11.08.1995

Komödie mit demokratischen Prinzen

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Komödie mit demokratischen Prinzen

DIE dicke Kumpanei, die manche Journalisten in Frankreich mit hochangesehenen Politikern der herrschenden Ordnung verbindet, blieb lange Zeit wie durch eine stillschweigende Übereinkunft verborgen. Doch seit drei Jahren ist die Aufdeckung solcher Komplizenschaft Erfolgsrezept für eine fast täglich ausgestrahlte Fernsehsendung. Hier sprechen die Medien einmal über die Medien, ohne sofort in Eigenlob zu verfallen. Und zudem sprechen die Figuren in dieser Sendung auch über die Welt und enthüllen dabei für das Fernsehen ganz ungewöhnliche Dinge.

Von EMANNUÄL SOUCHIER und YVES JEANNERET *

Zu „König Ubu“, einem Drama, „das 1888 von den Marionetten des ThéÛtre des Phynances uraufgeführt wurde“, erklärte Alfred Jarry, man müsse dem Publikum, wenn man von ihm gehört werden will, „Personen [vorführen], die ihm im Denken gleich sind“, ebenso müßten „Themen“ und „natürliche Lösungen“ gezeigt werden, die „den einfachen Menschen aus ihrem Alltag vertraut sind“.1 Ein Jahrhundert später machen die „Guignols de l'info“, die „Nachrichten-Puppen“, aus dem Drama der Politik eine ganz gewöhnliche, alltägliche Komödie für Marionetten. Die „Guignols“, die ganz versessen sind auf die demokratischen Prinzen, knüpfen an die Farce von König Ubu an. Nur der Blickpunkt hat sich verändert: Hier wird nicht mehr „Theater im Theater“ präsentiert, sondern eine erste Lektion in Meta-Television erteilt, in der das Fernsehen mit der ihm eigenen Sprache distanziert und schonungslos über sich selbst spricht.

Es wird die Komödie der Prinzen angekündigt: Politiker, Medienleute und Stars aus dem Sport, vergängliche Berühmtheiten, Schauspieler oder Sänger ... alle kommen sie, um vor der Kamera zu glänzen und sich unter den Scheinwerfern des Hohepriesters PPD2 die Finger zu verbrennen. Doch welche Rolle spielt eigentlich dieser seltsame Marionetten-Journalist, Hauptperson dieser satirischen Sketchs? Und über welche Politik sprechen diese Figuren?

Als die Sendung 1992 geschaffen wurde, tastete sie sich zunächst vorsichtig durch das gesamte audiovisuelle Universum: Es folgte eine Parade der Showbiz- Puppen, der Fernseh-Puppen, der Kultur- Puppen, der Sport-Puppen oder der Golfkriegs-Puppen. Die immer neuen Titel verrieten die Unentschlossenheit bei der Themenwahl, die sich auf das gesamte Feld der Fernsehnachrichten erstreckte. Als das Team schließlich die Bezeichnung „Guignols de l'info“ annahm, definierte es seine Identität und präzisierte zugleich seinen Tätigkeitsbereich.

Auch der Tonfall wurde etwas rauher, und seither schöpft man ungezwungen aus dem Fäkalien- und dem Sexual-Wortschatz. Das seit Raymond Queneau vertraute „Prinzip der Auslassung“3 ist Ausdruck stilistischer Perfektionierung. Die Verwandtschaft mit Coluche bleibt sichtbar, doch die Absage an die simplen Wahrheiten wird deutlicher. Die Guignols müssen nichts mehr beweisen, sie haben ihren Stil, die Satire, und ihr Betätigungsfeld, die Fernsehröhre, gefunden. Die Sendung ist im guten Sinne des Wortes politisch.

Stellt sich die Frage nach ihrer Wirkung. Der Einfluß der Guignols ist so groß, daß mehrere Kommentatoren sie für den Wahlsieg von Jacques Chirac verantwortlich machten.4 Eine unmäßige Macht für eine Sendung und erst recht für eine Marionette; doch genau dies bringen die Guignols zum Ausdruck, wenn sie den Journalisten ins Zentrum der Welt rücken und ihn zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Mythologie machen. Es ist ein ambivalentes Bild, das zwischen dem Ideal einer Presse, wie es der Canard enchaîné5 verkörpert, und dem karikierten Sumpf des Fernsehjournalismus, der täglich erneut auf den Arm genommen wird, oszilliert. PPD ist die Inkarnation dieses Widerspruchs. Janusköpfig spielt er eine ganz wichtige Rolle und läßt zugleich die Laschheit der „unterwürfigen Journalisten“6 durchscheinen.

Jeden Abend legt PPD die Priesterstola an, mischt die Karten neu und verleiht dem Weltgeschehen einen Sinn. Er stellt die Kohärenz des Fernsehberichts in Raum und Zeit sicher. Als Spielleiter schafft er die Verbindung zwischen den vier beteiligten Bereichen, den in einem Ausschnitt dargestellten Nachrichten, den Puppen, dem Studiopublikum und den Fernsehzuschauern, die direkt angesprochen werden. PPD greift ein in Wort und Bild, stellt Sprachhülsen bloß und spielt damit eine wichtige mäeutische Rolle7. Die Figur von Canal+ zeigt die anständige Seite des Journalisten und tut damit das, was sich der Journalist von TF 1 versagt. Mit seiner regulierenden Funktion widersetzt sich PPD der Mittelmäßigkeit und dem Zynismus, von denen er umgeben ist. Die Rolle, die ihm übertragen wurde, stellt die Verpflichtung auf demokratische und republikanische Werte in den Mittelpunkt der Sendung. Sein Gegner schlechthin ist die extreme Rechte. Aber das Gesicht hat zwei Seiten, die Marionette verhält sich paradox. PPD ist ein Schwächling, der vor den Mächtigen, und besonders vor der Hierarchie seiner eigenen Chefs, das Rückgrat beugt, sich gegenüber Schwachen aber herablassend verhält. So übernimmt die Puppe die Fehler ihres Vorbilds, als ob sie die menschliche Schwäche des journalistischen Ideals auf sich laden wollte. Darüber hinaus verkörpert sie Abhängigkeit und Willfährigkeit, Lüge und Korruption, kurz, die gesamte Unterwürfigkeit der Medien, die sich im Bild von TF 1 kristallisiert.

Die paradoxe Ideologie der Guignols stimmt mit dem Bild, das diese sich vom Journalismus machen, überein. Es gründet auf dem Glauben an einen „reinen“ Journalismus – der in der Presse praktiziert wird – und auf die Tatsache, daß unter den Star-Journalisten im Fernsehen Korruption herrscht, und unterstreicht damit diesen Glauben. So ist die Schwäche von PPD selbst wiederum ambivalent, denn dadurch wird im Gegensatz dazu die eigentliche Aufgabe des Journalisten glorifiziert, insbesondere wenn zweifelhafte Berufspraktiken angeprangert werden. In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, daß man nur die Presse für fähig hält, den Plänen der World Company entgegenzuarbeiten, diesem übermächtigen Symbol für die internationale Wirtschaftsordnung der „neuen Herren der Welt“8. Der Mythos von der journalistischen Allmacht ist für diese Sendung Motor und Achillesferse zugleich.

Unverfrorenheit und possenhafte Verzerrung

ZWAR nährt sich die politische Sprache der Puppen von der satirischen Tradition der Marionetten, des Theaters oder der Presse, doch wird dies durch den Rückgriff auf die gesamte Palette an Stil, Themen und Techniken, die das Fernsehen bereithält, innovativ. In den Fußstapfen von Rabelais, Jarry oder Queneau spitzen die Puppen die Themen zu, führen in vertraute Situationen ein, die unmerklich ins Triviale abgleiten. Charles Pasquas Verrat wird so in der bekannten Tonlage des Boulevardtheaters vorgespielt, wobei Jacques Chirac die Rolle des Hahnreis übernimmt. Jede politische Situation wird in eine allgemeine oder persönliche Metapher übertragen. Würdevolles Verhalten, das im allgemeinen bewundert wird (man denke an die Puppen von Raymond Barre oder François Mitterrand) wird aus dem Zusammenhang genommen und entweiht, und unter unbändigem Gelächter treten Zynismus und Kleinlichkeit zutage. Solche Spitzen werden systematisch abgeschossen, soziale Rücksichtnahme gibt es nicht. Scheinheiligkeit und klischeehafte Sprache können dieser Behandlung nicht lange trotzen, so daß der Blick hinter die Kulissen fällt.

Die possenhafte Verzerrung der fernsehtypischen Muster geschieht mit System. Man beachte die Möglichkeiten, die die paarweise Nennung von Name/Funktion enthält: „François Mitterrand/Politiker (1981-1983)“. Hier steckt alles drin: die satirische Bezeichnung, das Spiel mit den Lebensdaten, die zeitliche Begrenzung auf die erste Phase des Kabinetts Mauroy, die Beziehung zwischen dem Politiker, dem Präsidenten, dem Sozialisten. Die Dreistigkeit der Puppen betont die Treffsicherheit ihrer Analyse und fordert den Fernsehzuschauer zum Nachdenken auf. In dieser Hinsicht haben die Guignols eine neue politische Didaktik entwickelt.

Auch die Brechtschen Lehren werden nutzbringend eingesetzt. Zunächst die Aggression, die den Fernsehzuschauer zur Reaktion herausfordern soll. Kommandant Sylvestre (Glücksbringer bei Walt Disney und Herrscher der Welt bei der World Company), ein Vater Ubu der internationalen Finanzwelt, trägt seine Theorien vorbildlich und mit beispiellosem Zynismus vor, der allenfalls durch seine Verachtung für alles übertroffen wird, was keinen Wert besitzt, zumindest nicht seinen Wert, nämlich den des Dollar. Seine scharfe Analyse ist eine tagtägliche Lehre in Realpolitik. Es ist die Stimme der Märkte. Die Aggressivität seiner Äußerungen entspricht der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Aggressivität der Vereinigten Staaten. So lassen ihn die unzureichenden Besucherzahlen in Euro-Disney ohne Umschweife ausrufen: „Wie soll man euch denn sonst glücklich machen, ihr Arschlöcher?“

Ebenfalls von Brecht entliehen ist der Verfremdungseffekt bei der rituellen Begrüßung: „Guten Abend. Sie sitzen zu oft vor dem Fernseher.“ Worauf die nicht minder rituelle scharfe Ermahnung folgt: „So, von jetzt an werden Sie überhaupt nicht mehr fernsehen.“ Eine paradoxe Verfremdung, denn die Aufforderung kommt von Fernsehfiguren, wird im Fernsehen selbst ausgesprochen. Die Guignols geben die televisuelle Quintessenz aus ihrer eigenen Produktion nicht preis, eine ironische Mischung aus Größenwahn und Respekt. (Denn niemand achtet das Fernsehen mehr als diejenigen, die täglich dessen Mechanismen demontieren.) Der Erfolg ist garantiert, denn der Beifall der Fernsehzuschauer gilt nicht der Zerstörung des Fernsehdiskurses, sondern der Entstehung eines neuen Typus journalistischer Rede, die auf drei Grundpfeilern ruht: Humor, Respektlosigkeit und treffsicherer Analyse.

Gelangen die kritischen Äußerungen der Guignols über das Fernsehen an die richtige Adresse? Wohl schon, denn sie verwenden Technik, Sprache und Ausdrucksformen des Fernsehens. Die

Sprache der Guignols ist eine Art Meta-Television, die sich des Fernsehens bedient und darin ihren Sinn und ihre Daseinsberechtigung findet. Die vorgestellten Nachrichten sind nur Nachrichten von Nachrichten. Mit anderen Worten, die Guignols sprechen zu uns nicht über die Welt, sondern über die Welt, wie sie im Fernsehen vorgeführt wird. Zwar sind sie in ihrer Intention und ihrer Logik ketzerisch, dennoch sind die Puppen zugleich angepaßte Symptome einer Gesellschaft, in der die Medien zu den Medien sprechen.

Eine solch beißende Analyse aktueller Ereignisse, die im journalistischen oder politischen Diskurs nicht akzeptabel wäre, wird möglich, sobald ihr satirischer Charakter sichergestellt ist. Die Nachrichten-Puppen treiben einen Keil zwischen das „wahre Sprechen“ eines Michel Rocard, der mit seinem kalten technokratischen Elitedenken scheitern muß, und den emotionalen Ausbrüchen eines Le Pen, der mit populistischer Rhetorik manipuliert. Das „wahre Sprechen“ der Nachrichten- Puppen ist vom Volk bestätigt, denn diese humoristisch aufbereiteten Nachrichten übernehmen eine politische Dimension und widersetzen sich häufig der herrschenden Ideologie. Damit überschreiten die Guignols die Grenzlinie zwischen Politik und Fernsehjournalismus. Indem sie sich einem unterwürfigen Journalismus widersetzen, fragen sie globaler danach, ob der Diskurs in Politik und Nachrichtenübermittlung zutreffend ist, und werfen die Frage nach Stil und narrativer Haltung der Redeweise der Bürger auf.

Aber auch sie sind beteiligt an der systematischen Überzeichnung ins Spektakuläre, von der die politische Debatte geprägt ist, und damit an der Gefahr, die dieses Phänomen für die Demokratie enthält.

So überwinden sie zahlreiche traditionelle Widersprüche zwischen Komischem, Anekdotenhaftem und Politischem, zwischen Kritik und Anerkennung für das Fernsehen. Sie nehmen die Welt der Medien aufs Korn und werten sie gleichzeitig auf. Anstatt die Politik lächerlich zu machen, lassen sie sie selbst in ihrer Aufgeblasenheit zu Wort kommen, bis die Blase schließlich platzt. Sie sind subversiv und dennoch Teil der Medienordnung. Mit ihren zahlreichen Widersprüchen haben die Guignols einen neuen politischen Diskurs geschaffen, der sich zum ersten Mal der überbordenden Mittel der Medien und nicht der doktrinären Stimme der Apparatschiks bedient. Ihre Rolle erinnert an den Karneval, einen alltäglichen Karneval, der an die streitbare Tradition des Puppentheaters anknüpft. Schließlich hat schon einst in Lyon bei den ersten Kämpfen für die Befreiung der Arbeiter eine Marionette Partei für die Seidenarbeiter ergriffen.

dt. Erika Mursa

1 Alfred Jarry, „×uvres complètes“, Band I, Bibliothèque de la Pléiade, Gallimard, Paris 1972, S. 405.

2 Die Puppe ist benannt nach Patrick Poivre d'Arvor, Chef-Sprecher der Nachrichtensendung des ersten französischen Fernsehens TF 1, das von den „Guignols de l'info“ systematisch aufs Korn genommen wird.

3 Emmanuäl Souchier, „Raymond Queneau“, Le Seuil, Paris 1991.

4 Siehe Le Monde,, 15. Juni 1995 und Libération, 19. Juni 1995.

5 Eine Würdigung der satirischen Wochenzeitung, die im Februar 1993 ausgestrahlt wurde. (Les Guignols de l'info, Canal+ Vidéo, Videokassette Nr. 4, 1993).

6 Siehe Serge Halimi, „Un journalisme de révérence“, Le Monde diplomatique, Februar 1995.

7 Mäeutik beizeichnet die sokratische Methode, durch geschicktes Fragen die im Partner schlummernden, ihm aber nicht bewußten richtigen Antworten und Erkenntnisse heraufzuholen.

8 Siehe Le Monde diplomatique, Mai 1995. Der Sketch über „La Firme, la Ferme“ wurde im November 1993 (a.a.O., Videokassette Nr. 5, 1994) ausgestrahlt.

Le Monde diplomatique vom 11.08.1995, von E. Soucher und Y. Jeanneret