13.03.1998

Ungelöste Konflikte und nutzlose Resolutionen

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Ungelöste Konflikte und nutzlose Resolutionen

Der Nahe Osten ist auch weiterhin eine instabile Region, in der neben wachsenden Arsenalen an konventionellen Waffen auch Massenvernichtungsmittel immer mehr Verbreitung finden. Neben dem ungelösten Drama in Zypern oder der verworrenen Lage im Kaukasus gibt es dort eine große Anzahl ungelöster Probleme, die als Zündstoff für unkontrollierbare Explosionen wirken könnten. Ursache der Spannungen ist häufig die Mißachtung von UN-Resolutionen, deren Verabschiedung in manchen Fällen Dutzende Jahre zurückliegt.

Die Zukunft des Irak

So stellt sich die Frage, ob der Sturz des Regimes von Präsident Saddam Hussein die territoriale Integrität des Irak gefährden würde. Denn das langjährige, von den Vereinten Nationen verhängte Embargo hat die Einheit des Landes geschwächt, der soziale Zusammenhalt ist brüchig geworden. Im Norden des Landes leben die Kurden in einem faktisch autonomen Gebiet, wobei es den wichtigsten politischen Gruppen, der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter Massud Barsani und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) unter Dschalal Talabani, bisher nicht gelungen ist, sich über die Einrichtung einer funktionstüchtigen Verwaltung zu verständigen.

Für die türkische Armee war das in der Region entstandene Machtvakuum so beunruhigend, daß sie die Anzahl ihrer militärischen Operationen im Nordirak vervielfachte. Im übrigen wird die Türkei häufig verdächtigt, expansionistische Absichten in Richtung Mossul zu haben.

Im mehrheitlich schiitischen Süden des Irak ist die Opposition zwar schwach, doch hat sie sich auf iranisches Gebiet zurückgezogen, wo sie von der Teheraner Führung massive Unterstützung erhält. Das Zentrum des Landes, in dem mehrheitlich Sunniten leben, war lange Zeit die Hochburg der Baath-Partei. Die weitere Entwicklung der Lage im Irak wird in der Türkei und im Iran, aber auch in Syrien und Saudi-Arabien mit großer Sorge verfolgt.

Die Kurdenfrage

Die etwa 30 Millionen Kurden leben großenteils in Gebieten, die zu vier Staaten gehören: dem Irak, dem Iran, der Türkei und Syrien. In den drei erstgenannten Ländern führen sie einen bewaffneten Kampf. Das irakische Kurdistan, das der Kontrolle durch Bagdad entzogen ist, hält nun als Austragungsort der Rivalitäten der regionalen Großmächte her. Die türkische Regierung, unfähig, die Erwartungen der eigenen Kurden zu befriedigen, führt einen unerbittlichen Krieg im Südosten des Landes und unterhält im irakischen Kurdistan ein permanentes Truppenkontingent, um dem Einfluß der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) von Abdullah Öcalan entgegenzuwirken. Der Iran wiederum hat sich in den innerkurdischen Kämpfen auf die Seite von Dschalal Talabani, dem Widersacher von Massud Barsani geschlagen und versucht, den Aktivitäten der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran ein Ende zu setzen. Keines dieser Länder ist bereit, den Kurden ihre kulturellen Rechte und die geforderte Autonomie zuzugestehen.

Israel und Palästina

Die Unterzeichnung der Osloer Verträge am 13. September 1993 erschien zunächst als ein Fortschritt im israelisch-palästinensischen Konflikt. Heute, nach mehr als vier Jahren, liegen die Verträge auf Eis. Die israelische Armee hält weiterhin Ost-Jerusalem, den größten Teil des Westjordanlands und ein Drittel des Gasastreifens besetzt. Die Siedlungspolitik wird unverändert fortgesetzt, und die Mehrheit der Palästinenser lebt schlechter als vor 1993. Zahlreiche Klauseln der Osloer Verträge wurden nicht eingehalten, so die Einrichtung eines Transitkorridors zwischen Westjordanland und Gasa, die Freilassung aller palästinensischen politischen Gefangenen sowie die Eröffnung eines Hafens und eines Flughafens in Gasa.

Die Oberhoheit der palästinensischen Autonomiebehörde unter Vorsitz von Jassir Arafat erstreckt sich auf nur 4 Prozent der besetzten Gebiete. Im Mai 1996 hätten die Verhandlungen über den definitiven Status des Westjordanlands und des Gasastreifens und vor allem über die sensibelsten Punkte wie Ost-Jerusalem, die jüdische Siedlungspolitik und den Verlauf der Grenzen beginnen sollen.

Ein Kernpunkt des Konflikts ist auch die Zukunft der 3,4 Millionen palästinensischer Flüchtlinge. Diese Menschen leben versprengt in Jordanien (1,4 Millionen), im Libanon (360000) und in Syrien (160000). Hinzu kommen jene 1,3 Millionen Palästinenser, die in Westjordanland und Gasa wohnen – ein menschliches Drama, das für das internationale Völkerrecht ein Problem darstellt. Vor mehr als fünfzig Jahren haben die Vereinten Nationen das Recht der Flüchtlinge auf die Errichtung eines palästinensischen Staates neben dem israelischen Staat anerkannt; seit mehr als dreißig Jahren fordern sie den Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten. Vor allem im Haschemitischen Königreich Jordanien gelten die Flüchtlinge als ständige Gefahr für die politische Stabilität.

Der Südlibanon

Die sogenannte „Sicherheitszone“ im Süden des Libanon wurde vor dreißig Jahren, im März 1968, von Israel eingerichtet. Sie erstreckt sich auf ein Gebiet von etwa 850 Quadratkilometern, etwa 8 Prozent der Fläche des Libanon. Dieser Besatzung leistet die Hisbollah wirksamen Widerstand. Seit der israelischen Operation „Früchte des Zorns“ und der Bombardierung des libanesischen Flüchtlingslagers in Kana überwacht eine von den Vereinigten Staaten, Frankreich, Syrien, Libanon und Israel gebildete Kommission den Waffenstillstand, der allerdings das Recht auf Widerstand und auf Operationen gegen die Besatzer nicht in Frage stellt. Die Resolution 425, die der UN-Sicherheitsrat im März 1978 verabschiedete, fordert den umgehenden Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Libanon.

Die Besetzung des Golan

Das größte Hindernis bei den Verhandlungen zwischen Tel Aviv und Damaskus ist der syrische Golan mit seinen 1150 Quadratkilometern, der ungeachtet der von den Vereinten Nationen verabschiedeten Resolutionen seit 1967 besetzt ist. Die Mehrheit seiner Bewohner wurde im Krieg vertrieben, heute leben dort nur noch 15000 Drusen. Im Dezember 1980 hat Israel den Golan annektiert und dort seither rund 40 jüdische Siedlungen errichtet, in denen insgesamt etwa 16000 Menschen leben. Die Regierung unter Jitzhak Rabin hatte dem vollständigen Rückzug aus diesem Gebiet prinzipiell zugestimmt, doch das Nachfolge-Kabinett von Benjamin Netanjahu hat dieses Versprechen zurückgenommen.

Massenvernichtungswaffen

Die jüngste Irak-Krise hat erneut die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen deutlich gemacht.

Die Konvention über ein weltweites Verbot chemischer Waffen, die am 29. April 1997 in Kraft trat, sieht die Überwachung durch internationale Inspekteure vor. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, ihre gesamten Bestände bis zum Jahre 2007 zu zerstören. Den Vertragstext haben unter anderem der Iran, Israel, Kuwait, Saudi-Arabien und die Türkei parafiert, nicht jedoch Ägypten, der Irak und Syrien. Die Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer (bakteriologischer) oder toxischer Waffen und über deren Vernichtung war bereits am 26. März 1975 in Kraft getreten. Damals hatten sich die Signatare verpflichtet, in den darauffolgenden neun Monaten ihre sämtlichen Bestände zu zerstören. Allerdings war in dem Vertragstext keinerlei Kontrollmechanismus vorgesehen. Ägypten, Iran, Irak, Jordanien, Kuwait, Saudi-Arabien, Syrien und die Türkei haben die Konvention unterzeichnet – Israel nicht. Es besteht der Verdacht, daß mehrere Staaten in dieser Region trotz ihrer Unterzeichnung an der Entwicklung derartiger Waffen arbeiten.

Israel ist das einzige Land in der Region, das Atomwaffen besitzt. Nach Ansicht der Vereinigten Staaten arbeitet der Iran, Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags, derzeit ebenfalls am Bau einer Atombombe.

Le Monde diplomatique vom 13.03.1998