Regional austauschen, damit alle etwas haben
WIE können die Länder des Sahel zu Nahrungsmittel-Autarkie gelangen, wo sie doch abwechslungsweise von Dürre oder Überschwemmungen geplagt werden und Gebiete mit Getreidemangel an solche mit Getreideüberschuß grenzen? Für Afrique verte, eine in Frankreich gegründete regierungsunabhängige Organisation, die in Burkina Faso, Niger und Mali arbeitet, erfordert die angestrebte Autonomie die Einrichtung lokaler und regionaler Tauschkreisläufe und das Eingreifen von Kooperativennetzwerken, die bedeutsamen Einfluß auf Märkte und Preise gewinnen können. Aber in diesem harten Kampf ist es unumgänglich, zuallererst auf die Bauern selbst zu setzen.
Von unserer Sonderkorrespondentin VÉRONIQUE DONNAT *
Bei Maradi auf der Nationalstraße Nr.1, die in westöstlicher Richtung Niamey mit Zinder verbindet, hat der Aprilregen die Teiche gefüllt, die Ortschaften im Morast versinken lassen. Beiderseits der Straße sind kleine Sandwellen in die Felder gezeichnet: Ausgesät wird von Hand, Schritt für Schritt, alle 90 Zentimeter die Erde mit dem Fuß festgestampft. Zwischen den erodierten, ausgemergelten Hochebenen und den wenigen nach den Überschwemmungen des letzten Jahres ergrünten „Tälern“ hat die landwirtschaftliche Kampagne 1995/96 im Niger begonnen; man hofft, die Ernte im Oktober und November werde so gut ausfallen wie die beiden vorangegangenen.
Nahrungsmittelselbstversorgung, Stimulierung von Tauschgeschäften zwischen Polen des Überschusses und Mangelzonen, Unterstützung bei der Vermarktung des Getreides, Dynamisierung der Kooperativen und Bauernvereinigungen – so lautet das Credo der in den achtziger Jahren in Paris entstandenen NGO Afrique verte, Grünes Afrika (siehe Kasten). Trotz ihres Namens, über den sich ein malischer Bauer mokiert – „Afrique jaune, ,gelbes Afrika‘, wäre angemessener“ –, hat sich die Organisation keineswegs vorgenommen, die Wüste fruchtbar zu machen. Und sie plant auch keines der in der Sahelzone florierenden „Kleinprojekte“, die den Boden nutzbar machen, bewässerte Flächen erschließen, Brunnen bauen wollen, auch wenn sie diese Unternehmungen wichtig findet.
Im Niger wie in Burkina Faso und neuerdings in Mali hat die Organisation nicht den Anspruch, die Produktionsmethoden zu gestalten oder zu verändern. Ihr Ziel ist vielmehr, ein Netz zwischen Produzenten und Verbrauchern zu knüpfen, das beiden Seiten ermöglichen soll, Tauschgeschäfte abzuwickeln, die Inflation in einkommensarmen Zeiten zu überstehen und sich der Marktmacht der Großhändler zu entziehen. Dahinter steht der Gedanke, daß eine gesicherte Nahrungsmittelversorgung eine neue Vermarktungsdynamik, die Aufwertung der Vertreter der ländlichen Wirtschaft, sowie eine Annäherung von Stadt und Busch voraussetzt. Der Generalsekretär von SOS Sahel International-Niger, Kelitigui Mariko, bleibt skeptisch: „Wie kann ein Land wie Niger Nahrungsmittelselbstversorgung erreichen, wenn mehr als ein Viertel der Bevölkerung keine Grundnahrungsmittel produziert? ... Wenn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die Bauern, ausgeplündert, vernachlässigt, marginalisiert werden? Wenn die Leute immer größere Abneigung gegen Arbeit, insbesondere gegen landwirtschaftliche Arbeit entwickeln?“1 Dennoch kommen 40 bis 45 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) von den etwa 1800000 Bauern und Viehzüchtern, was es dem Niger „möglich macht, trotz der Krise weiterzuleben“2. Die im Notstandsprogramm der Regierung des Niger von März/Juni 1995 vorgesehene „Evaluierung des Bedarfs an Saatgut und Inputs, (und) die Überlegungen zu entscheidenden Verbesserungen bei der Vermarktung der nächsten Ernten“3 entsprechen den Bedürfnissen der Bauern nicht. Und die schwierige Kohabitation zwischen Präsident Mahamane Ousmane und seinem Premierminister Hama Amadou steht erwünschten Veränderungen im Wege. Niger scheint dem Zusammenbruch nahe zu sein, eine Folge des Lehrerstreiks (das Schuljahr konnte erst Mitte März beginnen), der Seuchen (eine Meningitisepidemie im Frühjahr) und der negativen Wirkungen der Abwertung (die Preise der täglichen Bedarfsartikel, insbesondere der Nahrungsmittel und Medikamente, haben sich auf sehr hohem Niveau stabilisiert). Angesichts eines Staates, der sich sozusagen abgemeldet hat, hält wenigstens Afrique verte das Verantwortungsbewußtsein und den Geist der Zusammenarbeit hoch.
In einem leerstehenden Schulgebäude der Kreishauptstadt Filingué, nordöstlich von Niamey, schreiben sieben Schüler schweigend ein fiktives Kassenbuch von der Tafel ab. Sie sind Teilnehmer eines neuen Weiterbildungskurses für Kooperativensekretäre. Von Zeit zu Zeit halten die Ausbilder inne und geben Details über das Abrechnungssystem an. Ein zweisprachiger Alphabetisierer verbessert in der Zarma- und der Haussa-Sprache eine Addition von Buhu (Hundertkilosäcken).
Auf den Ruinen der alten Societé de développement und ihres staatlichen Entwicklungssystems und angesichts der Verbreitung der dörflichen Getreidebanken, die gegründet wurden, um die Übergangszeit zwischen den Ernten zu überbrücken, hat Afrique verte einen dritten Weg gesucht und nach fünf Jahren Arbeit offenbar auch gefunden, während manche Kooperativen ihre Arbeit einstellten und andere sich sehr schwer tun.
Die NGO hat dennoch ein Kooperativennetzwerk und eine „Getreidebörse“ oder einen Getreidemarkt aufbauen können, wo die Produzenten verhandeln, verkaufen und kaufen, ihre Überschüsse vermarkten. Die Bilanz der im Verlauf der Kampagne 1993/1994 getätigten Geschäfte mag lächerlich scheinen: 41 Kooperativen haben 2071 Tonnen Getreide für 133729795 Francs CFA gekauft. Sie haben etwa 2162 Tonnen für 155942245 Francs CFA verkauft.4 Doch der Erfolg läßt sich nicht nur nach Tonnen messen...
Die Überschüsse vermarkten
DAS Afrique-verte-Netz im Niger schließt etwa fünfzig Kooperativen zusammen und ist in zwei Sektoren aufgeteilt: im Westen der Kreis Tillaberi im Gebiet der Zarma und im Osten der Kreis Zinder im Gebiet der Haussa (siehe Karte). Der Kreis Zinder, der über vier große Lagerspeicher verfügt, ist am dynamischsten. Die Bauern der Ortschaft Tirmini, etwa 20 Kilometer von Zinder entfernt, haben sich die geschäftstüchtige Tradition der Haussa erhalten, bei der die Gesetze der Gastfreundschaft mit einem Gespür für Initiativen einhergehen. Jeden Monat organisieren sie eine Getreidebörse, zu der Bauern aus der ganzen Region kommen.
Das landwirtschaftliche Umfeld zu unterstützen und unabhängig zu machen erfordert finanzielle Mittel. Landwirtschaftliche Kreditbanken gibt es nicht, das Bankensystem insgesamt steckt in der Krise: Nachdem Afrique verte den Kooperativen zunächst Betriebskapital gewährt hatte, ohne ausdrückliche Rückzahlungsbedingungen festzulegen, hat die NGO nun ihre Politik geändert. Von den seit 1987 zugestandenen 64 Darlehen waren bis Ende 1994 nur 15 ganz zurückgezahlt, 27 waren in Abzahlung; die 22 restlichen werden vermutlich nie zurückfließen.
Seit 1993 wurden die Betriebskapitalzahlungen ersetzt durch Kurzzeitdarlehen mit einer Zinsrate von 1 Prozent pro Monat, bei einer Höchstrate von 8 Prozent. Das Geld muß spätestens nach der Ernte rückerstattet werden. 1993/1994 waren 93 Prozent dieser Gelder zurückgezahlt. Ein neues System ist auch der kurzfristige Interventionsfonds. Sobald eine Kooperative ein sicheres Geschäft mit dem staatlichen Office des produits vivriers du Niger oder mit Euronaid ausgehandelt hat, kann ein Darlehen zu 5 Prozent für die gesamte Dauer der Operation gewährt werden. Im übrigen fordert Afrique verte die Kooperativen auf, eigenes Kapital zu bilden, sich an den Funktionskosten der NGO sowie am Gehalt des regionalen Verantwortlichen zu beteiligen. In Erwartung einer wirklichen Politik der Unterstützung des landwirtschaftlichen Sektors durch die Regierung und insbesondere die Direction de la promotion des organisations rurales et de la gestion de l'espace rural versucht die Organisation die Produzenten in die Verantwortung zu nehmen, sie an Managementproblemen zu interessieren, ihnen zu helfen, mit den traditionellen lokalen Machtsystemen zu brechen, die weiblichen Mitglieder zu beteiligen und die Gewinne in Projekte zu reinvestieren, die dem ganzen Dorf zugute kommen: Alphabetisierungskurse, Dorfläden, Apotheken usw.
„Wenn du in einem Dorf jemanden mit zwei gesunden Augen triffst, denke nicht, daß es in diesem Dorf keine Blinden gibt.“ Dieses Bambara-Sprichwort hat ein alter Weiser bei der Abschlußveranstaltung der ersten nationalen Bauernbörse Malis, am 11. und 12. April 1995 in Tamakoro, einem Viertel der Hauptstadt Bamako, zum besten gegeben. Es ist bis in die vier Winkel der großen Strohhütte gedrungen, wo etwa fünfzig Bauern aus Kayes, Koulikoro, Sikasso, Segu, Mopti und sogar aus Gao und Timbuktu ihre Organisationen vertraten und Angebot und Nachfrage mit Getreidehändlern, Geschäftsleuten und Mühlenunternehmern verglichen. Der Umfang der Transaktionen: 70 Tonnen geschälter Reis, den das Office du Niger der Region Niono den Mangelzonen Kita und Kayes lieferte. Das ist wenig, aber es hat vor allem symbolischen Charakter. Denn aufgrund des Reismangels hatten die Preise auf dem Markt von Kayes angefangen, ins Unermeßliche zu steigen, und bereits die Schwelle von 230 Francs CFA pro Kilo überschritten. An der Börse in Tamakoro wurde er einfach zu einem besseren Preis gehandelt.
Zwei Rekordernten, ein trotz der Abwertung des Franc CFA dynamisierter Markt, ein im Zuge der Demokratisierung und der Rückkehr des Friedens im Norden wiederhergestelltes Recht auf freie Meinungsäußerung: Afrique verte arbeitet seit Juli 1994 in Mali und erntet die Früchte der Neustrukturierung des Getreidemarktes und der gesicherten Lebensmittelversorgung, die durch das Programm zur Restrukturierung der Getreidemärkte (Programme de restructuration des marchés céréaliers, PRMC) erreicht werden konnte.
Dieses Programm wurde in den achtziger Jahren von fünf Hauptgeberländern (USA, Kanada, Bundesrepublik Deutschland, Niederlande und Frankreich) sowie dem Welternährungsprogramm und der Europäischen Union ins Leben gerufen und hat sich zur Aufgabe gemacht, über drei Jahre – vom 1. November 1994 bis zum 31. Dezember 1996 – eine strukturelle Nahrungsmittelhilfe in Form von Naturalien, Subventionen oder Finanzbeiträgen zu leisten. Bisher hat es immerhin bewirkt, daß die Kontrollfunktion des Office des produits agricoles du Mali (Opam) wiederhergestellt ist, das vorher das Monopol des Getreidemarktes innehatte; daß die Getreidepreise, vom Produzenten bis zum Verbraucher, freigegeben wurden; daß die Hilfe koordiniert vergeben wird und daß ein Anreizsystem für private Produzenten und Käufer entstanden ist.
„Angesichts der guten Konjunktur der letzten fünf Jahre arbeiten die Geber insgesamt nicht mehr mit Lebensmittelhilfe in Naturalien, wenn die betreffenden Produkte mit lokalen Erzeugnissen konkurrieren“, stellt Yves Gueymard, Vertreter der französischen Entwicklungszusammenarbeit in Bamako, fest. Seit 1987/1988 hat das Programm mit seinen Krediten für Verbrauch und Lagerung von Getreide zugunsten der Produzentenvereinigungen und Händlergruppierungen die Banken ersetzt.
In Mali stützt sich die französische NGO auf ein junges lokales Unternehmen: Die Vertreter von GEC-Mali fahren mit ihren Motorrädern kreuz und quer durch das Land und beraten die Bauernorganisationen in Management, Vermarktung und Lagerung, sie kümmern sich um die Nutzung und Rückzahlung der Kredite, um die Kampagnen zur Weiterbildung und Alphabetisierung. Das in Paris festgelegte Ziel – tausend Tonnen im Erntejahr 1994/1995 – ist jedoch noch längst nicht erreicht. An der Börse von Tamakoro fehlte es nicht an Kritik: Verträge würden nicht eingehalten, beim gelieferten Getreide sei zuviel Staub in den Säcken, es gebe Transportprobleme (die faktisch inexistente Infrastruktur bedingt hohe Kosten), man beklagt Preisschwankungen und das Zurückhalten von Reserven usw. Ein anderes Bambara- Sprichwort lautet: „Man kann nicht träumen, ohne zu schlafen.“ Zwar sind bereits Tauschhandelsgeschäfte zwischen den bäuerlichen Organisationen und seit neuestem auch die Geschäfte mit Händlern angelaufen, aber es bleibt noch viel zu tun. Angesichts der lokalen Katastrophen muß das Stichtwort Solidarität noch erfunden werden. Im Süden des Landes, in Kangaba, wurden 55 Prozent der Ernte durch Überschwemmungen vernichtet: eine unerwartete Folge der zu nah am Fluß betriebenen bewässerten Landwirtschaft. Niemand hat bisher eine Lösung vorgeschlagen... Afrique verte plant, sich im Tschad niederzulassen und auch ins Tal des Senegalflusses auszudehnen. Langsam verhilft die NGO der Idee zum Durchbruch, daß diese Trockenregion sich tatsächlich autonom ernähren kann – dank des Kooperativensystems, unterstützt durch verantwortungsvollere lokale Regierungen, mit Hilfe besserer Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten und einer afrikanischen Variante der Demokratie. Die Anwesenheit ausländischer Verantwortungsträger, die heute „gesundes Management“ verkörpern, wird dann überflüssig sein.
Auch wenn die NGO ihren Rückzug für später ins Auge faßt, ist sie noch längst nicht bereit, ihn schon einzuleiten. „Um die ,kritische Masse‘ zu erreichen, die den verschiedenen Wirtschaftsträgern interessant genug erscheinen kann, und um den Beweis antreten zu können, daß Getreide eine beachtliche Einnahmequelle sein und dadurch eine höhere Produktion von Getreide stimulieren kann“5, sind folgende Bedingungen nötig: Die Bauernverbände und Kooperativennetzwerke müßten mindestens 5 Prozent des Getreides auf dem Markt kontrollieren, das sind 50000 Tonnen in den drei Ländern, in denen die NGO arbeitet. Das für 1995 festgelegte Minimum sind 4400 Tonnen vermarktetes Getreide, also weniger als 10 Prozent des angestrebten Volumens. Das reicht noch nicht aus für den Traum von einer Getreideroute quer durch den Sahel...
Die Bilanz von Afrique verte, das Ergebnis ameisenfleißiger Arbeit, mag nur ein müdes Lächeln hervorrufen, mag die Ungeduld des Westens nicht besänftigen, der Afrika mit Vorliebe als riesiges Sterbehaus, als ewig chaotische Baustelle sieht und ihm die Fähigkeit abspricht, auf der wirtschaftlichen Weltbühne zu operieren. Doch das ist eine Sicht, die von den Verantwortlichen der französischen NGO zurückgewiesen wird. Wiewohl der Zeitpunkt noch fern scheint, da der Norden sich die Erfindungen des Südens zunutze machen wird, diese menschliche Fähigkeit, die das Geheimnis der Afrikaner ist und dank derer sie es schaffen, „gnadenlose Weiten mit lediglich ganz kleinen menschlichen Gruppen zu zähmen“6.
dt. Christiane Kayser
1 Keletigui Abdourahamane Mariko, „Le Niger d'abord! Réflexions sur les défis au développement du Niger“, Niamey-Paris, August/September 1993.
2 „Comment promouvoir la consommation endogène?“ Bericht über eine Debatte in der Wirtschaftskammer Niamey fraternité, Le Sahel, 24. April 1995.
3 Préparer la prochaine campagne agricole“, Le Démocrate, 27. März 1995.
4 Résultats de la campagne 1993-1994, Afrique verte, Niamey, November 1994.
5 Rapport d'activités de l'association pour 1994 et orientations pour 1995.
6 Alain Pecqueur, „Vaincre la malédiction“, Le Monde, 6. September 1994.
* Journalistin
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