11.02.2000

Topographie der israelisch-arabischen Verhandlungen

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Topographie der israelisch-arabischen Verhandlungen

Das palästinensische Territorium – ein Flickenteppich

Am 4. Mai 1999 endete die Übergangsphase unter der Ägide der palästinensischen Autonomiebehörde, die in der Grundsatzerklärung vom 13. September 1993 zwischen Israel und der PLO vereinbart worden war. Dass es noch keinen Vertrag über den endgültigen Status Ostjerusalems, des Westjordanlands und des Gazastreifens gibt, bedeutet de facto eine Fortsetzung der Autonomieregelung.

Eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit der Autonomieperiode sind nach wie vor ungeklärt – allen voran der Abzug der israelischen Armee. Der in den Verträgen von Scharm-el-Scheich für den 20. Januar 2000 vereinbarte – jetzt aber verschobene – Truppenrückzug sieht folgendes vor: Das Westjordanland ist aufgeteilt in eine Zone A (vollständig unter palästinensischer Kontrolle), die 17,2 Prozent des Territoriums ausmacht, eine Zone B (palästinensische Verwaltungshoheit, Zuständigkeit der israelischen Armee für Sicherheitsbelange) von 23,6 Prozent und eine Zone C (vollständig von Israel kontrolliert) von 59 Prozent. Außerdem hält Israel weiterhin ein Drittel des Gazastreifens besetzt. Eigentlich müßte Israel seinen Truppenabzug noch vor einer Einigung über den endgültigen Status abgeschlossen haben. Auch eine Reihe von Problemen, deren Regelung innerhalb der Übergangsperiode vorgesehen war, sind immer noch ungelöst: die Freilassung der politischen Gefangenen, die Einrichtung einer zweiten freien Verbindungsstraße zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland, die Eröffnung des Hafens von Gaza usw.

Bei den so genannten Endstatusverhandlungen, die bis zum 13. September 2000 abgeschlossen sein sollen, geht es um folgende Fragen: den endgültigen Status der besetzten Gebiete und den Grenzverlauf, die jüdischen Siedlungen, die Flüchtlinge, Wasserfragen und den Status von Jerusalem.

Endgültiger Status und Grenzen. Die israelische Regierung scheint bereit, die Existenz eines Palästinenserstaats zu dulden, sofern dessen Souveränität in Bezug auf die Bewaffnung und die Außengrenzen eingeschränkt bleibt. Andererseits zeigt Israel keine Bereitschaft, sich auf die Frontlinien vom 4. Juni 1967 zurückzuziehen, und ist gewillt, 30 bis 40 Prozent des Westjordanlands zu annektieren. Die PLO fordert den vollständigen Abzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten und plant die Ausrufung eines unabhängigen palästinensischen Staates, der möglicherweise einen Staatenbund mit Jordanien eingehen könnte.

Die Siedlungen. Seit 1967 haben die israelischen Regierungen eine Politik der Besiedlung der besetzten Gebiete verfolgt. Es leben inzwischen etwa 200 000 jüdische Siedler im Westjordanland (Jerusalem nicht eingerechnet) und 6 500 im Gazastreifen – insgesamt gibt es 144 Siedlungen. Israel möchte genau jene Gebiete annektieren, in denen die Mehrheit der Siedler lebt. Die PLO ist bereit, die Siedler im Westjordanland und im Gazastreifen zu dulden, sofern sie bereit sind, die palästinensische Souveränität anzuerkennen.

Jerusalem. Die israelischen Regierungen haben die Stadt – in den erweiterten, durch den Sechstagekrieg von 1967 entstandenen Grenzen – „auf ewig“ zur ungeteilten Hauptstadt Israels erklärt. Aus Sicht der Palästinenser ist der Ostteil der Stadt besetztes Gebiet, das geräumt werden muss, damit dort die Hauptstadt ihres Staates entstehen kann. Zugleich lehnen auch sie eine Teilung der Stadt ab. Der endgültige Status Jerusalems ist überdies ein Problem, zu dem sich die internationale Gemeinschaft verhalten muss: 1947 beschloß die UNO, dass die Stadt ein „corpus separatum unter besonderer internationaler Aufsicht“ werden solle, wobei dem Vatikan und den islamischen Staaten eine wichtige Rolle zugedacht war.

Wasser. Alle Wasserfragen hätten innerhalb der Interimsperiode geklärt werden sollen, erwiesen sich aber als so kompliziert, dass sie auf die Endstatusgespräche verschoben wurden. Israel bezieht ein Drittel seines Trinkwassers aus drei großen Grundwasservorkommen, die ganz oder teilweise im Westjordanland liegen, und will sich, gegen den Widerstand der PLO, den Zugriff auf diese Quellen erhalten, deren Nutzung den Palästinensern weitgehend verwehrt ist.

Le Monde diplomatique vom 11.02.2000, von ALAIN GRESH