14.04.2000

Almodóvar und die spanische Rechte

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Almodóvar und die spanische Rechte

Von JOSÉ VIDAL-BENEYTO *

Der Wahlsieg der spanischen Rechten vom 12. März erklärt sich in erster Linie aus der guten wirtschaftlichen Lage. Die Volkspartei (Partido Popular, PP) hat seit ihrer Regierungsübernahme 1996 erfolgreich die Konjunktur angekurbelt und dem Regierungsteam um José María Aznar das Image kompetenter Manager verschafft – ein Argument, das sich bestens für den Wahlkampf eignet und entsprechend ausgenutzt wurde.

Die Niederlage der Linken wiederum hat mehrere Ursachen: zum einen das katastrophale Ansehen, in dem die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) nach vierzehnjähriger Regierungszeit (1982-1996) aufgrund mannigfacher Gesetzesverstöße und Korruptionsskandale steht; zum anderen die Entfremdung zwischen Parteibürokratie und Mitgliedern, denen die Funktionäre mit Joaquín Almunia einen Kandidaten vorsetzten, der bei der Basis bereits in der Urabstimmung von 1998 durchgefallen war; hinzu kommt der Umstand, dass die in letzter Minute vereinbarte Allianz der Linken (aus Kommunisten und Sozialisten) als ein übles taktisches Wahlkampfmanöver empfunden wurde, das mangelnden Schwung und fehlende Konzepte nicht mehr zu kompensieren vermochte.

Der Wahlsieg von José María Aznar macht vor allem eines deutlich: Die franquistische Vergangenheit der Rechten wird im heutigen Spanien nicht mehr als Handicap empfunden. Bereits in den Jahren des Übergangs (1975-1982) ließ das politische Gedächtnis nach, was sich zunächst in einer Banalisierung der Diktatur und schließlich in einer Rehabilitierung des Franquismus äußerte. Das autoritäre Franco-Regime (1936-1975), heißt es heute, sei notwendig gewesen, um das Chaos der Republik (1931-1936) zu beenden, um die Spanier vor dem Kommunismus zu retten, sie in Europa zu integrieren und ihnen einen demokratischen König zu bescheren.

Die zunehmende Verbreitung dieser im übrigen Europa völlig unverständlichen These erklärt auch, wieso 25 Jahre nach Francos Tod (darunter 14 unter sozialistischen Regierungen) noch immer zahlreiche Plätze und Straßen nach dem Diktator, seinen wichtigsten Generälen oder dem Gründer der faschistischen Partei Spaniens (der Falange) benannt sind. Wie konnte es zu dieser Perversion des demokratischen Gedächtnisses kommen? Anders gefragt: Wie lässt sich die Tatsache, dass es bis heute ein linkes Bewusstsein gibt, das sich auch im Alltagsleben – etwa in der „Movida“ mit ihren gesellschaftlichen und moralischen Tabubrüchen – äußert, mit dem radikalen Rechtsruck vom 12. März in Einklang bringen?

In den meisten Industrieländern waren die Achtzigerjahre eine Zeit der Ernüchterung: Demotivation und Apathie der Bürger, Auflösung der sozialen Bindungen, Rückzug ins Private, wachsende Spaltung der Gesellschaft, Abkehr vom Staat, allgemeine Politikverdrossenheit. Das klassische Demokratiemodell funktionierte nicht mehr. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hatte sich die Demokratie der Minderheiten zur Massendemokratie gewandelt, was dem Faschismus in seinen verschiedenen Spielarten Vorschub leistete; heute, in einer Gesellschaft der Massenmedien, führt die demokratische Praxis dazu, dass die wesentlichen Elemente des demokratischen Modells – öffentliche Meinung, Repräsentation, politische Debatte, Partizipation, Pluralismus – viel von ihrer eigentlichen Effizienz und Bedeutung einbüßen.

Hinzu kommt die Tatsache, dass Staat und Gesellschaft zunehmend von den Parteien vereinnahmt werden: Politik ist nur noch eine Sache von Profis, die sich aus den Parteien rekrutieren und von ihnen geschult werden. Die Politikverdrossenheit der Bürger ist weitgehend eine Reaktion auf diese systematische Ausschließung; sie rührt nicht so sehr daher, dass die demokratischen Prinzipien und Werte erschöpft wären, die mehr Gültigkeit besitzen als je zuvor. Sie hat mehr zu tun mit dem Scheitern eines Modells und dem Versagen staatlicher Institutionen, die unfähig sind, unsere komplexen Gesellschaften zu verwalten und die politischen und sozialen Erwartungen der Gesamtbevölkerung zu befriedigen.

Regierbarkeit wird zum Hauptproblem des Systems, und sämtliche Vorschläge zur Bewältigung der Krise der Demokratie zielen auf die Lösung dieses Problems. Damit aber wird die Demokratie zum Legitimations- und Kontrollinstrument des politischen Lebens. Die neue Devise lautet: weniger Partizipation und Pluralismus, stattdessen Konsens und direkte Verhandlung zwischen den einzelnen Gruppen.

Vor diesem Hintergrund vollzog sich Mitte der Siebzigerjahre in Griechenland, Portugal und Spanien der Übergang zur Demokratie, gefolgt von den Ländern Zentral- und Osteuropas. Dabei setzte sich ausnahmslos das Konzept der kontrollierten Demokratie durch. Die Demokratisierungsprozesse verliefen stets von oben nach unten, ihre wichtigsten Akteure waren die politischen Parteien und die großen Institutionen, die die Volkskräfte – den eigentlichen Motor der Veränderung – marginalisierten. In dieses Schema passten auch das Verblassen der autokratischen Vergangenheit und die Bevormundung durch den Westen.

Obwohl die Übergänge in den Ländern Südeuropas nach dem beschriebenen Muster verliefen (Wechsel des Regimes unter Beibehaltung des gesellschaftlichen Systems), gibt es einen Unterschied: Griechenland und Portugal brachen radikal mit dem Vorgängerregime, dessen politische Repräsentanten abtreten mussten. In Spanien dagegen wurde der Bruch nicht von denen vollzogen, die ihn allein hätten verwirklichen können, den Parteien der Linken. Die Linke hat sich später damit gerechtfertigt, den Bruch mit der Vergangenheit zu propagieren hätte unweigerlich eine frontale Kollision mit den Streitkräften provoziert, also die Rückkehr zu den schärfsten Formen der Diktatur.

Die Hypothese einer militärischen Intervention lässt sich jedoch angesichts der offiziellen amerikanischen Dokumente, die heute zugänglich sind, nicht mehr halten. Vernon Walters, Schlüsselfigur der CIA und Sonderbeauftragter von Präsident Nixon, unterhielt Kontakte zu Franco und seinen Generälen, um sicherzustellen, dass Spanien nach dem Tode des Diktators im Einflussbereich des Westens verbleiben würde. Als der Generalissimus versicherte, die Stabilität des Landes sei auch nach seinem Ableben garantiert – „Alles ist aufs Beste bestellt“ –, hatte er dabei fraglos eine entsprechende Zusicherung aus Washington im Kopf.

Die Angst vor der Armee war also nicht der Grund dafür, die Idee eines Bruchs mit der Diktatur aufzugeben und eine reformistische Lösung anzustreben. Damit wurde der Wechsel zu einer Fassade der Selbstreinigung der Akteure und Nutznießer des Franquismus. Alle Beteiligten – vom Staatsoberhaupt (dem König) und seinem Regierungschef bis nahezu zum kompletten Machtapparat der Diktatur, inklusive politischer Polizei – erhielten eine neue Legitimität, die ihnen erlaubte, als Väter der Demokratie zu posieren.

Komatöser Zustand, pittoreske Brüche

SO verschwand der Widerstand gegen den Franquismus im Brei eines Demokratisierungsprozesses, der Franquisten wie Antifranquisten zu Akteuren des Wandels verquirlte. Der zunächst proklamierte Bruch verkam zum rein institutionellen Umbau, der sich glänzend dazu eignete, die soziale Kontinuität des Franquismus zu wahren: in der Wirtschaft, in den gesellschaftlichen und professionellen Eliten, an der Spitze der öffentlichen Verwaltung, in der akademischen Kaste. Hier sind noch alle – von wenigen Änderungen und Neuzugängen abgesehen – in Amt und Würden. In dieser Hinsicht war die politische Wende in Spanien wirklich einzigartig.

Diese Fakten entsprachen freilich weder den Erwartungen der großen Machtzentren, die ein absolut gesäubertes postfranquistisches Spanien forderten, noch den moralischen Bedürfnissen der westlichen Demokratien. Das Schuldgefühl, die spanische Republik 1936 im Stich gelassen zu haben, ließ sie nun umso bereitwilliger glauben, Franco und die Franquisten seien innerhalb weniger Monate ohne Blutvergießen und ohne Trauma verschwunden und es gäbe nur noch echte Demokraten im Lande. Ein leibhaftiges Wunder, und vor allem ein lobens- und nachahmenswertes Ausnahmemodell.

Für viele Außenstehende war dieses normalisierte, „demokratisierte“ Spanien jedoch unvereinbar mit ihrem Bild des Landes – dem Spanien Goyas und Mérimées, das in der Vorstellungswelt der Europäer für das Ungewöhnliche und Pittoreske stand und dem viele nachtrauerten. Mit seinen „Movida“-Filmen hat der Cineast Pedro Almodóvar diese enttäuschte Erwartung endlich befriedigt.

In Frankreich, Europa und den Vereinigten Staaten wurde Almodóvar begeistert aufgenommen. Sein neuester Film, „Alles über meine Mutter“, hat die begehrtesten Filmpreise des Westens eingeheimst: von der Goldenen Palme in Cannes 1999 bis zum Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film im März 2000. Das Bemerkenswerteste an dieser Apotheose ist, dass sie nicht nur Almodóvars Gesellschaftskritik gilt – die aus seiner Filmwelt nicht wegzudenken ist –, sondern auch seiner eindeutig antifranquistischen Haltung.

Alle Anhänger Almodóvars sehen es etwa so: „Vierzig Jahre lang war Spanien in einen bleiernen Schlaf versunken, unter dem Einfluss der drei hoch wirksamen Schlafmittel Polizei, Zensur und Kirche. Auch der Übergang zur Demokratie von 1975 konnte diesen komatösen Zustand nicht beenden. Das ist nur der Movida gelungen, und Pedro Almodóvar ist und bleibt der Mann der Movida, jener sanften, radikalen Revolution.“

Wie konnte Almodóvar – jenseits der unbestreitbaren Qualität seines filmischen Oeuvres – zum Symbol des Bruchs mit Franco werden? Er hat den Zeitgeist verstanden und sich darangemacht, den alltäglichen Franquismus rücksichtslos anzugreifen. Und zwar mit den Mitteln der Postmoderne, die – auf der Welle des Liberalismus reitend – die gesellschaftlichen Werte öffentlicher Aktivitäten ablehnt und demgegenüber Werte des Privaten propagiert: das Primat des Individuums und seiner zwischenmenschlichen Beziehungen, kombiniert mit Themen wie Religion des Ego, Ende der Gewissheiten, Kult des Erfolgs, Glorifizierung der Gleichgültigkeit, Dogmatik des Vergnügens usw.

Almodóvar setzte auf diese Option, radikalisierte ihre Positionen und macht die Provokation – die über die Werbung inzwischen sämtliche Bereiche der Kommunikation erobert hat – zu seiner Waffe. Mit provozierenden Filmen verspottet er die Werte des franquistischen Spanien, stichelt gegen die öffentlichen wie privaten Institutionen der Diktatur, verhöhnt die gesellschaftlichen Verhaltensweisen ihrer herrschenden Klasse.

In „High Heels“ (1991) gibt Almodóvar die Justiz der Lächerlichkeit preis, indem er den Untersuchungsrichter gleichzeitig als Spitzel und Nachtclub-Transvestiten auftreten lässt. Wann immer es um Religion geht, macht er sich über sie lustig. „Das Kloster zum heiligen Wahnsinn“ (1983) nimmt das Klosterleben als Vorlage, um ein für alle Mal mit Nonnen und Priestern abzurechnen. In „Live Flesh – Mit Haut und Haar“ (1997) übt er beißende Kritik an der Polizei in all ihren Erscheinungsformen und macht sie zum Protagonisten eines Heldenstücks wider die Ordnung. In „Labyrinth der Leidenschaften“ (1982) nimmt er das Vaterland und die Monarchien aufs Korn; die traditionelle Familie wird als altmodische Spielerei dargestellt, die ausrangiert gehört, so in „Womit hab’ ich das verdient?“ (1984) oder „Alles über meine Mutter“ (1999).

Das Sittenleben der Diktatur attackiert Pedro Almodóvar freilich eher der Form als dem Inhalt nach. Die franquistischen Formen verkehrt er radikal in ihr Gegenteil. Wo die franquistische Bourgeoisie eine Überempfindlichkeit gegen alles Vulgäre und eine Ehrfurcht vor dem Vornehmen kultivierte, demonstriert Almodóvar seine Vorliebe für das Ordinäre und Lüsterne. Er übt sich in politischer Korrektheit, aber er schießt weit übers Ziel hinaus. Sein Kino zeigt nicht einfach das Aufbegehren von Minderheiten, es behauptet vielmehr, gerade Minoritäten seien dazu berufen, neue Werte zu verkörpern. Almodóvar reicht es nicht, ethnischen, sexuellen Randgruppen, gesellschaftlichen Außenseitern usw. ihr Existenzrecht zuzubilligen. Sein Ziel ist, für die Anerkennung gesetzlosen Verhaltens als etwas höchst Moralischem zu wirken und das Abweichen von der Norm als vorbildhaft darzustellen.

Im Universum Pedro Almodóvars sind die Guten, die Erlöser von den Übeln dieser Welt, allesamt Transvestiten, Drogensüchtige, Outsider, Rabenmütter. Um aber mehrheitsfähig zu sein, müssen die marginalisierten Werte einer Minderheit zuerst öffentlich anerkannt werden. Allein die öffentliche, kollektive Akzeptanz dieser Werte kann sie zu einer dominanten Größe machen. Aus diesem Grund konnte das, was die Madrider „Movida“ an Brüchen mit der Vergangenheit zum Ausdruck brachte, erst zu einem Bezugspunkt werden, nachdem der Staatsapparat es sich angeeignet hatte. Verglichen mit den gesellschaftlichen Protestaktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre waren die Skandale der „Movida“ von großer Naivität. Das bezeichnendste Merkmal der „Movida“ lag nicht in der Intensität des gesellschaftlichen Bruchs, den sie bewirken konnte, sondern in der Effizienz ihrer institutionellen Vereinnahmung. Durch die „Movida“ wurde aus der – sehr minoritären – kulturellen Opposition gegen den Franquismus in seiner Endphase eine öffentliche, gesellschaftliche Übernahme der urbanen Subkultur vom Mai 68 als Ausdruck grenzenloser Freiheit.

Almodóvar perfektioniert diese offizielle Anerkennung des gesellschaftlich-privaten Bruchs mit dem Franquismus, indem er die populären Akzente seiner Filme verstärkt, mit positiven Gefühlen und „Happyends“ aufwartet, ihre melodramatische Dimension aufweicht und das Modell des Fotoromans übernimmt, in dem die Liebe über alles siegt.

„Romeo und Julia“ der Gesetzlosigkeit sind etwa die Anwältin Maria Cardenal und der Stierkämpfer Diego Montes aus dem Film „Matador“ (1986). Für sie ist der Orgasmus untrennbar mit dem Akt des Tötens verbunden: Der Liebestod – das einzig denkbare Schicksal – vollzieht sich in der gemeinsamen Tat des Liebens und Sterbens. Für diese Filme könnte fast die Devise des Augustinus „Ama et fac quod vis“ (Liebe und tue, was du willst) gelten.

Pedro Almodóvar hat den alltäglichen Franquismus beseitigt, indem er die Subversion des Außenseiters mit dem politisch Korrekten verbindet. Dient aber sein Triumph – in gewisser Weise die Revanche der Verlierer des Bürgerkriegs –, nicht vielleicht unwillentlich als Alibi, um die Hinterlassenschaften der Diktatur – gesellschaftliche Hierarchie und wirtschaftliche Macht – zu perpetuieren? Offenbaren die weltweite Akzeptanz seines Gesellschaftsprotestes und die vielen Filmpreise nicht jene grundlegende Ambivalenz, die das herrschende System befähigt, die in seinem Werk enthaltenen Elemente des Bruchs zu vereinnahmen?

Das Gegensatzpaar „privater gesellschaftlicher Bruch / öffentlicher gesellschaftlicher Konformismus“ lässt die Frage offen, nach welcher Seite die Waage sich letzten Endes neigen wird. So gesehen könnten der überwältigende Wahlsieg der Rechten und José Maria Aznars vom 12. März ein Besorgnis erregendes Vorzeichen sein.

dt. Matthias Wolf

* Direktor des Collège des hautes études européennes „Miguel Servet“, Paris.

Le Monde diplomatique vom 14.04.2000, von JOSÉ VIDAL-BENEYTO