13.08.1999

Der kleine Coup

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Der kleine Coup

Donald E. Westlake, „Der Freisteller“, aus dem Amerikanischen von Johannes Schwab, München (Europa Verlag) 1998.

In diesen Zeiten des Wirtschaftskriegs und der Globalisierung haben die Unternehmen „aggressive Überlebensstrategien“ perfektioniert, die Spionage, Raub und Erpressung verblüffend ähnlich sehen, obgleich man sie beschönigend als Wettbewerbsfähigkeit, Rentabilitätsstreben und biografischen Härtetest bezeichnet. Um auf dem Markt bestehen zu können, muss zweifellos mafiösen Methoden Tribut gezollt werden.

Dieser Kontext könnte ein gefundenes Fressen für einen jungen Krimiautor sein, als Ersatz für den altbekannten Plot des Mords im Wasserglas. Donald Westlake, der dieses neue Vehikel benutzt, ist jedoch eher den Veteranen des Genres zuzurechnen. Der Autor von „Finger vom heißen Eis“ und „Kahawa“ stellt mit seinem neuesten Werk einmal mehr die Mechanismen des Kriminalromans auf den Kopf. Der große Coup ist bei ihm kein Hold-up mehr, sondern der Versuch, um jeden Preis zu Job und Gehalt zu kommen. „Der Freisteller“ spielt als erster Krimi im Horrorszenario des Business.

Westlake blufft nicht. Sein Unternehmen, eine Papierfabrik, ist kein Unterschlupf verkappter Übeltäter, sondern eine ganz normale dynamische Aktiengesellschaft. Ihre Führungsriege trifft ihre Entscheidungen nicht etwa im Interesse des Unternehmens – etwa um die Qualität der Produkte, der Dienstleistungen und das Image zu verbessern –, und erst recht geht es nicht um das Wohl der Gesellschaft im Allgemeinen: Entschieden wird nur zum Vorteil der Aktionäre. Gesunde Unternehmen mit hohen Gewinnen entlassen gerne Personal, um dieser vielköpfigen Bestie, die den Vorstand auf dem Posten hält, ein paar Dollar mehr zum Fraß vorwerfen zu können. Der Feind, das sind die Aktionäre und der Generaldirektor.

Doch Burke Devore, einundfünfzig Jahre alt, Angestellter und arbeitslos, sieht den Feind, den zu beseitigenden Konkurrenten in all jenen, die in seinem Bereich wie er auf Stellungssuche sind.

Das moderne Unternehmen fordert laut Westlake Verbrechen geradezu heraus. Indem man „unrentable“ Bereiche auflöst , den Betrieb „verschlankt“ und die „Killer“ belohnt, werden die niedrigsten Instinkte geweckt. Etwa den, über den Mord an einem Kollegen nachzudenken, der die Stelle hat, die man selber gern hätte (ja, haben müsste!): „Upton Ralph Fallon hatte meinen Job. Und wenn er vor die Tür gesetzt oder zu krank würde, um weiter zu arbeiten, und wenn er stürbe? Sollte ich ihn nicht töten? Um meine Familie, mein Leben, mein Ansehen zu verteidigen? Sozusagen zur Selbstverteidigung.“

Sowie dieser Konkurrent aus dem Weg geräumt ist, treten jedoch gleich andere Mitbewerber um seine Stelle auf den Plan. Burke verschafft sich über eine gefälschte Anzeige in einer Fachzeitung die Lebensläufe aller arbeitslosen mittleren Angestellten seiner Berufsrichtung. Die braucht er dann nur noch zu sortieren: „Wen würde ich wohl einstellen, statt meiner selbst?“ Die zukünftigen Morde sind vorprogrammiert – und bleiben ungestraft. Denn nach sechs davon bekommt Burke die heißbegehrte Position.

Der Kriminalroman ist als literarisches Genre bestens geeignet, zu zeigen, wie dünn die Lackschicht auf unserer Zivilisation ist. Und es ist die beste Art, humorvoll darauf hinzuweisen, dass wirtschaftliche Zwänge ihre Gründe haben, die die Moral nicht kennt.

GILBERT ROCHU

dt. Margrethe Schmeer

Le Monde diplomatique vom 13.08.1999, von GILBERT ROCHU