11.08.1995

Domäne der Männlichkeit

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Domäne der Männlichkeit

FÜR den Soziologen Norbert Elias war der Sport ein „totales soziales Ereignis“, ein Phänomen, das wie kaum ein anderes grundlegende Tendenzen der Gesellschaften zum Vorschein bringt. Sein Mitarbeiter Eric Dunning macht sich Gedanken über die soziale Rolle des Sports, insbesondere der Wettkampfsportarten wie Fußball oder Rugby, und die in ihnen vorherrschende Gewalt.

Alle Sportarten, in denen ein Wettkampf ausgetragen wird, rufen eine Zunahme von Aggressionen hervor. Unter bestimmten Bedingungen kann diese Aggression als offene, regelwidrige Gewalt auftreten. In einigen Sportarten jedoch – darunter Fußball, Rugby, Hockey und Boxen – wird die Gewalt zum zentralen und legitimen Bestandteil in Form einer spielerischen Schlacht oder eines Scheingefechts zwischen zwei Spielern oder Gruppen. Diese Sportarten sind Nischen in unseren heutigen Gesellschaften, in denen die physische Gewalt in sozial akzeptierter, ritualisierter und mehr oder weniger kontrollierter Weise zum Ausdruck kommt. (...)

Einige Wettkampfsportarten wie Fußball, Rugby und Hockey gehen unmittelbar auf volkstümliche Spiele des Mittelalters zurück, die je nach Region verschieden ausfielen und unterschiedliche Bezeichnungen wie football (Fußball), hurling (Schleuderball), knappan und camp ball (Feldball) trugen.1 Gespielt wurden sie auf den Straßen der Städte und auf dem Land, wobei man sich nach mündlich vereinbarten Regeln richtete. Sie unterlagen keiner „externen“ Kontrolle durch Schieds- oder Linienrichter, und gelegentlich erreichte die Zahl der Teilnehmer an die tausend auf jeder Seite.

Die ersten bedeutsamen Fortschritte im Sinne einer „Modernisierung“ dieser Spiele vollzogen sich im 19. Jahrhundert in den englischen public schools2. Dort hatten sich die Spieler erstmals schriftlich fixierten Regeln zu unterwerfen, die mehrheitlich das ausdrückliche Ziel verfolgten, die extremsten Formen von Gewalt zu unterbinden oder unter Kontrolle zu halten. Mit anderen Worten, die beginnende Modernisierung des Fußballs und der mit ihm verwandten Spiele beruhte auf einem komplexen Wandel, der dazu führte, daß sie mehr „zivilisiert“ – aber auch nur „mehr“ zivilisiert – erschienen. Nach wie vor waren sie vom Anspruch, andere Menschen zu beherrschen, geprägt – typisch für eine Gesellschaft, deren Aufstieg als städtisch-industrieller Nationalstaat gerade erst begonnen hat. Das belegt auch die Tatsache, daß diese Spiele als Übungsfeld für den Krieg dargestellt wurden, als Mittel zur Ausbildung militärischer und administrativer Führungskräfte eines mit aller Macht expandierenden britischen Imperiums und nicht zuletzt als probater Weg, Männlichkeit sowohl einzutrichtern wie auszudrücken.

Die Erzählung eines alten Rugby-Spielers, die 1860 in einer Schulzeitung erschien, gibt einen guten Einblick in die Normvorstellungen in bezug auf Männlichkeit, die bei den Spielen an den public schools galten:

„Wenn Sie die Schlägerei während des Spiels mit Sixth vor zwei Jahren gesehen hätten (...). Wir stritten uns leidenschaftlich um den Ball, benutzten ihn aber nur als Vorwand, um bösartige Fußtritte auszutauschen. Ich erinnere mich an eine Schlägerei! (...) Wir prügelten uns schon seit fünf Minuten und ließen nicht locker, vielmehr kamen wir erst allmählich in Fahrt, als uns ein Zuschauer darauf hinwies, daß der Ball unsere geschätzte Aufmerksamkeit erwartete. Und dann der Hookey Walker von der Mannschaft der Sixth; verdammt, wie er unter denen von der Schule aufgeräumt hat! Der bloße Anblick, wie er sich in eine Schlägerei stürzte, genügte, damit die feinen Damen aufschrien und in Ohnmacht fielen.

Es gab damals noch nicht all diese miesen Tricks mit dem Ball; alles war männlich und gradlinig. In einer Schlägerei den Ball zu verlieren, galt als ein nicht minder offensichtlicher Regelverstoß, wie ihn außerhalb des Spielfeldes aufzuheben. Wenn man zehn Minuten nach Beginn einer Partie nicht von Kopf bis Fuß verdreckt war und aussah wie Mutter Erde, war man ein Drückeberger. Herrschaftszeiten! Heutzutage ist doch keiner mehr in der Lage, einen ordentlichen Sturz zu provozieren. Bald wird man noch in Straßenschühchen und ziegenledernen Handschuhen spielen (...). Ein Fußtritt für den Ball, wenn er in unserer Reichweite ist, sonst einen Fußtritt für den Burschen neben uns, das ist meine Maxime.“3 Eric Dunning

dt. Christian Hansen

(Auszug aus dem Buch von Norbert Elias und Eric Dunning, „Sport et civilisation, la violence maîtrisée“, Fayard, Paris, 1995)

1 Diese Analyse entstammt dem Werk von Eric Dunning und Kenneth Sheard, „Gentlemen and Players“, Oxford University Press 1979.

2 Die public schools in Großbritannien sind private – und zum Teil sehr alte – Gymnasien, die von den Kindern der Oberschicht besucht werden.

3 Anonym, The New Rugbeian, Bd. III, 1860; zitiert in C.R. Evers, Rugby, London 1939, S. 52.

Le Monde diplomatique vom 11.08.1995, von Eric Dunning