16.06.1995

Immer mehr Schiffe jagen immer weniger Fische

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Immer mehr Schiffe jagen immer weniger Fische

Der Konflikt um den Heilbutt zwischen Kanada und der Europäischen Union, die für die Interessen Spaniens eintrat, konnte – endlich – am 15. April mit einem Abkommen beigelegt werden. Insbesondere in Galicien ließ das Abkommen die Fischer auf die Barrikaden steigen. Das Bruttoinlandsprodukt der Küstenprovinzen hängt bis zu knapp 30 Prozent von den Fischfangerträgen ab. Doch nicht allein ihre Situation ist dramatisch; ihre „Gegner“ in diesem Fischkrieg, die neufundländischen Fischer, sind längst mit assenarbeitslosigkeit konfrontiert, und Millionen von lokalen Berufsfischern in der ganzen Welt, von der Bretagne bis nach Senegal, von Indien bis Chile kämpfen mit ungleichen Waffen gegen die Raubzüge der industriellen Fischereiflotten. Die simple Tatsache, daß der Fisch dem gehört, der ihn fängt, und der unterschwellige blinde Glaube, daß die Ressourcen des Meeres unerschöpflich seien, haben zu einer weltweit verantwortungslosen Fischereipolitik geführt. Eines ist gewiß: Die globale Fangkapazität legt weit über der ökologisch vertretbaren Fischausbeute. Die Überfischung gefährdet das Überleben ganzer Fischarten. Die für die Fortpflanzung wichtigen Laichgründe im küstennahen Habitat werden durch Umweltverschmutzung, durch die Erschließung der Uferstreifen und manchmal – so paradox es klingt – auch durch die kommerzielle Fischzucht zerstört. Hauptsächlich in den Fischerdörfern in Asien hängt das Überleben von Dutzenden von Millionen Bewohnern und Bewohnerinnen von der sich in großer Not befindnden traditionellen Küstenfischerei ab, denn der Fisch ist ihr Grundnahrungsmittel. Zwei Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der Plünderung: Laut Schätzungen der Food and Agricultural Organization (FAO) „entsorgen“ vor allem Industrieflotten 40 Prozent ihrer Fänge als sogenannten Beifang, das heißt sie werfen die toten und unbrauchbaren Fische über Bord. Würde ein Bruchteil der als Tierfutter (vor allem für Haustiere) verwerteten weltweiten Fänge für die menschliche Nahrung verwendet, so könnte die Protenversorgung um 40 Prozent erhöht werden. Man darf sich also keinen Illusionen hingeben: Soll es zwischen der kommerziellen Fischerei und den traditionellen Berufsfischern eines Tages wieder ein Gleichgewicht geben, dann gebieten die Zwänge von Beschäftigung, Sicherung der Nahrungsmittelversorgung und Erhaltung oder Erholung der Fischbestände, sich für die traditionelle Küstenfischerei zu entscheiden. Trotz der Bemühungen von UNO und FAO, eine verantwortungsbewußte Fischerei zu fördern, hat es ganz en Anschein, als ob der nichtindustrialisierte Süden einmal mehr zum Opfer der Mächtigeren wird: entweder versiegen die Fischbestände, die für die Ernährung der Bevölkerungen vor allem an den Küstenstreifen lebensnotwendig sind, weil sie zur Abtragung der Auslandsschulden verhökert werden müssen, oder die lokalen Fischer spezialisieren sich darauf, ausfuhrtaugliche Fische zu fangen. Aber auch die Kombination beider Phänomene ist denkbar.  ■ Von ANDRÉ LINARD

EINE erzwungene Inspektion der Schiffsladung auf hoher See, durchschnittene Fischernetze... Die Auseinandersetzungen, die sich kanadische Marine und spanische Trawler im März 1995 lieferten, haben das Ausmaß einer Piraterie angenommen, die wir längst in die Geschichtsbücher verbannt glaubten: eine moderne Seeschlacht um das blanke Überleben der Fische und vor allem der Fischer. Betroffen sind dabei besonders die Fischer des Südens, die Opfer der industriellen Fangflotten. „Dieser Vorfall ist längst kein anachronistischer Überrest vergangener Jahrhunderte, sondern hochaktuell: in der Zukunft wird der Fischereikonflikt noch eskalieren. Es gibt zu viele Schiffe und zu wenig Fische; aggressive Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert“, erklärt Pierre Gillet, Mitbegründer des Internationalen Kollektivs für die Unterstützung der traditionellen Berufsfischerei (Ciapa)1 mit Sitz in Madras und einem Generalsekretariat in Brüssel. Zudem zählt Greenpeace in einem jüngsten Bericht2 nicht weniger als 25 „explosive Situationen“ auf, von Indien über Somalia bis zu den Galapagosinseln.

Das am vergangenen 15. April zur Beilegung des Heilbutt-Konflikts unterzeichnete Abkommen, das die Nutzung der ausgedehnten Fischgründe Neufundlands zwischen der EU und Kanada definiert, könnte nach dem Kapern des spanischen Trawlers „L'Estai“ bloß einen Waffenstillstand darstellen, denn die galicischen Fischer wollen von ihm nichts wissen. Wie dem auch sei: Hinter dem Streit steckt eine unerbittliche Realität. Das Überfischen durch die fremden, äußerst mobilen industriellen Fangflotten, die jeglicher Kontrolle entgehen, hat den Bestand des nordatlantischen Kabeljaus drastisch dezimiert und die Wirtschaft Neufundlands dramatisch gefährdet. Die von Ozeanen bedeckte Erdoberfläche hat lange Zeit an unerschöpfliche Meeres-Ressourcen glauben lassen. Doch die Gewässer, in denen sich die Fische konzentrieren, sind begrenzt. Und angesichts der heutigen Fanggeschwindigkeit können gewisse Fischbestände mit der Reproduktion ihrer Population gar nicht mithalten.

Nach Erkenntnissen der Welternährungsorganisation FAO erreichte 1989 der weltweite Fischfang 100,3 Millionen Tonnen. 1990 und 1991 ging er zurück auf 97 Millionen Tonnen, um 1992 wieder auf 98,7 Millionen und 1993 auf 101,3 Millionen3 zu klettern. Allerdings sind die jüngsten Steigerungen fast ausschließlich auf die kommerzielle Zucht in Fischfarmen zurückzuführen. Die übersteigerten Kapazitäten der Fangflotten tragen dennoch entscheidend zum Versiegen der Meeres-Ressourcen bei. So wird im Nordatlantik viermal soviel aus dem Meer gezogen, wie zulässig wäre, damit sich 90 Prozent der Arten reproduzieren könnten. Auf der südlichen Halbkugel fangen die europäischen und japanischen Industrieflotten die Fische oft, bevor sie ihre Reproduktionsfähigkeit erreicht haben. Rücksichtslos werden sie wieder ins Meer geworfen, bis hin zu einem Verhältnis von vier Kilogramm „Beifang“ auf ein Kilogramm nutzbaren Fisch. Die zu jungen Fische sterben oder sind für den Konsum nicht geeignet; hätten sie auswachsen können, wären sie später willkommene Beute in den Netzen der Kleinfischer gewesen.

Dies trifft vor allem dann zu, wenn sich die Fangschiffe auf eine einzige Fischart konzentrieren, vergleichbar mit den Monokulturen auf dem Land. Zum Beispiel werden pro Kilogramm gefangene Garnelen acht bis zehn Kilogramm unerwünschte Fischarten geopfert. Die FAO schätzt, daß jährlich bis zu 40 Millionen Tonnen ungenutzter Beifang über Bord geworfen werden. Für Großkonzerne ist der Fischfang zudem zu einem schnellen Profitgeschäft geworden. Die europäischen, vor allem spanischen Fangflotten sind für ihre Raubzüge bekannt. Sie sind am schnellen Geld interessiert, nicht am Überleben der Fischarten. Und sie beschränken sich nicht auf die hohe See vor Kanada. Denn für Europa ist der Fischfangsektor lebenswichtig: Nach Aussagen des Experten Dr. Goodison „hängen die Arbeitsplätze von rund 30.000 Fischern und 200.000 Arbeitern in der Fischereiindustrie vom Zugang der EU-Fangflotten zu den Gewässern der Dritten Welt ab“4. In der Tat stammen 58 Prozent der europäischen Fischproduktion von außerhalb der Hoheitsgewässer der fünfzehn Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft.

Um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, hat sich die EU im Rahmen ihrer Beziehungen mit den Ländern aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum über die Lomé-Abkommen5 spezifische „Fischfangvereinbarungen“ ausgedacht, mit dem Ziel, im wesentlichen den spanischen und französischen Fangflotten ungehinderten Zugang zu allen afrikanischen Gewässern zu ermöglichen. 1979 wurde ein erstes solches Papier mit Senegal unterzeichnet; gut zwanzig weitere folgten.

Europas Fangflotten schwärmen wieder aus

DIESE Abkommen gewähren fremden Fangschiffen Fischereirechte im Austausch mit finanziellen Leistungen für die jeweiligen Küstenländer. Überdies müssen die Schiffe Lizenzen bezahlen und sich gewissen Kontrollen unterziehen und bestimmte Bedingungen erfüllen (lokale Matrosen anheuern, Ladung vor Ort löschen etc.). Theoretisch gründen sich die Fangabkommen auf eine Schätzung der verfügbaren Meeresressourcen und beziehen sich nur auf den Teil der Bestände, der nicht von der lokalen Fischerei genutzt wird.

In einem ersten Schritt hatte die damalige EG-Kommission vorgeschlagen, die Fangquoten der Zwölfergemeinschaft in den senegalesischen Hoheitsgewässern zu steigern, obwohl das von der EG gegründete und finanzierte Meeresforschungszentrum von Dakar dringend forderte, sie zu senken. Die Kosten dieser Abkommen gingen in die Höhe, während gleichzeitig die Fischbestände immer mehr abnahmen; daraufhin verlagerten die EG-Fangflotten ihr Interesse mit Ausnahme der Thunfischer auf andere, insbesondere südamerikanische Gewässer. Als 1994 die Abkommen mit Senegal ohne feste Quotenzuteilung erneuert wurden, kürzte die Europäische Union ihre Beiträge erheblich. Das Land verliert somit doppelt: einerseits erholen sich die Fischbestände nicht in einem Jahr; andererseits hatten die Abkommen Senegal bis dahin finanzielle Entschädigungen gebracht, die auch weiterhin dringend benötigt würden. Die unterzeichneten Abkommen haben die Interessen der betroffenen Fischer genauso wenig berücksichtigt wie den tatsächlichen Bestand der Meeresressourcen. In Wahrheit handelt es sich um simple Handels- und Finanzverträge, mit denen die afrikanischen Staaten zu Devisen kamen. Die Europäische Union konnte sich dafür mit genug Fischen versorgen und die eigene industrielle Flotte beschäftigen.

Diese Strategie hat die afrikanischen Staaten in eine Sackgasse geführt. Die EU ist sich dieser Situation wohl bewußt, denn nun bietet sie sogenannte „Verträge der zweiten Generation“ an. Diesmal sollte die Gründung von Joint- ventures subventioniert und der Zugang für deren gefangene Fische zum europäischen Markt begünstigt werden. Das erste, 1992 mit Argentinien unterzeichnete Abkommen sieht eine jährliche Fangquote von 250.000 Tonnen vor. Die argentinischen Unternehmen und Fischer bekommen also in ihren eigenen Gewässern durch fremde, größtenteils subventionierte Fischereifirmen direkte Konkurrenz. Eine 1993 in den Häfen des bretonischen Finistère durchgeführte Untersuchung brachte ans Licht, daß der vor allem aus Argentinien importierte Fisch sogar den Selbstkostenpreis der bretonischen Fischer auf dem einheimischen Markt unterbot. „Der amerikanische Seeteufel wird hier für 17 Francs (rund 5 Mark) verkauft, während unsereins einen Selbstkostenpreis von 35 Francs hat“, erklärt ein Fischer aus Audierne und fügt hinzu: „Vor zehn Jahren handelten wir die Langusten zu 170 Francs das Kilo; heute kosten sie 130 Francs. Der Steinbutt stieg mal auf 120 Francs, ist aber wieder auf 40 Francs zurückgefallen. Wie soll man da überleben?“

Begreiflich, daß sich Ende 1993 anläßlich des von den bretonischen Fischern inszenierten gewaltsamen Schlagabtausches die Forderungen an die Adresse der Europäischen Gemeinschaft richteten. Selbst ohne die Fischereiabkommen wäre die Anzahl der Arbeitsplätze in den europäischen Fangflotten stark zurückgegangen. Aber zum Schaden der traditionellen Fischer bevorteilt diese EU-Politik die industriellen Fangflotten. Andererseits ist die Schaffung eines Arbeitsplatzes in der Fischereiindustrie viermal so teuer wie in der traditionellen Fischerei, die ihrerseits mit der Verwendung von Treibstoff fünfmal rationeller umgeht.

Die zuständigen EG-Kommissionsmitglieder in Brüssel sind sich wohl bewußt, daß die europäische Fischerei mit einem Preisverfall von 20 bis zu 30 Prozent eine schwere Krise durchmacht. Die Ursache liegt in der Überkapazität der EG-Fangflotten. Neue Arbeitsplätze sollten ihrer Ansicht nach momentan nicht geschaffen werden; dennoch geben sie stillschweigend zu, daß die Importe zumindest teilweise die Ursache der Probleme der traditionellen Fischer darstellen. Nationale Interessen stoßen aufeinander, aber auch die Konkurrenz verläuft horizontal, denn überall werden die traditionellen Berufsfischer Opfer der industriellen Flotten.

Ein Beispiel: Den indischen Fischern geht seit einigen Jahren viel weniger ins Netz als früher. Weiter draußen, in einer Entfernung von einigen Seemeilen und unerreichbar für die lokalen Fischer, dezimieren indische, aber auch japanische oder andere Industrieschiffe die Fischbänke, noch bevor die junge Brut nachgewachsen ist. Mehrere Arten sind so bereits ausgestorben. Die indischen Fischer nun mit leistungsfähigen Motorbooten oder Kühlkästen zu unterstützen böte nur vorübergehend einen Ausweg: Die Konkurrenz um versiegende Fischbestände würde sich bloß verschärfen.

Jahrelang haben sich Indiens Fischereigenossenschaften um die Festsetzung von verbindlichen Fangvorschriften gestritten. Im November 1994 haben 7,5 Millionen Fischer einen zweitägigen landesweiten Streik organisiert, um gegen die neue Regierungspolitik von Neu-Delhi zu protestieren: Nationale Fischzonen hätten 2.600 fremden, hochtechnisierten Fangschiffen geöffnet werden sollen. Der Erfolg dieser Basisbewegung und die Unterstützung, die sie im In- und Ausland erhielt, haben die Behörden gezwungen, die den fremden Flotten gewährten Fangbewilligungen vorübergehend zu suspendieren.6

Eine radikale Lösung wäre das absolute Fischverbot für alle gefährdeten Arten, selbst außerhalb der 200-Meilen- Schutzzone (Exclusive Economic Zone, EEZ). Denn in der Tat stellt sich das Problem der sogenannten hochwandernden Arten, wie der Zwischenfall mit der „L'Estai“ illustriert. Offensichtlich beachten die Fischgründe solche EEZ- Schutzzonen nicht. Was bringt es da Kanada, die Heilbuttbestände diesseits der 200-Meilen-Zone zu schützen, wenn eine fremde Fangflotte sie dezimiert, kaum sind sie jenseits der Schutzzone gewandert?

Ein einzelner Staat kann theoretisch nicht allein entscheiden; es braucht ein internationales Abkommen, das angesichts der auf dem Spiel stehenden enormen Interessen nur schwer zu realisieren ist. Letzten März und April wurde in der UNO-Konferenz über wandernde Fischarten mit der Vereinbarung einer bindenden Regelung doch ein kleiner Fortschritt verzeichnet, namentlich über das Vorgehen zur Lösung von Konflikten auf hoher See.7

Ob mit oder ohne internationale Regeln, die skrupellosesten Flotten machen mit ihren Raubzügen weiter. Zum Beispiel in Namibia, das sofort nach der Unabhängigkeit seine Gerichtsbarkeit auf seine gesamte, sehr fischreiche EEZ ausdehnte.8 Wie auch immer: Europäische Fangflotten scheren sich nicht um das Verbot, sondern profitieren von den fehlenden Kontrollmöglichkeiten der Länder des Südens, die darauf angewiesen sind, sich ausplündern zu lassen. Im Senegal wird die den traditionellen Fischern vorbehaltene 6-Meilen-Zone nachts von europäischen Schiffen mit abgedrehten Scheinwerfern nach Beute durchpflügt, oft nehmen die Fischbänke dabei bleibenden Schaden. Deshalb müßte, so meint das Internationale Kollektiv für die Unterstützung der traditionellen Berufsfischerei (Ciapa), als eine der dringendsten Maßnahmen eine internationale Küstenwache geschaffen werden. Doch unter der Kontrolle welcher Behörde?

1992 beschloß die Fischerei-Kommission der FAO, eine Arbeitsgruppe „Verhaltensregeln für eine verantwortliche Fischerei“ ausarbeiten zu lassen. Auch wenn diese Regelung keinen bindenden Charakter hat, könnte sie doch für nationale Gesetzgebungen einen nützlichen Rahmen abgeben. Ein Entwurf wurde vorgelegt9, der eindeutig mit der UNO-Konvention über die Rechte des Meeres von 1982 übereinstimmt. Auch entspricht er der Rio-Deklaration aus dem Jahr 1992 und den Bestimmungen des Aktionsprogramms 21 der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung. Eine ganze Reihe von Prinzipien werden im Entwurf vorgeschlagen: An erster Stelle steht die absolute Verpflichtung zum Schutz und zur Erhaltung der Ökosysteme der Weltmeere: „Das Recht, auf hoher See oder innerhalb der Zonen der nationalen Gerichtsbarkeit zu fischen, bringt die Verpflichtung mit sich, dies auf eine besonders verantwortungsvolle Weise zu tun, damit die Erhaltung und Bewirtschaftung der bioaquatischen Ressourcen gewährleistet ist.“

Daraus leitet sich die Pflicht ab, die Überfischung der Bestände zu verhindern und vorrangig die Küstenzonen zu schützen, wie auch die, in unklaren Fällen „umsichtig vorzugehen“. Zweifellos werden mehrere Artikel des Entwurfs heftige Debatten auslösen, bevor er unter Umständen von der FAO-Konferenz im kommenden Oktober oder November abgesegnet wird. Sie fordern eine selektive Fischereitechnologie ohne ökologische Nachteile und limitieren den erlaubten Beifang.10

Dieser Entwurf zu einer bindenden Regelung folgt andererseits auch perfekt der liberalen Orthodoxie; er versucht, Wasser mit Feuer zu verbinden, indem er im gleichen Satz widersprüchliche Ziele formuliert: „Die Staaten müssen sicherstellen, daß ihre Politik, ihre Programme und ihr Vorgehen bei der gesamten Kommerzialisierung der Fischereiprodukte weder diesem Handel Hindernisse in den Weg legen noch die Umwelt beeinträchtigen, noch negative Auswirkungen auf die soziale Situation oder auf die Ernährung haben.“ Kaum nachvollziehbar, wie insbesondere der an anderer Stelle des Textes befürwortete Schutz der Rechte und Lebensverhältnisse11 der traditionellen Fischer und aller Beschäftigten der Branche – die ja von der internationalen Konkurrenz direkt bedroht werden – mit der Aufhebung der Zollschranken vereinbart werden kann. Hat eine ungebremste Marktwirtschaft per definitionem nicht geradezu die Bestimmung, die schwächsten und am wenigsten „Leistungsfähigen“ zu eliminieren?

1 Die Arbeit des Ciapa-Kollektivs wurde 1991 mit der Verleihung des „NGO-Preises 2001 für Entwicklung“ durch den Liaison-Ausschuß des Verbandes der europäischen regierungsunabhängigen Organisationen gewürdigt.

2 „Pas d'avenir pour la surpêche“, Publikation von Greenpeace Frankreich, 28, rue des Petites-Ecuries, F-75001 Paris.

3 FAO-Bericht „La Situation mondiale des pêches et de l'aquaculture“, FAO, Rom 1995.

4 Siehe Croissance, Paris, April 1993.

5 Siehe Anne-Marie Mouradian, „Offensives contre la convention de Lomé“, Le Monde diplomatique, April 1995, und „Des accords équitables avec les pays ACP“, Savoirs Nr. 1, „Les mers, avenir de l'Europe“, veröffentlicht von Le Monde diplomatique, 1992.

6 Siehe „Pas d'avenir pour la surpêche“, op. cit.

7 „In the End, a Victory for the World's Fish“, International Herald Tribune, 19. April 1995.

8 Siehe Jean Chaussade, „La Mer nourricière, enjeu du XXIe siècle“, Institut de géographie de l'université de Nantes, 1994, 139 Seiten, 145 Francs. Das Werk bespricht die Fischereiproblematik aus der Perspektive der Wirtschaft, Technik, Politik und Umwelt.

9 Fischerei-Kommission der FAO, 21. Tagung, Rom, 10.-15. März 1995, „Projet de code de conduite pour une pêche responsable“ (vom Sekretariat modifizierter Entwurf).

10 Siehe Alain Le Sann, „La pêche va mal, merci“, Vivant univers, Nr. 417, Mai/Juni 1995.

11 Hier sind vor allem die unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Seeleute auf den industriellen Fangflotten gemeint.

Le Monde diplomatique vom 16.06.1995, von Andre Linard