Arbeitslager Korea
VON 1975 bis 1978 erschienen in Seoul in verschiedenen Zeitschriften zwölf kurze Erzählungen, in denen der 1942 geborene Schriftsteller Cho Sehui unerbittlich und in vollendetem Stil beschrieb, welche Leiden die koreanische Gesellschaft, und vor allem die Arbeiterklasse, während der forcierten Industrialisierung und verschärften Konkurrenz zu erdulden hatte, die ihren Weg ins „Wirtschaftswunder“ begleitete. In dieser Sammlung von Texten, die in Südkorea ein großer Erfolg war und jetzt in einer gelungenen französischen Übersetzung1 vorliegt, erzählt der Verfasser aus der Sicht der „Zwerge“. Wie der folgende Auszug zeigt, hat sich an den Appellen zur Disziplin und Anpassung an den Markt seit den siebziger Jahren nichts geändert. Die Szene spielt in einer Fabrik, in der der Verfasser zusammen mit seinem Bruder arbeitet:
DIE offizielle Pause dauerte nur 30 Minuten. Obwohl wir in der gleichen Fabrik arbeiteten, begegneten wir uns nie. Jeder Arbeiter hatte seinen isolierten Platz. Die Aufseher prüften und notierten die Qualität und die Menge dessen, was jeder produziert hatte. Sie wollten, daß wir in der Pause nur 10 Minuten zum Essen brauchten und die restlichen 20 Minuten Fußball spielten. Wir gingen hinaus auf einen kleinen Platz und traten wie die Verrückten gegen einen Ball. Ohne wirklich richtig gegeneinander zu spielen, kamen wir doch etwas ins Schwitzen. Wir arbeiteten ununterbrochen. Unaufhörlich forderte die Fabrik unsere Kraft. Bis in die Nacht hinein arbeiteten wir in schlechter Luft und ohrenbetäubendem Lärm. Das brachte uns nicht gleich um, aber bei diesen furchtbaren Arbeitsbedingungen, bei diesem lächerlichen Lohn für all den vergossenen Schweiß lagen natürlich unsere Nerven blank. Die Jüngsten hatten das Gefühl, nicht mehr weiter zu wachsen. Unsere Bedürfnisse waren mit den Interessen der Gesellschaft stets unvereinbar. Der Präsident sprach unaufhörlich von einem „Niedergang“. Für ihn und seine Leute war dieser „Niedergang“ der Vorwand, uns weiter auszubeuten. Ansonsten sprach er von dem großen Reichtum, den sie und wir, die Arbeiter, schaffen würden, wenn wir alle hart arbeiteten. Mit solchen Hoffnungen konnten wir überhaupt nichts anfangen. Uns wäre es lieber gewesen, wenn man uns in der Kantine getrocknete und gut gewürzte Rüben hingestellt hätte. Nichts veränderte sich. Alles wurde schlechter. Anstelle der versprochenen zwei Beförderungen pro Jahr gab es für uns nur noch eine. Die Nachtprämie wurde erheblich reduziert. Sie haben einige Leute entlassen. Ihre Arbeit wurde auf die anderen verteilt, und wir mußten länger arbeiten. Vor allem am Zahltag hüteten wir unsere Zunge. Man konnte niemandem trauen. Wer sich über die schlechten Bedingungen beschwerte, wurde einfach davongejagt. Gleichzeitig wurde die Fabrik immer größer. Sie haben Rotationsmaschinen, automatische Falzmaschinen und Offsetdruckmaschinen angeschafft. Der Chef hat erklärt, daß das Unternehmen in einer Krise stecke. Er hat gesagt, daß man die Fabrik schließen müßte, wenn wir den Kampf gegen unsere Konkurrenten verlieren würden. Davor hatten wir am allermeisten Angst. Und der Chef und seine Leute wußten das.
dt. Christian Voigt
1 Cho Sehui, „Le Nain“, Aus dem Koreanischen übersetzt von Ch'oe Yun und Patrick Maurus, Arles (Actes Sud) 1995