Die Republik Tadschikistan zwischen Krieg und Frieden
Verwüstet von einem Bürgerkrieg, der Zehntausende von Opfern gefordert hat, tut sich Tadschikistan nun schwer, zum Frieden zurückzufinden. Unter den wachsamen Blicken Moskaus und der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen verhandeln die Regierung und die im Exil befindliche Opposition, mit dem Ziel, wieder stabile Verhältnisse in dieser empfindlichen Region zu schaffen.
Von unserer
Sonderkorrespondentin
MYRIAM GAUME *
IN Duschanbe, der Hauptstadt der Republik Tadschikistan, defiliert im Rahmen der Feierlichkeiten zum 8. Mai 1945 auch das Regiment „Fajsali“, benannt nach jenem jungen Helden, der während des Bürgerkriegs im Kampf gegen die Islamisten gefallen war. Im Büro von General Alexander Schubajew hängt ein Gobelin-Porträt Fajsalis, der sein Kampfgefährte war. Schubajew, stellvertretender Verteidigungsminister und ehemaliger Oberbefehlshaber der Fallschirmjäger in Usbekistan, ist gebürtiger Russe. Er zeigt auf der Landkarte die Kessel des bewaffneten Widerstands: Garm, Pjandsch, Kalau-Chumb, Chorog – immer wieder aufflammende Brandherde eines Partisanenkriegs. Entlang der afghanischen Grenze, sagt er, verfügten „17 000 bis 40 000 Mudschaheddin über 6 500 Geschütze und Panzerabwehrkanonen“. In den Lagern der Exil-Opposition warten sie auf ihren Einsatz. Im offiziellen Sprachgebrauch nennt man sie „Banditen“.
„Der Pluralismus hat uns in den Bürgerkrieg geführt“, erklärte der künftige Präsident Imamali Rachmanow am Tag nach der Einnahme von Duschanbe am 10. Dezember 1992. Die Kommunisten hatten gerade die Regierung der „Nationalen Erneuerung“ gestürzt, in der die „Islamische Partei der Wiedergeburt“, die Nationalisten und die Demokraten eine Allianz eingegangen waren. Seit Mai 1991 rief der kommunistische Präsident Rachman Nabijew die Leute auf, sich zu erheben, und bewaffnete seine Partisanen.1
Im Unterschied zu anderen ehemaligen Sowjetrepubliken war beim Krieg in Tadschikistan die ethnische Problematik nicht ausschlaggebend. Die Tadschiken, persischsprachige Sunniten, machen unter den 5,8 Millionen Einwohnern zwei Drittel aus; sie stellten große Bataillone von Soldaten für beide verfeindeten Lager, die vor allem der gegenseitige Haß der Clans und regionale Ansprüche gespalten hatten. So standen sich hier zwei Regionen des Südens feindlich gegenüber: das mit den Kommunisten sympathisierende Kuldschab und Kurgan- Tschube, das die Islamisten unterstützte. Im Norden schützt eine Bergkette das reiche Chudschand (früher: Leninabad), die zweite Stadt des Landes, Hochburg der Kommunisten, die sich bewußt aus dem Konflikt herausgehalten hat. Die zweite Volksgruppe des Landes, die türkischsprachigen Usbeken, stellen etwa 25 Prozent der Einwohner und sind in Chudschand stark vertreten. Natürlich orientieren sie sich traditionell am Norden, am reichen Nachbarn Usbekistan. Und dann gibt es noch die Gebirgsgegend des Pamir (Berg-Badachschan), Sitz der kleinen Gemeinschaft ismailitischer Schiiten mit ihrem geistigen Oberhaupt, dem Aga Khan: Sie hat sich der demokratischen Opposition unter Führung des Filmregisseurs Dawlat Chudonasarow angeschlossen.
Zwischen 1991 und 1992 hat der Krieg über 50 000 Tote und eine Million Flüchtlinge gefordert und das Land verwüstet. Tausende von Soldaten flüchteten nach Afghanistan und kämpfen seit zwei Jahren nun von dort aus gegen das Regime. Im April 1995 ermöglichte die Schneeschmelze die Wiederaufnahme der Kämpfe in Pamir und an der Grenze, die von russischen Truppen verteidigt wurde. Der im November 1994 gewählte Präsident Rachmanow preist nun die „nationale Versöhnung“, und seit April 1994 kam es tatsächlich unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu mehreren Treffen zwischen den Machthabern und den Rebellen.
Im Westen von Duschanbe, im öffentlichen Regar-Park, sitzen ein Usbeke und ein Russe auf den Holzbänken einer Tschajchana, eines Teehauses, und verfolgen das Schachspiel zweier Tadschiken. „Der Krieg ist nicht zu Ende“, empört sich der Usbeke. „Wozu haben die Vereinten Nationen eigentlich ein Treffen zwischen Regierung und Opposition arrangiert? Die Armen haben von der Demokratie nichts zu erwarten. Allein der Kommunismus kann uns helfen.“ Selbst mitten im schlimmsten Bürgerkrieg bezahlte die Aluminiumfabrik der Stadt, die viele Leute aus der ganzen Region beschäftigt, ihren Arbeitern noch einen Lohn aus.
Im Herbst 1992 dann setzten bewaffnete Truppen von Usbeken und Tadschiken zum Sturm auf die Hauptstadt an, um endlich Schluß zu machen mit dem „Komplott der Fundamentalisten“ und ihrem Ideologen, dem großen Kriegsherrn Akbar Turadsonsoda, dem wichtigsten religiösen Führer der Republik, der der Islamischen Partei der Wiedergeburt nahesteht. „Dieser Turadsonsoda ist ein Fundamentalist: Wenn er aus dem Exil zurückkehren will, werden wir uns zusammentun, um ihn zu töten!“ sagt ein Tadschike nach kurzem Schweigen. „Die ganze Stadt ist auf der Seite der Regierung. Menschen von 60 Nationalitäten leben hier zusammen.“ Weil er weiß, daß ihn niemand bespitzelt, scheut der alte Russe nicht, seiner Empörung offen Ausdruck zu geben: „Gorbatschow hat die UdSSR zerstört. Er hat unsere Truppen aus Afghanistan abgezogen. Ohne ihn wären wir noch da, und der ganze Schlamassel wäre nicht passiert. Ohne den Krieg hätten wir hier ein Paradies.“
Die Straße im Süden ist mit Polizeiabsperrungen gespickt. Auf jedem öffentlichen Platz erhebt sich eine Leninstatue. In Kurgan-Tschube, der Hochburg des Islam, spricht man kaum russisch. Die Spuren der Kämpfe sind überall sichtbar. Der Angriff der Kommunisten hat zahlreiche Häuser ohne Dächer und Fenster zurückgelassen. „Das haben die Leute aus Kuldschab gemacht“, murmeln die Einwohner. Da der Staat keine Löhne mehr zahlt, muß jeder selbst versuchen, irgendwie zurechtzukommen. Um zu überleben, verkaufen die Witwen Kefir auf dem Markt. Auf der Straße fährt man Fahrrad, denn Benzin ist zu teuer. Der Mercedes, der vorbeirollt, gehört einem Boß der Baumwollmafia, die die Produktion der örtlichen Fabrik durcheinanderbringt.
Um sich vor den vordringenden Miliztruppen der Regierung zu schützen, haben Zehntausende von Einwohnern Zuflucht in der Umgebung der Dörfer an der afghanischen Grenze gesucht. Andere trieb die Angst dazu, mitten im Winter auf Luftkissen die vereisten Fluten des Pjandsch zu überqueren: Viele kamen dabei um. Heute untersteht dieses Gebiet der Kontrolle von 20 000 GUS- Soldaten – die meisten davon sind Russen, aber es befinden sich auch 2 000 Tadschiken unter ihnen, außerdem gibt es ein paar Einheiten von Kirgisen, Usbeken und Kasachen – und natürlich vierzig Offiziere der Vereinten Nationen mit Beobachterstatus, die Verletzungen des Waffenstillstands kontrollieren und protokollieren.
Im Osten, in Badachschan, isoliert ein dichtes Netz von Grenzwächtern die Aufständischen von Wantsch und Kalau-Chumb aus den afghanischen Tälern, in denen sich die Opposition eingenistet hat. Auf den Straßen im Hochgebirge trifft man abwechselnd auf eine russische Garnison, ein kasachisches Bataillon oder einen Posten der Mudschaheddin – deren Zusammenstöße tödlich sind.
Jenseits des Flusses herrscht die Exil- Regierung über drei Lager – in Kundus, Masar-i-Scharif und Talikan –, die weiteren 60 000 Flüchtlingen Schutz bieten. Dank der Unterstützung durch den Iran und Saudi-Arabien ist das Leben dort durchaus erträglich, das jedenfalls behaupten die Zurückkehrenden. Auf der anderen Seite des Stacheldrahts haben sie eine Unterkunft, Schulen und neue Schuhe gefunden, aber die sanitären Verhältnisse sind unzureichend, die Gefahr der Malaria ist groß.
Über den Pjandsch kommen nicht nur Waffen, sondern auch Drogen aus Pakistan. „Auf der anderen Seite der Grenze verflechten sich die beiden Fäden“, sagt Genadij Blinow, stellvertretender tadschikischer Innenminister und gebürtiger Russe. „Im vorigen Jahr hat man sowohl russische Offiziere als auch tadschikische Milizionäre festgenommen, weil sie Drogen nach Moskau verschoben haben.“ General Petrikajew, der die 201. Division, eine Elitetruppe der GUS, befiehlt, mußte in seinen eigenen Reihen aufräumen.
„Die Russen in Tschetschenien? Das ist eine ziemliche Schweinerei“, so kommentiert es der Historiker Jussuf, Professor an der Universität. „Doch hier ist ihre Anwesenheit normal, es handelt sich um die Grenze zur GUS, die sie bewachen.“ Als Anhänger des Rechtsstaats möchte Jussuf den „Neokommunisten“ noch einmal eine Chance geben, doch mißtraut er dem im Februar 1995 gewählten Parlament. „Mindestens sechzig Abgeordnete haben sich da mit der Macht ihrer Waffen, d.h. mit ihren im Bürgerkrieg geleisteten „Diensten“, hineingedrängt. Was für Gesetze können die nun für das Volk beschließen?“
Unter der Regierung des Präsidenten Rachmanow ist weniger eine Partei als vielmehr ein Clan, nämlich der von Kuldschab, an die Macht gekommen. Dieser Clan ist sehr isoliert, und das gilt sogar in bezug auf die Kader der Gegend um Chudschand, die den Kommunisten zwar durchaus wohlgesonnen sind, aber auch entschieden für eine Politik der Öffnung eintreten. Unter dem Druck von Moskau hat dann die Regierung Rachmanow eine Politik der nationalen Versöhnung angestrebt.
Der afghanische Präsident, Burhanuddin Rabbani, ebenso Tadschike wie Major Ahmed Schah Massud, wartet ungeduldig auf den Moment, in dem an der Grenze wieder Frieden einkehrt. Am 16. Mai 1995 schließlich führen seine Vermittlungsbemühungen zum Erfolg. Präsident Rachmanow und Said Abdullah Nuri, der Führer der bewaffneten Opposition, treffen sich dreimal in Kabul. Der Waffenstillstand wurde um drei Monate verlängert – bedingungslos. Doch das Angebot zur Amnestie seitens der Regierung nahm die Opposition eher skeptisch auf. „Ihr wollt ja bloß unsere Kapitulation“, erklärte der religiöse Führer, der Kriegsherr Akbar Turadsonsoda, der eine Teilung der Macht anstrebt. Andere Anhänger der Opposition, darunter auch der Generalsekretär der Demokraten, Jussuf Schadman, sind zu einem Kompromiß mit der Regierung bereit. Der Filmregisseur Dawlat Chudonasarow nahm das Angebot von Präsident Rachmanow an, dessen Flugzeug auszuleihen, um in Duschanbe den Aga Khan zu empfangen. Das geistige Oberhaupt der Ismailiten von Pamir hatte seine Gläubigen am 24. Mai noch einmal um sich versammelt, bevor er sich nach Chorog begab, wo seine Stiftung im Auftrag der Europäischen Gemeinschaft eine weitere Verteilung von Mehl organisiert. Die Gegend ist arm und erhält die zum Überleben notwendigen Lebensmittel zu 80 Prozent von außerhalb.2
Zur gleichen Zeit fanden in Alma- Ata, der kasachischen Hauptstadt, von 22. Mai bis 2. Juni wieder Verhandlungen statt, doch das Hauptproblem, nämlich die künftige Rolle der Opposition und ihre Beteiligung an der Macht, konnte nicht gelöst werden.
„Rußland will das Christentum für Rußland, aber es will den Islam nicht für Tadschikistan. Rußland will Demokratie für sich, aber nicht für Tadschikistan“, kommentiert lakonisch ein Gründungsmitglied der Demokratischen Partei, die ihren Sitz in Duschanbe hat. „Hier in Asien hat die Demokratie keine Wurzeln. Der Islam war die Quelle, aus der die Menschen ihre Kraft zu Disziplin und Moral schöpften.“
dt. Marianne Karbe
1 Alain Gresh, „Les Républiques d'Asie centrale s'engagent sur des chemins divergents“, Le Monde diplomatique, Dezember 1992.
2 The Aga Khan Development Network in Central Asia, Foundation Aga Khan, 1995, Aiglemont, F-60270 Gouvieux.
* Journalistin