16.06.1995

Präsidiale Botschaft auf dem Bankett

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Präsidiale Botschaft auf dem Bankett

Von

ÉRIC

ROULEAU

AN der jüngsten Krise in den Beziehungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten wird wieder einmal deutlich, wie sehr die Außenpolitik von innenpolitischen Konjunkturschwankungen abhängig ist, sogar bei einer Großmacht wie den USA.

Der am 4. März unterzeichnete Vertrag zwischen dem Iran und der Conoco, in dem sich die US-Ölgesellschaft Erschließungsrechte an einem großen Off-shore-Erdölvorkommen sicherte, wurde als das wichtigste politische Ereignis in den fünfzehn Jahren seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern begriffen. Wer sich im vergangenen März in Teheran aufhielt, konnte feststellen, daß die meisten Gesprächspartner – Politiker, Parlamentarier, Funktionäre – tatsächlich an eine Normalisierung der Beziehungen zu Washington glaubten. Der stellvertretende Außenminister Mahmud Vaesi erklärte zum Beispiel: „Aus einer Reihe geopolitischer, wirtschaftlicher und energiepolitischer Gründe dürften die Vereinigten Staaten an der Wiederaufnahme normaler Beziehungen interessiert sein. Wenn sie darüber Gespräche beginnen möchten, wie sie ja immer wieder betonen, so sind wir bereit, allerdings unter der Voraussetzung, daß sie den politischen Druck auf uns aufgeben und sich bereit erklären, die Guthaben freizugeben, die direkt nach der Revolution eingefroren wurden.“ Auch in Regierungskreisen der USA zeigte man sich erleichtert über den Vertrag mit der Conoco, der als Zeichen guten Willens gewertet wurde.

Zwei Tage nach Unterzeichnung des Vertrags, am 6. März 1995, erschienen allerdings in der israelischen Presse Meldungen, die den Dingen eine neue Wendung gaben. Nach Informationen des Militärischen Geheimdienstes, hieß es dort, werde der Iran in drei Jahren in der Lage sein, eine Atombombe zu bauen. Kaum zwei Monate zuvor hatten Israel und die Vereinigten Staaten in einer gemeinsamen Erklärung die Auffassung vertreten, daß bis dahin noch sieben bis fünfzehn Jahre vergehen würden – nach Schätzungen von Atomexperten sind es eher zwanzig Jahre.

Was also veranlaßte den israelischen Geheimdienst zu dieser plötzlichen Korrektur? Die unabhängige israelische Tageszeitung Ha'aretz gab am 12. März eine Antwort: Die Meldungen seien lanciert worden, damit die amerikanische Regierung den Iran daran hindere, mit der Hilfe Rußlands und Chinas Atomkraftwerke zu bauen. Nach Meinung der Zeitung sollten damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden, denn angesichts dieser Bedrohung verliere auch die ägyptische Forderung an Gewicht, Israel solle dem Atomwaffensperrvertrag beitreten.

Daß Präsident Clinton am 14. März den Vertrag mit der Conoco für ungültig erklärte, war vielen nicht genug. Die Republikaner, die der Regierung Clinton ohnehin mangelnde Härte im Umgang mit Teheran vorwerfen, gingen in die Offensive. Der republikanische Senator Alfonse d'Amato brachte einen Gesetzesvorschlag ein, der nicht nur ein umfassendes Wirtschaftsembargo vorsah, sondern auch Sanktionen gegen jene ausländische Firmen, die das Embargo mißachten würden.

Mit Verweis auf die nachteiligen Folgen eines Embargos rieten die meisten der betroffenen Ministerien – u.a. die Ministerien für Verteidigung, Wirtschaft und Energie – dem Präsidenten, sich nicht auf diese antiiranische Kampagne einzulassen. Aber die Weichen waren schon gestellt. Anfang April verbreitete die mächtige proisraelische Lobby, das American Israel Public Affairs Committee, eine Propagandaschrift von 74 Seiten, in der für den Vorschlag d'Amatos geworben wurde. Natürlich schlugen sich auch die Medien auf diese Seite – die Verteufelung der Islamischen Republik ist in den USA fast selbstverständlich. Clinton gab schließlich nach. Und er entschloß sich zu einer deutlichen symbolischen Geste: Er gab die Handelssperre nicht wie üblich auf einer Pressekonferenz bekannt, sondern anläßlich eines Banketts beim Jüdischen Weltkongreß, am 30. April 1995.

Die Bilanz dieser wahlpolitischen Manöver sieht nicht erfreulich aus. Zwar ist es der Regierung gelungen, den Republikanern bei einem ihrer Lieblingsthemen in die Parade zu fahren, aber das wird einiges kosten. Die USA sind der drittgrößte Handelspartner des Iran; 1993 betrug das Gesamtvolumen direkter und indirekter Exporte 1,5 Milliarden Dollar. Dieser Markt wird weitgehend verloren sein. Die Conoco hat eine einmalige Gelegenheit verpaßt, in die iranische Energiewirtschaft einzusteigen, andere Erdölfirmen werden die Gewinne aus dem Handel mit iranischem Öl – immerhin einem Viertel der iranischen Ölausfuhr – der Konkurrenz überlassen müssen. Nach Meinung von Experten wird dieser Gewinnausfall auch den Abbau einiger tausend Arbeitsplätze zur Folge haben.

Bislang hat Washington auch keine Zusicherungen aus Rußland oder China erhalten, daß keine Atomkraftwerke im Iran gebaut werden. Allerdings hatte die New York Times bereits am 5. Januar von seiten „führender amerikanischer und israelischer Stellen“ erfahren, daß man „Präventivschläge“ gegen solche Anlagen für die Zukunft nicht ausschließe.

Zweifellos trifft der Abbruch des Dialogs zwischen Teheran und Washington die Islamische Republik härter. Die langfristigen Kredite, die das Land dringend braucht, um seine Finanzkrise zu überwinden, werden jetzt um so schwieriger zu bekommen sein.

Wenn die wirtschaftliche und soziale Lage sich weiter verschlechtert, könnte der radikale Flügel des Regimes die Gelegenheit nutzen und jede politische Opposition im Keim ersticken. Wie meist in solchen Fällen wird das Embargo dazu führen, daß die Machthaber den Versuch, sie zu schwächen, unbeschadet überstehen werden oder ihre Position sogar weiter stärken können. Nur die Bevölkerung wird den Schaden haben.

Le Monde diplomatique vom 16.06.1995, von Eric Rouleau