12.06.1998

Bruderkrieg

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Bruderkrieg

WENN man über einen Film sagt, er sei „anständig“, dann schwingt dabei mit – durch welche semantischen Obertöne auch immer –, daß es sich um keinen großen Film handelt, aber immerhin um ein Werk, dessen sich der Autor nicht schämen muß. „Anständig“ ist zum Synonym für „mittelmäßig“ geworden.

„Schönes Dorf, schöne Flamme“ ist kein großer Film, auch kein mittelmäßiger, aber man errät, was Regisseur Srdjan Dragojevic und seine Drehbuchschreiber im Sinn hatten: einen anständigen Film (in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes) über einen Konflikt, der die heftigsten Leidenschaften und hitzigsten Kontroversen hervorgebracht hat und noch immer hervorbringt: der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Natürlich gibt es auch in diesem Film Unausgewogenheiten, doch anständig ist er vor allem, weil die Autoren nicht der Versuchung ausufernder Analysen erlegen sind und bei aller Subjektivität, die sich zwingend aus der Handlung ergibt, auch die schlichte Parteinahme vermieden haben. Erzählt wird die Geschichte eines Trupps serbischer Soldaten, die in einen Hinterhalt geraten sind: in einen Tunnel, der an beiden Ausgängen vom Feind bewacht wird.

Der Film lebt vor allem von dieser Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht und die eines Samuel Fuller würdig gewesen wäre: Männer, die mehrere Tage lang auf engem Raum eingesperrt, kleine Leute, die von dem Un-Sinn eines solchen Konfliktes überfordert sind, mehr oder weniger unbewußte Opfer jener Rekrutierung für unversöhnliche feindliche Lager, die zu einer der absurdesten Tragödien unseres Jahrhunderts geführt hat. Daß gerade serbische Soldaten als Protagonisten gewählt wurden, bedeutet den Versuch, das allzu gern kolportierte Bild von den fanatischen Kämpfern zu korrigieren. Der Film vertraut auf den Zuschauer und darauf, ihm eine andere, unspektakuläre Sichtweise nahebringen zu können.

Dummheit, Haß, Bestialitäten finden sich auf beiden Seiten. Die Angst ist eine Grunderfahrung des bosnischen Volkes, sagt uns Srdjan Dragojevic und erzählt zu Beginn von zwei jungen Männern, einem Serben und einem Muslim, deren Freundschaft, kaum daß der Krieg ausbricht, in Stücke geht und sich in abgrundtiefen Haß verwandelt. Und der Regisseur konstruiert von hier aus seinen Film: in Bruchstücken, Zeit-Teilen, in denen sich Kindheit, Jugend, die Zeit vor und nach den Kämpfen mischen, in denen die Gespenster der Vergangenheit umgehen, die alten Antagonismen zwischen feindlichen Brüdern, die künstlich versöhnt und falsch zerstritten sind. Und am Ende bleibt alles ein endlos blutiges unfertiges Kapitel Geschichte.

CARLOS PARDO

Le Monde diplomatique vom 12.06.1998, von CARLOS PARDO