11.02.2000

Ein bisschen Souveränität für Montenegro

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Ein bisschen Souveränität für Montenegro

Von JEAN-ARNAULT DÉRENS *

WENN sich in Montenegro Freunde treffen, sprechen sie nicht mehr über das Wetter, sondern über den bevorstehenden Staatsstreich. Der wird allerdings schon seit mindestens sechs Monaten, wenn nicht schon seit Oktober 1997 (als der Reformkandidat Milo Djukanovic zum Präsidenten der Republik gewählt wurde) als unmittelbar bevorstehend angekündigt – und dann immer wieder verschoben.

Während der Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien, zu der Montenegro theoretisch noch immer gehört, hielten die Behörden der kleinen Republik (13 000 Quadratkilometer, rund 650 000 Einwohner) mit ihren Sympathien für die Intervention des Westens nicht hinter dem Berg. Montenegro wurde von Ende März bis Anfang Juni 1999 von der Nato bombardiert, gleichzeitig strömten zehntausende Flüchtlinge aus dem Kosovo in das Nachbarland. Und innerhalb Montenegros entstand eine gefährliche Konfrontation zwischen der Zweiten jugoslawischen Armee, die dem Befehl Belgrads untersteht, und der montenegrinischen Polizei, die auf Präsident Djukanovic hört.

Über das militärische Potential der beiden Lager wurde endlos spekuliert. De facto ist die montenegrinische Polizei mit hochmodernen leichten Kampfwaffen ausgerüstet. Ihre gut trainierten Sondereinheiten sind durchaus mit der Schlagkraft der Slowenischen Territorialverteidigung oder der Kroatischen Nationalgarde zu Beginn des Konfliktes vergleichbar. Die Armee wiederum wurde durch die Anhänger von Momir Bulatovic und seiner Sozialistischen Volkspartei (SNP) verstärkt, die vor allem im Norden stark ist. Die SNP-Sympathisanten hatten sich den Reserveverbänden angeschlossen, während die Unabhängigkeitsbefürworter in die Polizeitruppen eintraten. Zudem waren bereits zwei montenegrinische Befreiungsarmeen entstanden, die ihre Waffen aus dem Arsenal der Polizeitruppe bezogen hatten.

Das Schlimmste konnte jedoch vermieden werden. Montenegro bewältigte mit bewundernswertem Einsatz die Flüchtlingskrise, die durch den Zustrom von 100 000 Kosovo-Albanern ausgelöst wurde, während sich bereits 30 000 aus Kroatien geflüchtete Serben im Land aufhielten. Nachdem die meisten Albaner zurückgekehrt sind, hat das Land seit Juni Montenegriner, Serben und Roma aus dem Kosovo aufgenommen.

Da die internationalen Organisationen in Montenegro deutlich weniger präsent waren als in Makedonien oder Albanien, wurden die Flüchtlinge oft von der Regierung und den Gemeinden direkt betreut. Dieser Einsatz stärkte den Rückhalt, den Djukanovic und seine Politik bei den nationalen Minderheiten haben. Muslimische Slawen und Albaner, die 15 bzw. 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, unterstützen viel eher das Projekt eines souveränen oder unabhängigen Montenegro, als dass sie separatistische Tendenzen verfolgen würden. Damit erweist sich das montenegrinische Nationalempfinden als das einzige erfolgreiche multiethnische politische Projekt der Region – im Gegensatz zu Serbien oder Makedonien, wo es viel mehr Konflikte zwischen den einzelnen Gemeinschaften gibt.

Mit ihrer großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen hat die kleine Republik jedes Recht, im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa internationale Hilfe und Unterstützung zu beantragen. Doch trotz der Beteiligung von Milo Djukanovic und mehreren montenegrinischen Ministern an verschiedenen internationalen Treffen leidet die Beteiligung Montenegros an den Programmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Region unter dem zwiespältigen politischen Status der Republik.

Montenegro ist nach wie vor Mitglied der Bundesrepublik Jugoslawien, auch wenn es seit Juni 1998 weder die Regierung noch irgendeine Bundesbehörde anerkennt. Im Juni 1998 war Momir Bulatovic, Chef der montenegrinischen Opposition, von der Regierung in Belgrad zum Ministerpräsidenten ernannt worden. Die Djukanovic unterstehende Polizei ist in eine Art Nationalarmee umgewandelt, die nötigenfalls zum Widerstand gegen die jugoslawische „Besatzungsarmee“ bereit ist. Von den gegen Serbien verhängten internationalen Sanktionen wurde das Land zwar verschont, aber dafür haben die serbischen Behörden zwischen den beiden Ländern eine regelrechte Zollgrenze errichtet.

Überdies ist Montenegro im Begriff, seine Währungssouveränität durchzusetzen. Seit dem 1. November gilt neben dem jugoslawischen Dinar, der langsam als Zahlungsmittel verschwindet, die deutsche Mark als offizielle Währung. Die dominiert zwar schon seit langem auf dem Schwarzmarkt und in der Parallelwirtschaft des gesamten ehemaligen Jugoslawien, doch in Montenegro werden von nun an auch die Löhne und Pensionen in Mark ausbezahlt.

IN einer zweiten Phase wird die kleine Republik womöglich eine eigene, an die Mark gebundene Währung einführen. Die Legalisierung der Mark als erster Schritt war ein geschickter Schachzug der Regierung. Für die erlangte Währungssouveränität präsentierte sie nicht etwa eine patriotische Begründung, sondern ein einsichtiges Argument: Ein Ende der Inflation und der Abwertung des Dinar sei nicht in Sicht, solange Belgrad die Notenpresse betätige, man dürfe sich also nicht in den Abgrund ziehen lassen, vor dem die serbische Wirtschaft steht. Selbst die entschiedensten Bulatovic-Anhänger können sich nur glücklich schätzen, ihre Löhne in einer harten Währung und nicht in Dinar zu beziehen, der ständig weiter an Wert verliert.

Die treuesten Anhänger Belgrads finden sich gerade in den Schichten, die am stärksten von den Löhnen und Pensionen abhängig und am wenigsten an „Geschäften“ aller Art beteiligt sind. Neben dem traditionellen Graben zwischen dem Norden und dem Süden des Landes entsteht ein zunehmend deutliches soziales Gefälle. Anders als in Serbien werden in Montenegro die Löhne und Pensionen – mit Unterstützung des Auslands – regelmäßig ausgezahlt. Sie decken allerdings nur knapp den Lebensunterhalt.

Montenegro ist gespalten: die einen leben ausschließlich von ihrem mageren Lohn, die anderen schlagen sich durch. Dabei sind sie nicht zwangsläufig auf illegale Geschäfte angewiesen, man kann auch einen kleinen Handel aufziehen. Dieses „aktive“ Montenegro steht mehrheitlich hinter dem Souveränitätskurs von Milo Djukanovic, wenn nicht gar hinter dem Unabhängigkeitsstreben der Liberalen Partei. Der Wohlstand des Landes ist ein zwar sehr relativer, aber dennoch bedeutsamer Pluspunkt für den Präsidenten. Im ehemaligen Jugoslawien war Montenegro einer der ärmsten Landesteile, heute sind die Lebensbedingungen deutlich besser als in Serbien.

Wie weit will Djukanovic gehen? Offiziell deklariertes Ziel ist immer noch die „Souveränität“ Montenegros innerhalb einer jugoslawischen Konföderation. Podgorica hat enge Beziehungen zur serbischen Opposition aufgebaut. Mehrere ihrer Führer, wie Zoran Djindjic, hatten während der Bombardierungen in Montenegro Zuflucht gesucht. Doch der Sieg einer bundesweiten Erneuerungsachse, mit Montenegro als wichtigem Stützpfeiler, ist derzeit eine reine Hypothese.

Belgrad weigert sich, auf der Grundlage der im August 1999 von der montenegrinischen Behörde vorgelegten „Vorschläge für eine Neuordnung der Beziehung zwischen Serbien und Montenegro“ zu verhandeln, da die vorgeschlagene Konföderation zu schwach sei. Podgorica wiederum macht den Rücktritt von Slobodan Milosevic zur Bedingung für die langfristige Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Staates.

Die Situation ist also an einem toten Punkt, der nur durch ein Referendum über die Unabhängigkeit überwunden werden könnte. Gegenwärtig zieht Milo Djukanovic es jedoch vor, das Referendum vor sich herzuschieben, und begnügt sich mit einem schrittweisen Ausbau der Souveränität.

Entscheidend wird in dieser Situation die Haltung des Westens. Bisher wurde die Unabhängigkeit der kleinen Republik strikt abgelehnt, denn die Auflösung der Föderation würde die Unabhängigkeit auch des Kosovo unumgänglich machen. Stattdessen leistet der Westen humanitär Hilfe und greift der Regierung finanziell unter die Arme. Aber der unsichere Status der Republik hat zur Folge, dass internationale Investitionen ausbleiben und die Strategien für den wirtschaftlichen Aufschwung in der Luft hängen. Die aktuelle Situation führt lediglich dazu, dass sich die Konfrontation innerhalb Montenegros weiter zuspitzt.

dt. Birgit Althaler

* Journalist, Cetinje (Montenegro).

Le Monde diplomatique vom 11.02.2000, von JEAN-ARNAULT DÉRENS