14.07.2000

Die Hinterlassenschaft der Sowjetunion

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Die Hinterlassenschaft der Sowjetunion

DIE ökologische Krise in den Ländern Osteuropas und in der ehemaligen Sowjetunion ist ein spätes Erbe der forcierten kommunistischen Industrialisierungspolitik. Einige Wissenschaftler sahen die Krise bereits in den dreißiger Jahren voraus, aber die politische Führung schenkte ihnen kein Gehör. Blind ging die Zentralisierung über die Gegebenheiten vor Ort hinweg, und der Bau gigantischer Industriekomplexe missachtete alle ökologischen Erfordernisse. Maßnahmen gegen die Luft- und Gewässerverschmutzung wurden ebenso vernachlässigt wie die Modernisierung der Produktionsanlagen. Eine „unpersönliche“ kollektivistische Landwirtschaft verwüstete weite Landesteile, und ausgedehnte Bewässungssysteme führten zu einer irreversiblen Bodenerosion und -versalzung.

Wissenschaft und Staatsführung vertrauten auf die „Selbstheilungskräfte“ der Biosphäre und meinten, die Umwelt könne die diversen Schadstoffeinträge unterhalb zulässiger Höchstkonzentrationen ohne größere Probleme verarbeiten. Diese in gewissen Grenzen richtige Annahme galt als „Beweis“ dafür, dass Schadstofffilter überflüssig seien und es genüge, für eine hinreichende Verdünnung oder Streuung der Schadstoffe zu sorgen. In Wirklichkeit aber wurden die zulässigen Höchstkonzentrationen stets weit überschritten.

Für die Bevölkerung war Umweltschutz gleichbedeutend mit Tier- und Pflanzenschutz, und in der Tat konnten die sozialistischen Länder ihre biologische Vielfalt weitgehend erhalten. In den achtziger Jahren entstanden im Zuge der Glasnost unabhängige Umweltschutzorganisationen, die den Staat zur Rede stellten. Doch mit dem Untergang der kommunistischen Regime und dem Beginn der Wirtschaftskrise schloss sich der Horizont wieder. Der erste staatliche Umweltausschuss, 1988 noch zu Sowjetzeiten gegründet, wurde 1991 in ein Ministerium umgewandelt, bis er sechs Jahre später erneut den Status eines Ausschusses erhielt. Im Mai dieses Jahres löste die russische Regierung den Ausschuss auf und übertrug seine Aufgaben dem Ministerium für Naturressourcen, das für deren Ausbeutung zuständig ist. An der offiziellen Lehre hat sich mithin nichts geändert: Die Natur dient in erster Linie als Ressourcenlieferant für die wirtschaftliche Entwicklung.

Der Optimismus, den die internationale Gemeinschaft beim Zerfall der kommunistischen Regime hegte, erwies sich mithin als unbegründet. Anstatt einer deutlichen Verbesserung der Umweltsituation zeigt sich nach zehnjähriger Übergangszeit eine eher durchwachsene Bilanz. Große Anstrengungen sind erforderlich, um Umweltschutz und wirtschaftspolitische Transformationsmaßnahmen miteinander zu vereinbaren und das katastrophale ökologische Erbe der Sowjetunion zu beseitigen.

Obwohl sich die Situation vor allem in den „reicheren“ Länder Osteuropas stellenweise verbessert, verdankt sich mancher Fortschritt nur der nachlassenden Industrietätigkeit. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat eine Liste der drängendsten Probleme erstellt. Hierzu gehören unter anderem die unkontrollierte Entsorgung gefährlicher Abfälle, die Einleitung von ungeklärten Abwässern, die Verschlechterung der Luftqualität in den urbanen und industriellen Ballungsräumen sowie die Verschlechterung der Bodenqualität durch Pestizide und Übernutzung.

Das sowjetische Umweltbeobachtungssystem funktionierte vergleichsweise gut. Die wissenschaftlichen Berichte wurden zwar nur in einigen Dutzend Exemplaren aufgelegt und blieben vertraulich, aber die Angaben waren recht zuverlässig. Inzwischen sind die Berichte öffentlich zugänglich und werden von den meisten Umweltministerien mit Unterstützung internationaler Organisationen in großer Auflage verbreitet. Das UN-Umweltprogramm fördert auf nationaler Ebene – vor allem im Internet (siehe Kasten) – die Einrichtung von Umweltinformationssystemen, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und politische Entscheidungen voranzutreiben.

Bisher haben diese Bemühungen allerdings nicht die erhoffte Wirkung gezeigt: Staatliche Sofortprogramme sucht man vergebens, und die finanzielle Ausstattung der Umweltbehörden spottet jeder Beschreibung. Die meisten praktischen Maßnahmen werden von der internationalen Staatengemeinschaft eingeleitet und finanziert. Schwierigkeiten bereitet die Umsetzung. Die Gelder fließen häufig in dunkle Kanäle, hinreichend zuverlässige Institutionen, die die Durchführung der Programme vor Ort überwachen, lassen sich oft nur schwer finden, und viele Programme werden eingestellt, sobald das Budget erschöpft ist.

R. M. und O. S.

Le Monde diplomatique vom 14.07.2000, von R. M. und O. S.