Rußland pokert mit kaukasischem Erdöl
MIT der Billigung des Gesetzentwurfs über Investitionen im Erdölsektor hat das russische Parlament am 13. Juni 1995 grünes Licht für ausländische Investitionen gegeben, die auf Dutzende von Milliarden Dollar geschätzt werden. Moskau zeigt aber auch reges Interesse an Energieprojekten in den ehemaligen sowjetischen Gebieten, insbesondere im Kaukasus. Der Kreml möchte seine Vorherrschaft und Präsenz in diesem Raum behaupten, zumal die jungen unabhängigen Republiken von zahlreichen Kriegen heimgesucht werden. Zu diesen zerrütteten Regionen gehört auch das an Afghanistan grenzende Tadschikistan.
Von unserer Sonderkorrespondentin NUR DOLAY *
Vom Flugzeug aus bietet Baku mit seinen hohen feuerspeienden Schloten einen beunruhigenden Anblick. Zwischen den Gasfackeln erblickt man Hunderte von Ölpumpen, die sich schwerfällig auf- und abwärts bewegen und dabei zähflüssige schwarze Ölpfützen absondern. Wenn sich der kulek, jener starke, immer präsente Wind, dreht und auf einmal vom Meer ins Landesinnere weht, durchzieht ein beißender Geruch die Luft und macht das Atmen schwer. Das Kaspische Meer ist ein gewaltiges Reservoir an schwarzem Gold und Erdgas. Nur 7 Prozent der Offshorevorkommen dieses riesigen Sees mit einer Fläche von 600 000 Quadratkilometern wurden bisher erfaßt, der aktuellen Schätzungen zufolge etwa 850 Millionen Tonnen Erdöl und 8 700 Milliarden Kubikmeter Gas unter sich birgt.
Die Ölfelder fressen sich in die Vororte von Baku. Weite Ölteppiche erstrecken sich über das gesamte Brachland zwischen der Straße und dem Meer. Beinahe hat man Angst, ein Streichholz anzustecken, als könnten sich diese Pfützen beim geringsten Funken entzünden. Ein Bild der Apokalypse...
Die Renaissance der kaspischen Region infolge der Entstehung dreier neuer Staaten, Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan, die die Unabhängigkeit durch ihren Energiereichtum konsolidieren wollen, verläuft nicht ohne Reibungen. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht der Transport des schwarzen Goldes ins Ausland. Die zukünftige Trasse der Erdöl- und der Erdgaspipelines bildet den Zankapfel zwischen Rußland und der Türkei, und, in geringerem Maße, dem Iran. Die Unentschlossenheit der USA, des größten Förderers, verschlimmert die Ungewißheit.
Zwischen einem westlichen Firmenkonsortium und Abulfas Eltschibej, dem ehemaligen Präsidenten Aserbaidschans, wurde ein erster Vertrag geschlossen. Nach dem mit Moskauer Unterstützung im Juli 1993 erfolgten Staatsstreich schien dieses Abkommen gefährdet.1 Der Sieger, Gaidar Alijew, ehemaliges Politbüromitglied in der Breschnew-Ära, war mit dem System zu vertraut, um den gleichen Fehler wie sein Vorgänger zu begehen, der seine Sympathien für die Türkei offen bekundet hatte.
Riesige Erdöllager
EINE der ersten Entscheidungen des neuen Präsidenten war daher die Annullierung. Danach wurde der Vertrag mit dem Konsortium neu verhandelt, um Rußland einzubeziehen. Dem neuen starken Mann in Baku bot dies eine Gelegenheit, dem Kreml zu schmeicheln und seinen Interventionsabsichten zuvorzukommen. In dem neuen, am 20. September 1994 unterzeichneten Abkommen überließ die staatliche aserische Gesellschaft Socar ein Drittel ihres Anteils, d.h. 10 Prozent, der russischen Lucoil und behielt somit nur mehr 20 Prozent des Vertragsvolumens.2
Der auf zehn Jahre abgeschlossene Vertrag sieht eine Fördermenge von 510 Millionen Tonnen Erdöl vor. Die drei betroffenen Lagerstätten, Azeri, Cirag und Gunesli stellen nur einen Bruchteil der etwa zwanzig Ölfelder des Kaspischen Meeres dar.
Auf dem anderen Ufer hat Kasachstan nach zweijährigen Verhandlungen im Mai 1992 ein Abkommen mit der amerikanischen Firma Chevron über die Ausbeutung der riesigen Vorkommen von Tenguiz geschlossen. Die als Joint- venture gegründete Tenguizchevroil, die den beiden Partnern zu gleichen Teilen gehört, muß in den nächsten vierzig Jahren 20 bis 30 Milliarden US-Dollar investieren und einen dreimal so hohen Gewinn abwerfen. Die Reserven werden auf 25 Milliarden Barrel geschätzt, doch in dieser Region Kasachstans ist das Erdölvorkommen keineswegs begrenzt. Man spricht von 6,2 Milliarden Tonnen, die Region von Aktjubinsk noch nicht eingerechnet, für welche die Elf Aquitaine die Schürfrechte erworben hat. Die französische Gesellschaft, die sich etwa 817 Millionen Tonnen erhofft, wird für zehn Jahre der einzige Förderer sein.3
British Gas und Agip (Italien) haben ihrerseits einen Fördervertrag für die Lagerstätten von Karachagansk unterzeichnet, die 340 Millionen Tonnen Rohöl und 1 300 Milliarden Kubikmeter Erdgas bergen sollen. Im Dezember 1994 mußte Kasachstan die russische Firma Gazprom an diesem Vertrag beteiligen, die bereits vor 1992 in dieser Region gefördert und investiert hatte.
Ein anderer, 1993 mit einem aus sechs Firmen bestehenden Konsortium (BP-Statoil, British Gas, Mobil, Total, Agip, Royal Dutch-Shell) geschlossener Vertrag betrifft die Erforschung und Erschließung einer nördlich vom Kaspischen Meer gelegenen Region. Hier handelt es sich zum Teil um ebenfalls riesige Offshorevorkommen, die etwa 3,5 Milliarden Tonnen Erdöl und 1 500 Milliarden Kubikmeter Gas ausmachen dürften.
Schließlich hat die Firma Oman Oil die Förderrechte über die östlich des Kaspischen Meeres gelegenen Vorkommen von Dunga sowie Schürfrechte im Nordosten erworben. Als Vermittlerin in den amerikanisch-kasachischen Verhandlungen hat sie auch eine Schlüsselposition bei der Bildung eines Konsortiums mit Kasachstan und Rußland zum Bau einer Erdölleitung.
Dieses Land, das an einen mit Erdöl vollgesogenen Schwamm erinnert, leidet indes an chronischem Ölmangel: regelmäßig stehen die Fabriken still, wird der Verkehr unterbrochen... Schuld an dieser Misere trägt das aus der sowjetischen Ära stammende, ausgeklügelte System von Wechselwirkungen, das es Moskau heute gestattet, sein „nahes Ausland“ (die ehemaligen Sowjetrepubliken) zu erpressen: 85 Prozent des kasachischen Rohöls fließen in die im Norden des Landes gelegenen russischen Raffinerien oder zur aserischen Hauptstadt, während die kasachischen Raffinerien drei Viertel ihrer Kapazität zur Verarbeitung des russischen Öls einsetzen müssen, das eine andere Zusammensetzung aufweist. Die allgemeine Desorganisation der postsowjetischen Epoche sowie der mangelnde Kooperationswille Moskaus machen ein Funktionieren des Systems unmöglich.
1994 hat Rußland nur 40 Prozent des vereinbarten Erdöls, d.h. 4,42 Millionen Tonnen, und nur 48 Prozent der Erdölderivate an Kasachstan geliefert, unter dem fadenscheinigen Hinweis auf Zahlungsrückstände – in Dollar. Unter diesen Umständen arbeiten die kasachischen Raffinerien im Zeitlupentempo, wenn sie ihren Betrieb nicht zeitweise ganz einstellen, während das Erdöl vor Ort brachliegt, mangels geeigneter Transportmittel, die es in jene Länder liefern würden, die in Dollar abrechnen, oder sogar an die sibirischen Raffinerien.
Kasachstan ist auf die russischen Pipelines angewiesen und stößt häufig auf den mangelnden Willen Moskaus, das bald Überlastung seines Netzes vorschiebt, bald androht, die angeblich zu niedrigen Transporttarife zu erhöhen.
Der Druck vom Kreml läßt die neuen Republiken nach größerer Eigenständigkeit streben. Selbst der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew, der lange Zeit die Idee einer eurasischen Einheit verfocht, sich gegen die Errichtung neuer Grenzen zwischen den Ländern der ehemaligen UdSSR aussprach und eine gemeinsame Rubelzone befürwortete, sah sich schließlich gezwungen, eine eigene Währung zu schaffen und nach anderen Bündnispartnern zu suchen, ohne es zu einem völligen Bruch mit Moskau kommen zu lassen. Um der Bevormundung durch das ehemalige Mutterland zu entgehen, orientierte er sich nach Westen. Anläßlich seines Besuches in London Anfang April 1994 formulierte er einen Appell: „Ich glaube nicht, daß Waffen irgend etwas zur Verteidigung unseres Landes ausrichten können. Unsere Hauptsicherheitsgarantie (gegenüber Rußland) wäre eine massive Präsenz von westlichem Kapital.“4
Ähnlich denkt auch der aserische Staatschef Alijew: Er will sich des Erdöls als Waffe bedienen, nicht nur, um sich gegenüber Moskau einen Handlungsspielraum zu verschaffen, sondern auch um sich eine bessere Position im Konflikt mit Armenien zu sichern. Der alte Parteifunktionär pendelt daher auf diplomatischer Ebene zwischen Washington, London und sogar Paris und ist gleichzeitig um ein gutes Klima mit Ankara, Teheran und Moskau bemüht. Ein hoher Vertreter der aserischen Delegation erklärte während seiner Pariser Visite vertraulich: „Wir versuchen, der ganzen Welt Appetit auf das schwarze Gold zu machen.“
Amerikanische Vorsicht
DIEJENIGEN aber, die Appetit auf Erdöl bekommen sollen, schienen wenig begeistert. Sie zeigten sich unentschlossen, zögerten, die jungen turksprachigen Republiken offen zu unterstützen. Die USA werden nicht nur von den Regierungen der Region, sondern auch von der Türkei sehr gedrängt, im russischen Hinterhof zu intervenieren, legten aber große Vorsicht an den Tag.
In der Tat sah man in Washington die Dinge ganz anders als in Ankara. Rußland war nicht mehr der Hauptfeind, sondern ein Staat, mit dem man vor allem auf dem Energiesektor unbedingt kooperieren mußte – um so mehr, als die Suche und Erschließung neuer Energiequellen sich nach dem Golfkrieg als noch dringender erwiesen. Außerdem könnten die geographisch zu verstreuten amerikanischen Erdölvorkommen mit ihren hohen Förderkosten als strategische Reserve im Boden bleiben, wenn sich ein neues Eldorado am russischen Horizont abzeichnete.
Die USA haben kein Interesse, sich auf den Nationalismus der einen und die Erpressungen der anderen einzulassen, sie wollten mit einem einzigen Partner, nämlich Rußland, verhandeln, der für alle anderen spricht und sie zudem unter Kontrolle hält. Darüber wurden sich die neuen unabhängigen Staaten der ehemaligen UdSSR klar, als der kasachische Präsident, den 10 Millionen US- Dollar umfassenden Vertrag mit der Firma Chevron im Rücken, im Februar 1994 den Weg nach Washington einschlug und um amerikanische Unterstützung für eine Ölpipeline in die Türkei bat.
Die kategorische Antwort lautete, daß die Pipeline durch russisches Territorium führen müsse. Die Firma Chevron wurde ersucht, die Kasachen für die Einbeziehung der Russen in die Förderprojekte zu gewinnen! Dem Entgegenkommen Washingtons verdankte Rußland seine Partizipation an allen Verträgen. Juri Schafranik, der russische Energieminister, hatte bereits im vergangenen November deutlich gemacht, daß sein Land bei allen Energieprojekten entscheidend beteiligt sein müsse.
Die Trasse der neuen Erdölpipeline hätte kaum zu einem Kräftemessen zwischen Moskau und Ankara geführt, wenn die türkische Presse nicht von Februar 1993 an voreilig verkündet hätte, daß ein großer Sieg in Sicht sei. Fehlmeldung oder absichtliche Indiskretion aus wahltaktischen Gründen, die Tageszeitung Milliyet unterstrich jedenfalls damals euphorisch die Bedeutung des Projekts, das Anatolien nicht nur zu einer Brücke in der Energieversorgung zwischen Europa und Zentralasien mache, sondern auch als Nabelschnur zwischen der Türkei und den „Schwesternrepubliken“ diene, Staaten, die durch kulturelle und historische Affinitäten untereinander verbunden seien.5
In dem erbitterten Streit, den die beiden historischen Gegner um die Kontrolle der zukünftigen Pipeline führen, ist für Rußland nicht der wirtschaftliche Aspekt maßgeblich. Wenngleich es auch nicht den aus der Erschließung der Vorkommen zu erwartenden Gewinn verschmäht, möchte Rußland vor allem die Kontrolle über die Staaten der ehemaligen UdSSR behalten. Rußland setzt sich daher hartnäckig dafür ein, die Pipeline zum Schwarzmeerhafen Noworossisk zu führen.
Die türkische Seite, die in der Pipeline eine Lebensarterie zwischen Zentralasien und Anatolien sieht, setzt vor allem auf den wirtschaftlichen Aspekt des Projekts. Mit seiner bescheidenen Produktion von 82 000 Barrel pro Tag – die knapp 18 Prozent seines Bedarfes deckt – möchte Ankara sich aus der strategischen Abhängigkeit vom Rohöl des Nahen Ostens befreien und eine billigere Ersatzlösung finden, zumal die Kosten für das kaspische Öl teilweise durch die Transiteinnahmen gedeckt werden, die eine Trassenführung der Pipeline durch türkisches Gebiet bis zu dem im Golf von Ceyhan gelegenen Mittelmeerhafen Yurmurtalik abwerfen würde.
Um die Chancen des russischen Projektes zu verringern und seinen Argumenten größeres Gewicht zu verleihen, versucht die Türkei seit August 1993, den freien Verkehr von Tankschiffen durch die Meerengen am Schwarzen Meer einzuschränken. Unter dem Vorwand ökologischer Bedenken und dem Hinweis auf die enormen Risiken, die dieser Verkehr für Istanbul bedeutet – Gründe, die die Regierung bisher noch nie beunruhigt hatten –, forderte sie die Revision des 1936 in Montreux geschlossenen Meerengenabkommens über den Status von Bosporus und Dardanellen.
Moskau hat sich kategorisch dieser Forderung widersetzt. Aber am 13. März 1994 brachte eine neuerliche Katastrophe (die 444. in vierzig Jahren) – der Zusammenstoß eines zypriotischen Tankers mit einem Frachter – die Sturmglocke zum Läuten. Die Türkei ergriff die Gelegenheit beim Schopfe und setzte mit dem 1. Juli eine neue Verordnung in Kraft, mit der man sich versprach, ein wenig Ordnung in diesen wahnsinnigen Verkehr bringen zu können und ihn unter Umständen auch zu drosseln.
Die Antwort aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten: Unmittelbar nach der Vertragsunterzeichnung zwischen Aserbaidschan und dem amerikanischen Konsortium am 20. September letzten Jahres und trotz der Beteiligung der russischen Lucoil legte der Kreml Einspruch ein: „Die Verpflichtungen aus der sowjetischen Ära gelten auch weiterhin“, erklärte Außenminister Andrej Kosyrew unter Bezugnahme auf die 1920 und 1941 mit dem Iran abgeschlossenen Verträge. Grigori Karassin, der Sprecher des Ministeriums, erinnerte daran, daß diese Verträge die gemeinsame Ausbeutung des Kaspischen Meeres beinhalteten, und daß alle Anrainerstaaten diese Abkommen respektieren müßten, da keine Aufteilung erfolgt sei.6 Seiner Aussage zufolge handelt es sich hier um ein Binnengewässer, weshalb die Bestimmungen über Hoheitsgewässer, Hochebenen auf dem Festland oder Gebieten mit Alleinnutzungsrecht, die sich in der Nähe von offenen Meeren befinden, keine Anwendung fänden (siehe Kasten Seite 18).
Die Russen, die nicht untätig bleiben wollten, schlugen mehrere neue Projekte vor, um die unter türkischer Kontrolle stehenden Meerengen zu umgehen. Eines davon sah sogar den Transport des Öls in Tankschiffen vom Terminal Noworossisk bis zum bulgarischen Hafen von Burgas vor und die Weiterleitung durch eine andere Pipeline zum griechischen Hafen Alexandropolis, ungeachtet des fortgesetzten Ladens und Löschens und des Baus der dazu erforderlichen Terminals...
Durch eine Wende in der amerikanischen Politik wurden die Karten schließlich neu gemischt: Turkmenistan hatte den Entschluß gefaßt, seine Energievorkommen über eine Gasleitung zu exportieren, die durch den Iran und die Türkei führen sollte. Das Bauvorhaben soll von den drei betroffenen Ländern finanziert werden; mit der Durchführung des Baus soll die türkische Gesellschaft Botas beauftragt werden.
Eine doppelte Herausforderung des turkmenischen Präsidenten, einem der Moskau gegenüber unabhängigsten Staatschefs der ehemaligen Sowjetrepubliken: Saparmurad Nijasow schloß nicht nur Rußland von diesem Projekt aus, sondern zögerte auch nicht, gleichzeitig seinen Verbündeten, den Iran, zu beteiligen, ein Land, das vom Westen boykottiert wird und über das Bill Clinton am 30. April 1995 ein Embargo verhängt hat.7
Gefürchtete Achse Ankara–Teheran–Aschchabad
DAS Schreckgespenst Iran hat zu dem Meinungsumschwung Washingtons zugunsten des Projekts Baku- Ceyhan beigetragen. Davon hat der amerikanische Botschafter die türkische Regierung am 31. Januar 1995 in Kenntnis gesetzt.
Die Angst vor einer starken Achse Ankara–Teheran–Aschchabad prägt die neue amerikanische Strategie mit, die nach dem Fall des Kommunismus den Hauptfeind des Westens im Islam erblickt.
Auch der Krieg in Tschetschenien hat das amerikanische Mißtrauen gegenüber Moskau verstärkt und andere wichtige Faktoren des „großen Spiels“ sichtbar werden lassen, das in dieser Region stattfindet.
Trotz der in Moskau herrschenden Wirren läßt sich eine gewisse Kontinuität mit der sowjetischen Epoche feststellen: Diese Politik richtet sich nicht nur gegen die ehemaligen Republiken, sondern auch gegen eine amerikanische Firma wie Chevron, die immer größere Zweifel hegt, ob sie ihre geplanten Investitionen tätigen soll.
Um so mehr, als ihre Bitte, sich am Konsortium der kasachischen Pipelines zu beteiligen, vom russischen Energieminister Juri Schafranik abgelehnt wurde, der von Chevron ein größeres finanzielles Engagement bei weitaus geringerem Gewinn forderte.
Unter diesen Bedingungen erscheint die Türkei Washington als ein Partner, der die kapitalistischen Spielregeln besser verinnerlicht hat. Daher kommt man in Amerika langsam zur Einsicht, daß es besser sei, nicht alles auf Rußland zu setzen und zwei Pipelines zu bauen, eine nach Noworossisk und eine zweite nach Ceyhan! Für die zweite erwartet Hayrettin Uzun, der Direktor von Botas, in den nächsten Monaten eine politische Entscheidung. Die Errichtung könnte zweieinhalb Jahre dauern, die Frage der Trassierung außerhalb der Türkei ist allerdings noch ungeklärt.
Zwei Lösungen bieten sich an, die dritte, den Iran einschließende, ist wegen der amerkanischen Finanzierung prinzipiell ausgeschlossen: Georgien und vor allem Armenien. Jerewan hat in Anbetracht der Rolle, die ihm zukommen könnte, sogleich eine Öffnung gegenüber Ankara eingeleitet und nicht gezögert, die Aktivitäten der Partei der extremen Nationalisten, Dachnak, zu verbieten.
Ankara müßte Aserbaidschan für diese Variante zu gewinnen suchen, indem es Lösungen zur Räumung der von Armenien besetzten Gebiete (mehr als 20 Prozent des Landes) in Aussicht stellt und zur Rückkehr von einer Million Flüchtlingen, die noch immer in Zelten untergebracht sind.
dt. Andrea Marenzeller
1 Siehe Nur Dolay, „Instable indépendence de l'Azerbaidjan“, Le Monde diplomatique, August 1993.
2 Die anderen Partner sind: British Petroleum (17,1 Prozent), die amerikanischen Firmen Amoco (17,1 Prozent), Unocal (11,2 Prozent), Pennzoil (9,8 Prozent), McDermott (2,5 Prozent) und Ramco (2 Prozent), die norwegische Statoil (1,8 Prozent) und schließlich die türkische TPAO, deren Anteil sich durch die ihr von der Socar mangels ausreichender Investitionsmittel abgetretenen 5 Prozent auf 6,75 Prozent erhöhte.
3 Le Courrier des Pays de l'Est, Nr. 387, 1994, La Documentation française, Paris.
4 Mehmet Ogütçü, „Eurasian Energy Prospects“, Eurasian Studies, TICA (Ankara), Nr. 3, 1994.
5 Taha Akyol, „Nous sommes en train de régler le pétrole.“, Milliyet, 29. März 1993.
6 Cumhuriyet, 29. Oktober 1994.
7 Siehe Éric Rouleau, „Der Dialog zwischen Washington und Teheran ist gescheitert“, Le Monde diplomatique, dt. Ausgabe, Juni 1995.
* Journalistin