11.08.1995

Von der Kanonenbootpolitik

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Von der Kanonenbootpolitik

■ Die Datenautobahnen sind dabei, den Planeten von Grund auf zu verändern, durch sie werden alle Menschen zu Brüdern. So lautet die neue Utopie - die neue Ideologie -, die am Ende dieses Jahr

Die Datenautobahnen sind dabei, den Planeten von Grund auf zu verändern, durch sie werden alle Menschen zu Brüdern. So lautet die neue Utopie – die neue Ideologie –, die am Ende dieses Jahrhunderts von den Verteidigern des globalen Marktes und den Anhängern des freien Datenflusses verbreitet wird. Wo liegen die Wurzeln dieser Sicht der Welt? Welche geopolitischen Vorstellungen sind mit ihr verknüpft? Wie sehen die neuen Strukturen auf dem Gebiet der Kommunikation aus?

Von

ARMAND

MATTELART *

DIE Weltlandschaft der Kommunikation sieht nach wie vor verwirrend aus. Es dürfte daher nützlich sein, einige Kriterien herauszuarbeiten, um – insbesondere hinsichtlich der neuen Technologien – den Anteil an Mythologie von den konkreten Tatsachen unterscheiden zu können, die durch die Internationalisierung geschaffen werden.

Die zeitgenössische Ideologie der Kommunikation ist von Kurzlebigkeit gekennzeichnet. Sie vergißt die Geschichte und fragt nicht mehr danach, was die aktuellen technischen Errungenschaften für die Gesellschaft bedeuten. Da wir uns am Ende des 20. Jahrhunderts befinden, ist es vielleicht nicht verkehrt, einen Blick auf das Ende des vorigen Jahrhunderts zu werfen, um die Entwicklung der Dinge besser zu verstehen.

Um 1860 wurden Verkehr und Kommunikation zur sakrosankten „treibenden Kraft der Zivilisation“. Ihre Universalität entsprach der des britischen Empires unter Königin Viktoria. Mit den Eisenbahnnetzen, dem elektrischen Telegraphen und dem Seekabel sowie mit dem ozeanverbindenden Suezkanal und der Dampfschiffahrt änderte sich nicht nur die Welt, sondern auch das Bild, das man sich von ihr machte: Sie wurde jetzt als ein „riesiger Organismus“ begriffen, dessen Teile allesamt „solidarisch“ miteinander verbunden sein sollten.

Die Netze, die allmählich den ganzen Globus umspannen und von Autoren wie Jules Verne besungen werden, geraten zum Symbol einer interdependenten Welt, in der die Nationalökonomien mehr und mehr durch eine neue internationale Arbeitsteilung ersetzt werden. In diesen frühen Kommunikationsnetzen findet die neue „organische Solidarität“ – ein positivistischer Begriff, der sich von der alten Solidaritätsvorstellung als moralischer Verpflichtung kraß abhebt – ihren sinnfälligen Ausdruck.

Im Rahmen der ersten Netze wird die erste internationale Organisation des modernen Zeitalters geschaffen, deren Aufgabe in der Regulierung grenzüberschreitender Ströme besteht. Schon 1865 nämlich, mehr als fünfzig Jahre vor dem Völkerbund (dem Vorläufer der UNO), wurde in Paris von zwanzig zumeist europäischen Ländern der Welttelegraphenverein gegründet. Er ist der ferne Vorläufer der heutigen Internationalen Fernmeldeunion (Union internationale des télécommunications – UIT), die 1932 in Madrid durch Zusammenschluß dieses Telegraphenvereins mit dem seit 1906 bestehenden Weltfunkverein geschaffen wurde. Der Weltpostverein war schon 1874 in Bern gegründet worden.

Post und Telegraphie werden so zu einem tragenden Element in den utopischen Diskursen über die „universalisierende und friedfertige“ Kraft der Kommunikationstechniken, ganz so, wie es die Eisenbahnnetze bereits von 1830 an waren. Diese drei Typen internationaler Netze geben der religiösen Traumwelt, die sich der Kommunikationssphäre bemächtigt hat, reichliche Nahrung. Denn mit der Religion haben sie den Wunsch gemein, die Individuen und Völker zu „verbinden“. Schon im 19. Jahrhundert also werden die Fundamente für eine Erlösungsideologie der Kommunikation gelegt.

„Alle Menschen werden Brüder“, verkünden die großen Weltausstellungen, die 1851 in London ihren Anfang nehmen, während gleichzeitig zwischen England und Frankreich das erste internationale Seekabel in Betrieb genommen wird. Während eines halben Jahrhunderts – das 1900 mit der Pariser Weltausstellung seinen Höhepunkt erreicht – träumen und propagieren Ausstellungen und Kommunikationstechniken diese Utopie vom „allgemeinen Zusammenschluß der Völker und Menschen“.

Doch überall dort, wo der unter der Führung der westlichen Zivilisation betriebene „friedliche Fortschritt“ nicht heimisch ist, wird diese Solidarität zwischen den Völkern von den Greueln der Kolonialkriege ständig Lügen gestraft.

Am Ausgang des Jahrhunderts entwickeln sich zwar neue Formen internationaler Zusammenschlüsse, sowohl zwischen Handelsgesellschaften als auch zwischen Staaten. Doch das Jahrhundert endet damit, daß amerikanische marines unter dem Vorwand auf Kuba landen, man müsse den Ureinwohnern helfen, sich von der dekadenten spanischen Herrschaft zu befreien.

Zum ersten Mal in der Geschichte wird die öffentliche Meinung – angeheizt von der Sensationspresse eines William Randolph Hearst (den Orson Welles als „Citizen Kane“ unsterblich gemacht hat) – zum Alibi für eine militärische Intervention. Man kennt die Anekdote, die das Außergewöhnliche dieses Moments schön zusammenfaßt: Hearst schickt Frederic Remington, einen Reporter und berühmten Zeichner, nach Havanna. Dieser telegraphiert seinem Chef aus der kubanischen Hauptstadt: „Keine besonderen Vorkommnisse. Alles ruhig. Es wird keinen Krieg geben. Möchte heimreisen.“ Hearst antwortet ihm umgehend: „Bitte bleiben Sie. Liefern Sie die Bilder, ich werde den Krieg liefern.“

Am Ende des 20. Jahrhunderts ist die Kommunikation zum herrschenden Paradigma der neuen globalen Gesellschaft geworden. Unaufhaltsam entwickelt sich eine Ökonomie immaterieller Ströme. Und der Raum für Produktion und Vertrieb ist ein die ganze Welt umfassender Markt. Auf einem Planeten, der die Schäden, die die Fortschrittsideologie angerichtet hat, notgedrungen anerkennt, sind Utopien nicht mehr auf der Tagesordnung.

Ideologische Fertigware

UM die neue Phase der Internationalisierung der Netze und Systeme zu charakterisieren, taucht in den achtziger Jahren ein Begriff auf: Globalisierung.

Wer wollte leugnen, daß unsere Gesellschaften immer mehr von Produkten und Netzen abhängen, die ihrer eigenen Logik nach nur „im Weltmaßstab“ funktionieren? Die Globalisierung ist eine Tatsache. Doch sie ist auch eine Ideologie; sie ist im Begriff, eine ideologische Fertigware zu werden. Der Ausdruck verbirgt die Komplexität der neuen Weltordnung eher, als daß er sie enthüllte. Deshalb ist es nützlich, sich zu fragen: Woher stammt das Wort „global“?

In einem Sinn, der für das Weltbild unserer Zeit prägend wird, taucht der Ausdruck erstmals am Ende der sechziger Jahre auf. Zwei Werke machen ihn populär: War and Peace in the Global Village von Marshall McLuhan (zusammen mit Quentin Fiore), erschienen 1969; und Between Two Ages. America's Role in the Technotronic Era von Zbigniew Brzezinski, ebenfalls 1969 erschienen.

Das erste Werk zieht aus der Vietnamberichterstattung des Fernsehens kühne Folgerungen allgemeiner Natur: Durch diesen Krieg, den jeder Amerikaner bei sich zu Hause „live“ miterleben konnte, sind die Fernsehzuschauer, so der Autor, aus ihrer passiven Rolle herausgekommen und haben sich in „Teilnehmer“ verwandelt. Die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Soldaten sei hinfällig geworden, was einen Rückschritt darstelle. In Friedenszeiten dagegen sollen die elektronischen Medien in allen nichtindustrialisierten Ländern den Fortschritt beschleunigen. Der soziale Wandel gehorcht folglich dem technischen Imperativ und wird durch ihn erklärt. Parallel dazu taucht in der breiten amerikanischen Öffentlichkeit das Schlagwort von der „Revolution der Kommunikation“ auf: Sie, so wird lauthals verkündet, „steigert den Konsumwunsch und das soziale Verantwortungsgefühl, ermuntert zum individuellen Urteil, krempelt die Mode um, gibt der Jugend und den Frauen ein neues Bewußtsein, kurz, sie führt zu einer neuen Gesellschaft“. Und vor allem, so wird eilig hinzugefügt, besiegelt diese Revolution das Schicksal der letzten Utopien der politischen Revolution: sie bedeutet das „Ende der Ideologien“.

Damit also beginnt die Erfolgsgeschichte des Begriffs „globales Dorf“ auf dem Markt des vorfabrizierten Denkens im Bereich des „Weltweiten“. In der Folgezeit drückt das „globale Dorf“ jeder großen Weltkatastrophe – oder besser gesagt: jeder „weltweiten Übertragung“ – seinen Stempel auf. So auch noch 1991 während des Golfkriegs, wo ständig von ihm die Rede war, ungeachtet der für die psychologische Kriegsführung unabdingbaren Geheimhaltung und Zensur, die den Abstand zwischen Zivilisten und Militärs vertiefte – ganz im Gegensatz zu dem, was Marshall McLuhan gedacht hatte.

Der amerikanische Politologe Zbigniew Brzezinski, Direktor des Research Institute on Communist Affairs an der Columbia University, gebraucht den Ausdruck „globale Stadt“. Der Beiklang von Rückkehr zu Gemeinschaft und Nähe, den das Wort Dorf hat, scheint ihm dem neuen internationalen Umfeld wenig angemessen. Denn die Verbindung der Netze, die er „technotronische“ nennt (Computer, Fernseher, Telekommunikationsmittel), hat ihm zufolge die Welt in ein „Geflecht interdependenter, unsteter, gespannter und fast schon gesetzloser Beziehungen“ verwandelt und damit für den einzelnen das Risiko erhöht, in Isolation und Einsamkeit zu geraten.

Für Brzezinski, der kurze Zeit später Präsident Jimmy Carters Sicherheitsberater und einer der Gründer der Trilateralen Kommission wird, sind die Vereinigten Staaten die erste „globale Gesellschaft“ in der Geschichte. Diese Gesellschaft, die der „technotronischen Revolution“ den Weg bereitet, kommuniziere mehr als alle anderen: Laut Brzezinski gehen weltweit 65 Prozent aller Kommunikation von den USA aus.

Nur Amerika – dank seiner Kulturerzeugnisse und seiner Kulturindustrie, aber auch dank seiner „neuen Techniken, Methoden und Organisationspraktiken“ – bietet uns demzufolge ein „globales Modernitätsmodell“ mit allgemeingültigen Verhaltensregeln und Werten. Auf der Gegenseite, dem damals von der Sowjetunion beherrschten Block, gibt es nur Mangelgesellschaften, die „Langeweile absondern“. Die Begriffe „globale Stadt“ und „globale Gesellschaft“ lassen für Brzezinski den alten Begriff „Imperialismus“ endgültig als überholt erscheinen, wenn es darum geht, die Beziehungen der USA zum Rest der Welt zu kennzeichnen. Die „Kanonenbootdiplomatie“ gehört der Vergangenheit an; die Zukunft gehört der „Diplomatie der Netze“.

Der Fall der Berliner Mauer 1989 und das Scheitern des Weltkommunismus machen diese Gobalität dann zur einzig möglichen. Unter dem Zauberstab von Francis Fukuyama, einem Berater des State Departments, wird in der unipolaren Welt aus dem „Ende der Ideologien“ ein „Ende der Geschichte“. Zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches über die technotronische Revolution betont Zbigniew Brzezinski noch einmal: „Die Beherrschung des Weltmarktes der Kommunikation bildet zu einem sehr großen Teil die Grundlage der amerikanischen Macht ... Dadurch wird eine Massenkultur geschaffen, die andere Völker zu politischer Nachahmung drängt.“ So nimmt, nach einem von der Geoökonomie beherrschten Jahrzehnt, die Geopolitik ihren angestammten Platz wieder ein.

In den achtziger Jahren hatte man vor allem in der Wirtschaft von Globalisierung gesprochen. Der angesehenste Stichwortgeber war Professor Theodor Levitt, Chefredakteur der Harvard Business Review, dessen Arbeiten gern und ausgiebig herangezogen wurden, um die Expansionsstrategien multinationaler Konzerne zu legitimieren. In den Jahresberichten der großen Kommunikations- und Werbeunternehmen wimmelt es von feierlichen Formeln, die das Kommen der Globalisierung verkünden. Häufig liest man Sätze wie diese, wahre Oden auf die Herrlichkeit der Netze: „Die Wissenschaftler und die neuen Technologien haben verwirk

licht, was die Militärs und Staatsmänner lange erfolglos angestrebt haben: das globale Imperium ... Kapital-, Produkt- und Dienstleistungsmärkte, Management und Fabrikationstechniken, alles ist von Grund auf global geworden ... Wir haben den globalen Marktplatz. Und diese Entwicklung beginnt genau in dem Moment, wo die fortgeschrittenen Technologien die Information und Kommunikation transformieren.“

Die Globalisierung der Märkte, des Geldumlaufs, der immateriellen Netze sowie der Unternehmen (die selber nach und nach zu „Netzwerk-Unternehmen“ umstrukturiert werden) macht eine radikale Deregulierung erforderlich. Sie wird die sozialen Kohäsionskräfte, die Rolle des Wohlfahrtsstaates und die Philosophie eines „öffentlichen Dienstes“ erheblich schwächen. Am Ende werden das Privatinteresse und die Kräfte des Marktes siegen, kurz, die Werte des Unternehmens.

Im Zuge dieser Mutation hat sich die Kommunikation professionalisiert, das betriebswirtschaftliche Modell der Kommunikation hat sich in der ganzen Gesellschaft durchgesetzt. Es wird mittlerweile sogar vom Staat als hervorragende Technologie des Sozialmanagements betrachtet. Zur Veranschaulichung genügt es, an den nachhaltigen Einfluß zu erinnern, den dieses Modell in den achtziger Jahren ausübte, sowohl auf die staatlichen Institutionen wie auf humanitäre Organisationen, auf Länder und Kommunen. Sie alle haben ihren Bezug zu den Bürgern beziehungsweise zur Zivilgesellschaft neu definiert, indem sie auf die Mittel der Werbung zurückgriffen.

Diese wichtige Entwicklung wird nur allzuoft ausgeklammert, obwohl sie international direkte Auswirkungen hat – das zeigen die Kommunikationsformen so unterschiedlicher Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace oder amnesty international.

Die Globalisierung ist zur ureigenen Sache der Marketing- und Managementspezialisten geworden. Sie ist gewissermaßen ihr Interpretationsschlüssel für die Welt und die sich herausbildende neue internationale Ordnung. Dabei stehen den doktrinären Verfechtern der Globalisierung andere gegenüber, für die die Entwicklung der Weltökonomie nicht allein der Logik der Homogenisierung folgt. Für diese ist die Idee einer Segmentierung der Märkte und Zielgruppen – die einer Massenkultur gegensteuert – ebenso wichtig wie diejenige der Standardisierung.

Für die restlos überzeugten Anhänger des Weltmarktes und der Globalisierung stellen sich die Dinge so dar: Der hierarchischen Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen im taylorschen Unternehmen entsprach eine klare Aufteilung der Räume; das Lokale, das Nationale und das Internationale waren scharf voneinander getrennt. Das neue Bild vom Unternehmen und von der Welt, in der es (als Netzwerk) operiert, setzt hingegen eine Interaktion zwischen lokaler, nationaler und internationaler Ebene voraus. Die Strategie eines Netzwerk-Unternehmens auf dem Weltmarkt muß daher stets gleichzeitig lokal und global sein. Dies drücken die japanischen Manager mit dem Neologismus to glocalize aus (vgl. den Artikel von Paul Virilio auf Seite 2).

Diese neue Unternehmensphilosophie hört auf die Parole „Integration“. Das Wort deutet bereits an, daß man das Geschehen auf dem Weltmarkt kybernetisch betrachtet. Es geht um eine Integration der Entwicklungs-, Produktions- und Konsumräume. Und es geht schließlich um eine Integration einst getrennter Tätigkeitsfelder. Um sich davon zu überzeugen, muß man sich nur die Neologismen vor Augen halten, die unlängst in der angloamerikanischen Fachsprache aufgetaucht sind: advertorials (eine Kontraktion aus advertising und editorials), infomercials (aus information und commercials), infotainment (aus information und entertainment) sowie, jüngeren Datums, edutainment. Die Verschmelzung von Wörtern entspricht der Verschmelzung der Informations- und Kommunikationstechnologien, ausgelöst durch die Informatik.

Dieser neue globale Rahmen für das strategische Denken der Manager hat den Schwerpunkt der Debatten und Einsätze sowie die Orte für die internationalen Verhandlungen in den Bereich der Kommunikationsnetze verlagert.

Die erste Verlagerung betrifft die Definition der „Meinungsfreiheit“. Die Meinungsfreiheit der Bürger hat unmittelbare Konkurrenz bekommen, nämlich in Gestalt der „Werbefreiheit“ der Unternehmen, die uns als ein neues Menschenrecht präsentiert wird. Ständig läßt sich eine Spannung zwischen der „absoluten Souveränität des Konsumenten“ und dem Willen der Bürger beobachten, den die demokratischen Instanzen wahren.

Um die Forderung nach Werbefreiheit drehten sich, unter anderem, die Lobbyaktionen diverser Werbeagenturen und Mediengesellschaften bei den Debatten über die neuen Regeln für das Satellitenfernsehen, die in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Europarat und in der Europäischen Union geführt wurden. Diese Forderung will die Bestimmungen aufweichen, mit denen sich die Zivilgesellschaft, wie Jürgen Habermas sagen würde, gegen eine „Indienstnahme der Öffentlichkeit zu Werbezwecken“ wehrt.

Diese Freiheit als neues Weltordnungsprinzip ist untrennbar mit dem alten Prinzip des free flow of information verbunden, das zu Beginn des Kalten Krieges vom amerikanischen State Department lanciert wurde und das sich von jeher wenig um die Frage der Chancengleichheit auf dem Gebiet der Kommunikation gekümmert hat. Die Doktrin der Globalisierung wärmt dieses Prinzip wieder auf, das die Freiheit im eigentlichen Sinne auf die Handelsfreiheit reduziert.

Doch die wichtigste Verlagerung, die diese neue Unternehmensphilosophie mit sich gebracht hat, betrifft die Orte, an denen die Debatten sich abspielen. In den siebziger Jahren und zu Beginn der achtziger Jahre war die Unesco das zentrale Diskussionsforum. Man erinnere sich nur, was aus den Debatten über die „Neue Weltordnung der Information und Kommunikation“ geworden ist, eine Idee, die ursprünglich von nicht „linientreuen“ Ländern ausging und über die heute niemand mehr zu sprechen wagt. Mitte der achtziger Jahre war es mit diesen Debatten endgültig vorbei, die Delegationen Amerikas und des Vereinigten Königreichs, damals von Ronald Reagan und Margret Thatcher regiert, verließen die Unesco unter dem Vorwand, daß sich die Kontroverse extrem politisiert habe.

Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre sind technischere Gebilde – das Gatt (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) und die Welthandelsorganisation (WTO), die aus ihm hervorgangen ist – die zentralen Orte der Debatten über die neue Kommunikationsordnung geworden. Daß die Kommunikation als „Dienstleistung“ eingestuft wurde, hat eine direkte Auseinandersetzung zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ausgelöst, die am 15. Dezember 1993 mit einer strategischen Niederlage der EU endete (für Film, Funk und Fernsehen gelten künftig, wie für andere Dienstleistungen auch, die Regeln des Freihandels). Sie wurde allerdings vorerst durch einen Aufschub vertuscht, der als „Sieg“ ausgegeben wurde: Die Union besteht auf dem Prinzip der „Ausnahme aus kulturellen Gründen“ und setzt damit den zahlreichen amerikanischen Forderungen Grenzen. Bislang ist also noch kein Abkommen erreicht, aber Hollywood, der Kongreß und die Washingtoner Behörden wollen es dabei nicht bewenden lassen und unternehmen im neuen Freihandelsrahmen der WTO bereits einen neuen Vorstoß. Bei diesem Streit konnte man beobachten, wie sich der Graben zwischen den Ideologen der Ware – als auf jedes Erzeugnis anwendbare Norm – und den Verteidigern der kulturellen Identitäten vertiefte, wobei auf beiden Seiten neue Widersprüche hervortraten. Um Inhalt und Ton dieser Debatten zu zeigen und diese beiden antagonistischen Vorstellungen von der Kultur und ihrer geopolitischen Rolle zu verdeutlichen, sollen zwei Erklärungen nebeneinander gestellt werden. Zum einen die des ehemaligen französischen Präsidenten François Mitterrand: „Es wäre verheerend, ein einziges kulturelles Modell zu verallgemeinern. Sollten die Gesetze des Geldes und die Macht der Technik zuwege bringen, was den totalitären Regimen letzten Endes nicht gelungen ist?“1 Und die von Jack Valenti, Vertreter der MPAA (Motion Picture Association of America), in der die Interessen Hollywoods verteidigt werden: „Das letzte Angebot Brüssels ist wahrhaft kläglich, beleidigend, ein Schwall nichtssagender Worte ... Diese Verhandlung hatte mit Kultur nichts zu tun ... Die traurige Wahrheit ist, daß Europa der Zukunft den Rücken kehrt.“

Die Pseudo-Freiheit des Konsumenten

DIE Debatte ist keineswegs abgeschlossen. Das Problem der Bilderindustrie hat sich schnell zu dem der neuen Informationsnetze hinzugesellt, die der digitalen Kompression sowie dem Zusammenspiel von Fernseher, Telefon und Computer zu verdanken sind.2 In der jüngsten Phase der Debatte über deren Regulierung oder Deregulierung hat die Freihandelsideologie sogleich wieder ihr populistisches Argument vorgebracht. Dessen Inhalt ist einfach, ja sogar primitiv – seine Konsequenzen sind dafür komplexer, als es auf den ersten Blick scheint.

Die Hauptidee lautet, daß auf einem freien Markt freier Wettbewerb herrschen muß zwischen Individuen, die die freie Wahl haben. Die Formulierung lautet etwa so: „Laßt die Leute sehen, was sie wollen. Laßt sie frei wählen und vertraut ihrem Urteilsvermögen. Das einzige Kriterium für ein Kulturprodukt muß sein Scheitern oder sein Erfolg auf dem Markt sein.“

Dieses neoliberale Axiom, wonach der Konsument von Kulturprodukten absolut souverän ist, hat sein Gegenstück in der Theorie bekommen: Die Rolle des Empfängers im Kommunikationsprozeß wurde rehabilitiert. Doch die Rückkehr zu einem aktiven Mediennutzer hat auch ihre perversen Seiten: Da es ihr zufolge ganz allein in der Freiheit des Konsumenten steht, die Programme und andere Kulturprodukte zu dekodieren, woher auch immer sie stammen mögen, erlaubt sie es, sich bequem um Fragen zu drücken, die die Ungleichheiten auf Produzenten- und Anbieterseite betreffen. Darf sich die Freiheit des Fernsehzuschauers auf die Freiheit beschränken, die Produkte einer marktbeherrschenden Industrie zu entziffern? Gehört zu ihr nicht auch die Freiheit, die Produkte „schwächerer“ Kulturen zu rezipieren, angefangen mit denen seiner eigenen?

Wenn man nicht aufpaßt, kann die theoretische Rehabilitierung des „Empfängers“ auf direktem Weg zu einer Legitimierung der kulturellen Unterordnung von Völkern und Kulturen führen, zu dem, was man bis zum Ende der siebziger Jahre noch „Kulturimperialismus“ nannte. Diese Debatten haben allerdings das Problem, daß man leicht als bornierter Chauvinist dasteht, wenn man von der Notwendigkeit spricht, die kulturelle Verschiedenheit als das Mittel zu erhalten, das alles Universelle erschafft und trägt.

Wie auch immer, es ist beunruhigend, wie sehr sich die Begriffe des Globalen und der Globalisierung durchgesetzt haben, wenn es daraum geht, die neuen Szenarien der internationalen Kommunikation zu analysieren. Zwar ist die Logik der Globalisierung eine empirische Tatsache unserer Zeit, doch nicht minder wahr ist, daß sie bloß eine der Logiken ausmacht, die den internationalen Raum strukturieren. Was in der derzeitigen Internationalisierungsphase auftaucht, läßt sich auch als „Weltkommunikation“ bezeichnen. Dieser Begriff hat den Vorzug, uns wieder mit der Geschichte zu verbinden, da er an den der „Weltökonomie“ anknüpft, den der Historiker Fernand Braudel geprägt hat.

Der Begriff „Weltkommunikation“ erlaubt es, die Logiken der Globalisierung zu analyiseren, ohne sie zu mystifizieren. Im Gegensatz zu dem, was das globalistische und egalitaristische Bild vom Planeten uns glauben machen will, erinnern uns diese Logiken daran, daß die Globalisierung der Ökonomien und Kommunikationssysteme immer einhergeht mit der Erzeugung neuer Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Ländern und Regionen beziehungsweise zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen; sie erinnern uns daran, daß Globalisierung eine Quelle neuer Ausgrenzungen ist. Um sich davon zu überzeugen, muß man nur einmal auf die Fragmentierungen und Segmentierungen achten, die entstehen, wenn gemeinsame Märkte oder regionale Freihandelszonen geschaffen werden.

Zwar wurde in den achtziger Jahren nach einer globalen, einheitlichen Kultur gesucht, jedenfalls von den transnationalen Unternehmen, die auf der Jagd nach kulturellen Universalien sind, um ihre Produkte, Dienste und Netze besser auf dem Weltmarkt unterzubringen. Doch gleichzeitig erlebten wir auch eine Gegenströmung: die der einzelnen, der besonderen Kulturen.3

Die Spannung zwischen der Pluralität der Kulturen und den zentrifugalen Kräften des Handelskosmopolitismus hat gezeigt, wie komplex die Reaktionen auf das Auftauchen eines gemeinsamen Markts im Weltmaßstab sind. Die begrifflichen Grenzen zwischen dem Singulären und dem Universellen, dem Lokalen, dem Nationalen und dem Transnationalen sind in Bewegung geraten.

Neue Fragen stellen sich: Unter welchen Bedingungen wird der Anschluß an die Netze, über welche die Globalisierung erfolgt, für die jeweils Betroffenen sinnvoll? Werden sie Widerstand leisten, sich arrangieren oder sich einfach überwältigen lassen? Welche Rolle spielt die Angst vor der kulturellen Homogenisierung in der Rückkehr zum Nationalistischen und der Regression in die Identität, die man allenthalben auf der Welt beobachtet? Sind „Vermischung“ und „Kreolisierung“ die Zukunft der Welt?

An der Schwelle zum dritten Jahrtausend ist die Kommunikation jedenfalls weiterhin ein zentraler politischer Punkt, der die Aufmerksamkeit der Bürger täglich mehr beanspruchen wird.

dt. Andreas Knop

1 Marshall McLuhan/Quentin Fiore, „War and Peace in the Global Village“, 1969.

2 Zbigniew Brzezinski, „Between Two Ages. America's Role in the Technotronic Era“, 1969.

3 Le Monde, 25. Oktober 1993.

4 Vgl. hierzu Serge Regourd, „Pour l'exclusion culturelle“; Asdrad Torrès, „Qui tirera profit des autoroutes de l'information?“; Jacques Robin, „Les dangers d'une société de l'information planétaire“; Asdrad Torrès, „A tombeau ouvert sur les autoroutes de l'information“; alle in Le Monde diplomatique, in den Ausgaben November 1993, November 1994, Februar 1995 beziehungsweise April 1995.

5 Vgl. Armand Mattelart, „Nouveau prêt-à-penser idéologique“, Le Monde diplomatique, Mai 1992.

* Professor an der Universität Rennes-II. Autor von „La Communication-monde“, Paris, La Découverte 1992, und „L'Invention de la communication“, ebd. 1994.

Le Monde diplomatique vom 11.08.1995, von Armand Mattelart