen Zivilpersonen ist immer moralisch zu verurteilen. Dennoch darf man den Kampf gegen eine fremde Besatzung wie in Afghanistan oder in Palästina nicht gleichsetzen mit der Gewalt, die die italienischen Roten Brigaden oder amerikanische rechtsextremistische Milizen ausüben, denn diese wendet sich gegen demokratische Systeme. Jeder weiß, daß die Aktionen der baskischen ETA mit dem Ende der franquistischen Diktatur ihre Legitimität verloren haben. Und die amerikanische Regierung finanziert ohne Gewissensbisse irakische Oppositionsgruppen, deren Autobomben Dutzende Unbeteiligter zum Opfer gefallen sind.

Aufgrund dieser Unterschiede müßten für jede Situation gesonderte Lösungen gesucht werden, die zumeist politischer, gelegentlich aber auch polizeilicher Art zu sein hätten, denn manche dieser Bewegungen sind ausgesprochen gefährlich. William Clinton hingegen hat einen anderen Weg eingeschlagen: Im Kreuzzug gegen den Terrorismus versucht er sich die Rolle eines Papstes anzumaßen. Zweifellos leiten ihn dabei auch wahltaktische Überlegungen, doch geht es um mehr: Hinter der einigenden Fahne Washingtons sollen die Verbündeten versammelt werden, die seit dem Ende des Kalten Krieges seine Vorherrschaft nicht mehr recht anerkennen wollen.

Kaum hatte Clinton das D'Amato- Gesetz unterzeichnet, das ausländischen Firmen Sanktionen androht, die im libyschen oder iranischen Erdölsektor investieren – ein Gesetz, das zum Handelskrieg gegen Europa paßt und alle geheiligten Normen des Freihandels und des internationalen Rechts verletzt –, da tönte es noch am selben Tag aus dem Weißen Haus: „Die Vereinigten Staaten sind bei der Führung dieser Angelegenheit in die Pflicht genommen.“ Diese Rolle der amerikanischen Nation im Kampf gegen den Terrorismus bleibe unverzichtbar. „Es gibt Augenblicke, in denen Amerika und ausschließlich Amerika den Unterschied zwischen Krieg und Frieden machen darf, zwischen Freiheit und Repression, zwischen Hoffnung und Angst.“

In einem Buch über die Militarisierung der USA schreibt der Historiker Martin Sherry, die Amerikaner seien „dermaßen an den Krieg gewöhnt“, daß ein Ende „ihnen fast unvorstellbar scheint“4. Ständig sind sie auf der Suche nach einem neuen Feind. Europa, das der Welt offener gegenübersteht, täte gut daran, sich neue Partner zu suchen.

1 Adrian Guelke,„The Age of Terrorism“, London (I.B. Tauris) 1995, S. 182.

2 Leitartikel in The Economist, London, 2. März 1996.

3 Patrick Cockburn, „Clinton backed Baghdad bombers“, The Independent, London, 26. März 1996.

4 Zitiert von Martin Woollacott, „Exploding the myth of terrorism“, The Guardian, London, 3. August 1996.

Le Monde diplomatique vom 13.09.1996, von Alain Gresh