11.08.1995

Live aus der Todeszelle Von MUMIA ABU-JAMAL

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Live aus der Todeszelle Von MUMIA ABU-JAMAL

Seit seiner Verurteilung zum Tode im Jahre 1982 hat der schwarze Journalist Mumia Abu-Jamal eine Reihe Artikel über das Gefängnis- und Justizsystem der Vereinigten Staaten und über die Lage der Schwarzen veröffentlicht. Diese Artikel wurden in einem gerade erschienenen Buch zusammengefaßt.1 Daraus stammt der folgende, im April 1994 verfaßte Text mit dem Titel „Jury der Ebenbürtigen“.

Ein Großteil der Propaganda, die die Vereinigten Staaten über die Welt ausschütten, feiert die Triumphe der amerikanischen Demokratie: „freie“ Wahlen, repräsentative Regierung, Geschworenensystem in der Justiz. Das Folgende ist kein Gegenstand für diese Art von publicity.

William Henry Hance wurde 1978 des Mordes an einer Prostituierten aus Georgia für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Sowohl in der ersten Instanz als auch in allen Berufungsverhandlungen waren die Jurymitglieder in ihrer großen Mehrheit Weiße. Eine der Geschworenen – die einzige Schwarze – erklärte unter Eid, sie habe der Todesstrafe niemals zugestimmt. Eine andere Geschworene, eine Weiße diesmal, bestätigte das und führte aus, der Prozeß habe eher an Lynchjustiz als an ein reguläres Gerichtsverfahren erinnert.

Dieselbe Geschworene, Pamela Lemay, hat in einer notariell beglaubigten Erklärung ausgesagt, daß sie gehört habe, wie ein Jurymitglied ausrief: „Der Neger hat die Tatsachen zugegeben. Wir müssen ihn zum Braten verurteilen.“ Lemay behauptete auch, daß sie in dem Hotel, wo die Jurymitglieder wohnten, mehrmals abfällige Äußerungen über Henry Hance vernommen habe. Hance wurde darin als „ein ziemlich typischeer Neger“ oder als „noch ein Neger, den niemand vermissen wird“ beschrieben. Diese Äußerungen fielen immer nur in Abwesenheit der einzigen schwarzen Geschworenen. Als es um die Frage ging, ob Hance zu lebenslangem Gefängnis oder zum Tode verurteilt werden solle, merkte ein Jurymitglied an, er sei für die Hinrichtung, denn „so gibt es einen Neger weniger, der Kinder macht“. So etwas nennt man in Amerika also eine „Jury von Ebenbürtigen“.

Glauben Sie, ein einziger dieser Anhaltspunkte hat die Justiz in Georgia, das Oberste Gericht dieses Staates oder gar den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten gestört? Nicht im geringsten. Am 11. April 1994, um 22 Uhr, wurde William Henry Hance, ein zugleich geistesgestörter und geistig zurückgebliebener Mann, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Das heißt, gelyncht vom Staate Georgia, dessen Wahlspruch „Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung“ lautet.

Als Antwort auf den letzten Berufungsantrag, den Hance Anwälte einige Stunden vor seiner Hinrichtung beim Obersten Gericht eingereicht hatten, schrieb Richter Blackmun, der mit der Entscheidung seiner Kollegen nicht übereinstimmte: „Selbst wenn ich nicht der Ansicht wäre, daß die Todesstrafe keine angemessene Strafe sein kann (...). könnte ich – unter Berufung auf unsere Verfassung – einer Hinrichtung in diesem speziellen Fall nicht zustimmen: Zu viele Anhaltspunkte rechtfertigen meiner Ansicht nach die Auffassung, daß William Henry Hance zugleich geisteskrank und intellektuell zurückgeblieben ist.

Im übrigen gibt es gute Gründe für die Annahme, daß die Verhandlung und das Urteil durch rassistische Vorurteile belastet sind. Darüber hinaus hat eine Geschworene erklärt, daß sie aufgrund der geistigen Unzurechnungsfähigkeit des Verurteilten gegen die Todesstrafe gestimmt hat.“ Die Mehrheit des obersten Richterkollegiums konnte sich dieser Überlagung nicht anschließen.

Die Gerichte von Georgia und der Vereinigten Staaten erklärten sich mit jenem anonymen Geschworenen einverstanden, der meinte, es sei das beste für Hance, tot zu sein. Und daß es so eben „einen Neger weniger gibt, der Kinder macht.“

dt. Thierry Chervel

1 Mumia Abu-Jamal „Live from Death Row – Libe aus der Todeszelle“, AGIPA-Press, Bremen 1995.

Le Monde diplomatique vom 11.08.1995, von Mumia Abu-Jamal