16.06.2000

Die kollektive Vernunft der Trittbrettfahrer

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Die kollektive Vernunft der Trittbrettfahrer

Öffentlich / privat

Was ist ein öffentliches Gut? Die einfachste Antwort liegt in der Definition seines Gegenstücks, des privaten Guts, das im Allgemeinen als Gegenstand von Tauschakten begriffen wird, in deren Verlauf es den Eigentümer (oder Nutzer) wechselt. Typische Aspekte privater Güter sind also Exklusivität und Wettbewerb – sie können nicht allen gleichzeitig von Vorteil sein. Für die öffentlichen Güter gilt genau das Gegenteil: Sie sind nicht exklusiv und treten nicht in Konkurrenz. Ein Straßenschild nutzt sich nicht ab, sondern erhält erst seinen Wert, wenn sich viele Menschen seiner bedienen, und es wäre ein schwieriges, kostspieliges und unsinniges Unterfangen, wollte man versuchen, es nur einem begrenzten Kreis von Benutzern zugänglich zu machen. Das Gleiche gilt für saubere Luft.

Aber woher kommen die öffentlichen Güter? Sobald sie vorhanden sind, kann jeder sich ihrer bedienen. Aus der Perspektive der privaten Nutzer ist es demnach „vernünftig“, sich auf die anderen zu verlassen und den eigenen Vorteil zu suchen, ohne selbst etwas beigetragen zu haben. Solange es nicht irgendeine funktionierende Form kollektiven Handelns gibt, besteht die Gefahr, dass die öffentlichen Güter ausgehen, weil alle sich wie „Trittbrettfahrer“ verhalten und diese Güter in Anspruch nehmen, aber nichts für ihre Erzeugung und Erhaltung tun wollen – das so genannte Free-Rider-Syndrom.

Häufig kommt dem Staat in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu, aber es sind noch andere Akteure im Spiel. Bleiben wir beim Beispiel der „sauberen Luft“. Zwar kann der Staat Verordnungen gegen die Luftverschmutzung erlassen und ihre Einhaltung überwachen, aber die „Erzeugung“ der sauberen Luft ist letztlich Privatsache: Es sind die privaten Haushalte und die Unternehmen, die ihren Schadstoffausstoß begrenzen müssen. So mussten etwa die Automobilhersteller neue Produktionsverfahren einführen, um die verschärften Umweltbestimmungen einzuhalten. Mit anderen Worten: Der „öffentliche“ Charakter eines Gutes hat mit der Art der Vorteile zu tun, die es bringt – mit seiner Eigenschaft, nicht der Konkurrenz und der Exklusivität zu unterliegen. Zumeist ist seine Erzeugung gleichermaßen Sache des Staates wie der privaten Akteure.

Der Ausgleich zwischen „öffentlich“ und „privat“ ist also nicht ausschließlich eine Frage des Verhältnisses von Staat und Markt, sondern die Staaten wie die Märkte sind gleichermaßen Werkzeuge, mit deren Hilfe sich öffentliche (man denke an Kommunikationsnetze) ebenso wie private Güter (Energie, Fernsehapparate, Rüstungsgüter) erzeugen lassen. Entscheidend für das Wohlergehen der Bevölkerung ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Gütern und, im Rahmen der Globalisierung, ein entsprechendes Verhältnis zwischen lokalen und allgemeinen öffentlichen Gütern zu schaffen.

Allgemeine öffentliche Güter

Als öffentliche Güter der Allgemeinheit gelten jene, deren Nutzen nicht durch Grenzen beschränkt ist – weder durch die Grenzen zwischen Staaten und Bevölkerungen noch durch die Trennlinien zwischen den Generationen oder zwischen Arm und Reich. Sie gehören in die übergreifende Kategorie der internationalen öffentlichen Güter, ebenso wie etwa die regionalen öffentlichen Güter. Die endgültige Ausrottung der Pocken ist ein gutes Beispiel: Als die Seuche 1977 besiegt war, kam dies der gesamten Menschheit zugute, überall in der Welt, den heutigen und den künftigen Generationen, den Armen wie den Reichen.

Auf der nationalen Ebene kommt dem Staat die Aufgabe zu, einerseits kollektives Handeln zu fördern, das die Erzeugung öffentlicher Übel eindämmt, zum anderen bei der Schaffung öffentlicher Güter Hilfestellung zu leisten. Auch wenn auf der internationalen Ebene keine Institution besteht, die diese Rolle des Staates übernehmen kann, sind gemeinsame Bemühungen um die allgemeinen öffentlichen Güter nicht undenkbar: Haben die Menschen einmal begriffen, welche Bedeutung diese Güter für ihr alltägliches Leben besitzen, wird es auch politisch machbar, die nötigen Verknüpfungen lokaler und nationaler Maßnahmen durch internationale Abkommen herzustellen.

Um allerdings die Mitwirkung aller staatlichen Instanzen ebenso wie der Unternehmen, der Organisationen der Zivilgesellschaft und der einzelnen Bürger zu gewährleisten, müssen zwei Faktoren wirksam sein: Zum einen wirksame Anreize für die Beteiligung, zum anderen ein ernst zu nehmendes System der Überwachung, das dafür sorgt, dass alle sich an die Vereinbarungen halten. Genau diesem Zweck diente, im Bereich der Klimaveränderung, das Montreal-Protokoll von 1987.

Um die Reduktion des FCKW-Ausstoßes zu erreichen, setzt das Montreal-Protokoll auf das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“, und beide Elemente sind deutlich benannt: Subventionen für die armen Länder einerseits, Handelssanktionen andererseits. Vielfach ist der Appell an Moral und Ethik das beste Argument für eine internationale Zusammenarbeit, doch die Wirkung ökonomischer Anreize sollte nicht unterschätzt werden.

I. K.

Le Monde diplomatique vom 16.06.2000, von I. K.