15.09.2000

Palaverbaum und Rat der Weisen müssen bleiben

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Palaverbaum und Rat der Weisen müssen bleiben

DIE Regierungsform, die der afrikanischen Mentalität am ehesten entspricht, ist das Präsidialregime. Jenseits der unmittelbaren Identifizierung des Herrschers (König) mit den von ihm Regierten (Völker, Staatsbürger) ist der Häuptling der Einzige, der vor dem Land Verantwortung für die Staatsangelegenheiten trägt – unabhängig davon, ob er alleine oder mit Hilfe eines Premierministers regiert. Zudem ist er der „erste Diener des Landes“. In der Tradition der Luba heißt es sogar ausdrücklich: „Der König ist der Sklave seiner Völker“ und „der Königspalast ist der Hort der Witwen und Waisen“.

Um den afrikanischen Realitäten gerecht zu werden, muss das Präsidialregime zu einer Trias werden, deren Nervenzentrum sich aus der strategischen Koordination dreier autonomer Gewalten speist (Bundes- und Provinzialregierung sowie Chefferie). Darüber hinaus müssen zwei weitere Gewalten erneuert werden – Legislative und Judikative –, und zwar unter Berücksichtigung der politischen Kultur des „Palaverbaums“ und der Rechtskultur des „Rats der Weisen“.

Im 21. Jahrhundert kann in den afrikanischen Parlamenten nur dann ein neuer Wind wehen, wenn die traditionellen Tugenden der Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen, der Respektierung des Widersachers, des wahren Worts und der Öffentlichkeit der Debatten in die politische Kultur eingehen. Auch müssen Regierung und Parlament gezwungen werden, alle für die Zukunft der Völker, der Bürger und des Staats wesentlichen Fragen zu erörtern. Das heißt, die Verbesserung der Diskussionskultur – notwendige Voraussetzung für die Funktion der Gesetzgebung – wird die Qualität der Gesetze optimieren, und zwar auf Kosten ihrer Anzahl, denn die Parlamente werden nicht mehr bloße Registrierkammern sein.

Im traditionellen Afrika stellt die Justiz einen Machtfaktor dar. Wenn man den Geist des Rats der Weisen rehabilitiert, legt man die Grundlagen für eine echte konstitutionelle Rechtsprechung, die durch das Volk legitimiert ist. Die Richter des Rats der Weisen, die unter den herrschenden Familien nach den Kriterien von Kompetenz und beispielhafter Lebensführung ausgesucht werden, dokumentieren durch ihre Präsenz innerhalb der Politik, dass sich die „Macht der Alten“ nicht allein auf die gekrönten Häupter reduzieren lässt und dass niemand über dem Gesetz steht, denn der Fürst oder der König definiert sich als „primus inter pares“ (Erster unter Gleichen).

Um den Übergang in eine andere Zeit und zu anderen Maßstäben zu vollziehen, muss lediglich die Legitimität der Alten durch die der Heutigen ersetzt werden, und die verfassungsmäßigen Richter sind – nach dem Beispiel des Staatsoberhaupts und der Parlamentarier – dem Wahlprinzip zu unterwerfen. Unter diesen Bedingungen kann eine echte konstitutionelle Demokratie entstehen, die nicht mit der radikalen Beseitigung politischer Repräsentation einhergeht (die etwa in Frankreich die Kontroverse über die „Regierung der Richter“ anheizt). In diesem Sinne muss der Rat der Weisen die Attribute einer übergeordneten gerichtlichen Autorität besitzen, die die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz garantiert. Da er als Organ der Überwachung, Regulierung und Kontrolle der richterlichen Gewalt fungiert, hat er zudem über die Ernennung, den Einsatz und die Beförderung der Richter der Zivilgerichtsbarkeit zu entscheiden. Die Justizverwaltung dagegen muss ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der Regierung verbleiben.

M. T.

Le Monde diplomatique vom 15.09.2000, von M. T.