Die verhinderte Annäherung
Von ÉRIC ROULEAU *
DER Oslo-Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern ist am Ende. Damit sind zwar nicht alle Elemente eines Kompromisses hinfällig, die in den Oslo-Abkommen verabredet wurden. Doch die intransingente Haltung Israels hat die Autorität Arafats und der Autonomieregierung beharrlich untergraben. Die Hoffnung der PLO, auf dem langen Marsch zur Anerkennung Israels am Ende auch die eigenen nationalen Ziele einlösen zu können, wurde bitter enttäuscht – durch die israelische Unnachgiebigkeit, die Parteilichkeit der USA und die Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft. Jetzt droht der Konflikt eine gefährliche religiöse Dimension anzunehmen.
Die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten haben den Israelis und Palästinensern, aber auch der internationalen Gemeinschaft einen Schock versetzt. Fassungslos musste die unzureichend informierte Öffentlichkeit mit ansehen, wie der als friedliche Transition konzipierte Friedensprozess in eine Konfrontation von seltener Gewalttätigkeit umschlug. Unter Besatzern wie Kolonisierten, unter palästinensischen Staatsbürgern Israels wie unter französischen Juden und US-Amerikanern arabischer Herkunft machte sich ein abscheulicher „Kriegsrassismus“ breit, der allerdings – wie der Soziologe Maxime Rodinson meint – von Natur aus oberflächlich und von der politischen Konjunktur abhängig ist.
Ebenso schockierend ist aber, dass es nunmehr erste Anzeichen für einen bevorstehenden Religionskrieg gibt: Die expansionistischen Ambitionen der jüdischen Siedler und der israelischen Rechten, die unter dem Deckmantel des Messianismus daherkommen, sowie das provokative Auftreten von Ariel Scharon vor der Al-Aksa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg trugen maßgeblich dazu bei, einen im Kern nationalen Konflikt konfessionell einzufärben – zur größten Befriedigung der Islamisten jedweder Couleur, in Palästina wie in der gesamten arabischen Welt. Damit wurde in beiden Lagern eine „heilige Allianz“ besiegelt, die den Befürwortern des Friedens, die in Israel wie in Palästina noch bis vor kurzem in der Mehrheit waren, über Nacht das Wasser abgegraben hat.
Eine Rückkehr zum Status quo ante scheint inzwischen ausgeschlossen. Das am 13. September 1993 in Washington unterzeichnete Oslo-Abkommen endete damit trotz viel versprechender Anfänge in einer Sackgasse. Die Israelis merkten dies im Lauf der Verhandlungen, die der Explosion in den besetzten Gebieten vorangingen; die Palästinenser – vor allem die jüngere Generation – werfen ihrer Führung inzwischen vor, Illusionen verbreitet zu haben. Einhellig betrachtet die arabische Öffentlichkeit die „Vermittlerrolle“ der Vereinigten Staaten als Betrugsmanöver. Wie konnte ein „strategischer Verbündeter“ einer der Kriegsparteien auch die Hoffnung hegen, als „ehrlicher Makler“ durchzugehen? Mit der Einladung von UN- und EU-Repräsentanten zu den Gipfelgesprächen in Scharm al-Scheich vom 16./17. Oktober 2000 haben die USA denn auch implizit anerkannt, dass sie allein nicht imstande sind, Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Zweifellos wollen die USA damit den Eindruck einer ausgewogenen Schirmherrschaft erwecken – eine Rolle, die für jeden Versöhnungsversuch eigentlich unerlässlich ist, die Washington jedoch jahrzehntelang hartnäckig abgelehnt hat.
Ein Kapitel in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts ist definitiv zu Ende, doch die Errungenschaften der vergangenen Jahre sind dennoch nicht verloren. Nach wie vor akzeptieren beide Parteien den auf der Madrider Konferenz im Oktober 1991 beschlossenen Grundsatz „Land gegen Frieden“, wobei allerdings die Jerusalemer Regierung an der restriktiven Auslegung der Resolution 242 festhält, die vom Text dieses grundlegenden UN-Sicherheitsratsbeschlusses nicht gedeckt ist. Die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien wären nicht zustande gekommen, hätte Israel sich geweigert, die von seiner Armee eroberten Territorien vollständig zurückzugeben.
Der Weg des Kompromisses
IRREVERSIBEL scheint auch die durch das erste Oslo-Abkommen vom September 1993 besiegelte historische Entscheidung, die nationalen Rechte des Verhandlungspartners anzuerkennen, insbesondere das Recht, in Frieden und Sicherheit in einem eigenen souveränen Staat zu leben. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis Israel seine Blockadehaltung gegenüber jeglichen Verhandlungen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) wie auch gegenüber einem wie immer gearteten palästinensischen Staat aufgegeben hat.
Dieser schließliche Sinneswandel wurde durch mehrere Faktoren herbeigeführt: den hartnäckigen Widerstand der Palästinenser, dessen Höhepunkt die erste Intifada (Aufstand) der Jahre 1987 bis 1993 markierte; die Überzeugung, dass eine vollständige Normalisierung der Beziehungen zur arabischen Welt eine Lösung des Palästinenserproblems voraussetzt; die Hinfälligkeit der „jordanischen Option“, seit die haschemitische Monarchie auf das besetzte Westjordanland verzichtet hatte; schließlich und vor allem der Wandel der PLO, die das Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1967 einseitig anerkannte und sich damit als unumgehbarer Verhandlungspartner positionierte.
Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Israelis und Palästinenser sind in ihrer großen Mehrheit überzeugt, dass es zur Koexistenz in zwei eigenständigen Staaten keine Alternative gibt. Die Chimäre eines „Großisrael“ wie auch die eines wiedervereinigten arabischen Palästina gehören längst der Vergangenheit an und werden in beiden Lagern nur noch von einer Minderheit vertreten, die sich allerdings in dem Maße sichbar in Szene setzen, in dem die Krisen gewaltsame Formen annehmen.
Dass die Besiegten eher zum Kompromiss bereit sind als die Sieger, liegt in der Natur der Sache. Die Palästinenser sahen sich angesichts ihrer Leiden – militärische Niederlagen, Exodus, Besatzung, Isoliertheit auf der internationalen Bühne – und aufgrund ihres Überlebenstriebs schrittweise zu einem Realismus genötigt, der nicht immer gebührend anerkannt wurde. Schon ein flüchtiger Blick auf die Geschichte der palästinensischen Nationalbewegung in den letzten dreißig Jahren macht deutlich, dass die PLO immer wieder – auf zumeist schwierige und mühselige Weise – Anstrengungen unternommen hat, den Weg zu einem Kompromissfrieden zu eröffnen.
Bereits im Juni 1974 konnte die PLO-Führung den Delegierten des 12. Palästinensischen Nationalrates eine Resolution abringen, in der es hieß, man werde „eine nationale Behörde in jedem befreiten Teil Palästinas einrichten“ (wie es dann zwanzig Jahre später, nach dem Oslo-Abkommen, denn auch tatsächlich geschehen ist).
In Israel wurde diesem Halbsatz nicht viel Bedeutung beigemessen, dagegen sah der radikale Flügel der PLO darin den Versuch, die Strategie der Bewegung, die damals noch auf die Zerschlagung des „zionistischen Gebildes“ gerichtet war, grundlegend neu zu orientieren. Arafats Gegner hatten sich nicht getäuscht: Drei Jahre später bestätigte der Palästinensische Nationalrat auf seiner 13. Sitzung explizit das Ziel, den eigenen Staat auch in einem Teil des palästinensischen Territoriums aufzubauen. Bereits 1974 hatte Arafat vor der PLO-Generalversammlung erklärt, er werde seinen Kampf fortführen, in der einen Hand das Gewehr, in der anderen den Ölzweig. Die bildhafte Formulierung war vielleicht ungeschickt gewählt, enthielt aber eine unüberhörbare Friedensbotschaft. Doch die Israelis nahmen nur das drohende Gewehr zur Kenntnis.
1977 entsandte Jassir Arafat einen seiner Vertrauten, Issam Sartawi, nach Paris, um dort israelische Persönlichkeiten der zionistischen Linken zu treffen, darunter den Helden des Sechstagekriegs, General Matitjahu Peled, den ehemaligen Generalsekretär der Arbeitspartei, Arie Eliav, den Knessetabgeordneten Meir Pail, den Journalisten und späteren Parlamentarier Uri Avneri sowie Jacob Arnon, einen hohen Beamten im Finanzministerium. Als Vermittler und Katalysator fungierte Henri Curiel, ägyptischer Jude und Dritte-Welt-Aktivist. Im Laufe der Unterredungen, die sich über mehrere Monate erstreckten, plädierte Sartawi für eine Versöhnung der beiden Völker. Detailliert legte er dar, was Arafat bereit wäre zu akzeptieren: einen entmilitarisierten palästinensischen Kleinstaat im Westjordanland und im Gaza-Streifen sowie gutnachbarschaftliche Beziehungen mit dem jüdischen Staat.
Sartawi bat seine Gesprächspartner, die von diesem unerwarteten Vorschlag wie elektrisiert waren, den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin zu unterrichten. Rabin empfing sie höflich und hörte ihnen – wie Uri Avneri berichtet – unbewegt zu, stellte aber keine Fragen und verfolgte die Initiative nicht weiter. Der Vorstoß kam für den künftigen „Helden des Friedens“ fünfzehn Jahre zu früh. Dass er später den Weg des Kompromisses einschlug, sollte er teuer bezahlen. 1995 fiel er einem Attentat zum Opfer. Henri Curiel und Issam Sartawi wurden schon 1978 beziehungsweise 1983 ermordet.
Im Laufe der siebziger und achtziger Jahre kam es gleichwohl wiederholt zu geheimen Kontakten zwischen Persönlichkeiten der PLO (die prominenteste war dabei Abu Ijad, die Nummer zwei der PLO) und israelischen Politikern, Parlamentariern und Intellektuellen. Wobei die israelischen Partner riskierten, ins Gefängnis zu wandern, weil Zusammenkünfte mit Vertretern der „terroristischen Organisation“ damals noch illegal waren. Matitjahu Peled und Uri Avneri gingen gar so weit, sich gemeinsam mit dem PLO-Chef in dessen Hauptquartier in Tunis photographieren zu lassen. Über die französische Botschaft in Tunis richteten Arafat und Abu Ijad 1985 die diskrete Bitte an Frankreich, der israelischen Regierung Sondierungsgespräche mit Vertretern der PLO vorzuschlagen. Die Regierung der nationalen Einheit unter Schimon Peres lehnte das Angebot kurzerhand ab. Und dies, obwohl drei Jahre zuvor – im Zuge der verheerenden Libanonoffensive von General Ariel Scharon – die geplante Vernichtung der palästinensischen Zentrale misslungen war.
Eine riskante Partie
DIE israelische Staatsführung gab in ihrer Argumentation keinen Zentimeter nach: Es komme nicht in Frage, mit einer Organisation zu verhandeln, die die Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats nicht anerkennt. Die PLO fühlte sich an diese Resolution nicht gebunden, weil darin nur von den Krieg führenden arabischen Staaten die Rede war. Im Übrigen schrieb derText das Recht des hebräischen Staates fest, „in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen“ zu leben, forderte aber auch „den Rückzug der israelischen Streitkräfte aus den während des jüngsten Konflikts [vom Juni 1967] besetzten Gebieten“. Nahum Goldmann, einer der Gründer des Zionistischen Weltkongresses, äußerte privat sein Erstaunen darüber, dass die palästinensische Zentrale von der kurzen Friedenskonferenz in Genf 1973 und den Friedensgesprächen in Camp David 1978 fern gehalten wurde, weil sie die Resolution 242 nicht anerkannte. Allein die Gegenwart der PLO bei diesen Gesprächen, so Goldmann, hätte eine De-facto-Anerkennung des Staates Israel bedeutet, die sich unweigerlich in eine De-jure-Anerkennung verwandelt hätte.
Rückblickend lässt sich feststellen, dass die Frage der Anerkennung Israels nur als Vorwand diente. Der eigentliche Grund, die Avancen der PLO in den Wind zu schlagen, war vielmehr die Perspektive, das Westjordanland und den Gaza-Streifen an die Palästinenser zurückzugeben. In der Tat hat sich die Haltung der israelischen Regierung um kein Jota geändert, als die PLO die Resolution 242 auf ihrem 19. Nationalrat im November 1988 in Algier schließlich anerkannte und dem Terrorismus eine scharfe Absage erteilte.
Erst fünf Jahre später ließ sich Jitzhak Rabin widerwillig dazu bringen, das Abkommen von Oslo zu unterzeichnen. Die Risiken, die er dabei einging, waren verschwindend gering: Bei keiner der zentralen Streitfragen – den Grenzen des künftigen palästinensischen Gebildes (von „Staat“ war damals noch nicht die Rede), der Zukunft der jüdischen Siedlungen, dem Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge, der Aufteilung der Wasserressourcen, dem Status Jerusalems – sah das Abkommen feste Verpflichtungen für Israels vor. Oslo I war nur ein leerer Rahmen, den die Protagonisten versprachen, durch künftige Interimsabkommen schrittweise zu füllen. Als Gegenleistung erhielt Jitzhak Rabin das Ende der Intifada, die zu ersticken ihm fünf Jahre lang nicht gelungen war, trotz unerbittlicher Repression und hoher Verluste bei den Teilnehmern der Erhebung (1 500 Tote, Zehntausende Verletzte und Tausende Inhaftierte). Die Anführer der Erhebung legten die Steine aus der Hand. Sie hatten nicht mehr verlangt als einen palästinensischen Staat im Westjordanland und im Gaza-Streifen, was sie nun mit dem Osloer Abkommen erreicht zu haben glaubten.
Jassir Arafat hingegen spielte eine riskante Partie. Gewiss, er erreichte die formelle Anerkennung der PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes – implizit also auch der nationalen Bestrebungen, die die PLO verkörperte –, die Rückkehr der Fedajin in ihre Heimat und die beschränkte Autonomie in einem Teil der Gebiete. Zwar verfügte er über keinerlei Garantien, diese Ziele innerhalb der fünfjährigen Übergangsperiode zu erreichen, doch er hatte zumindest die Gewissheit, dass man über alles verhandeln konnte, auch über den Status Jerusalems, was zuvor völlig ausgeschlossen war. Er setzte auf beiderseitigen guten Willen, auf Schritte, die das Misstrauen zwischen den beiden verfeindeten Völkern zerstreuen sollten, auf die „Entkrampfung“ der Israelis. Gegner im eigenen Lager warfen ihm deshalb „Blauäugigkeit“ vor, andere sogar Verrat. Doch hatte er in seinem Exil in Tunis überhaupt eine andere Wahl? In der arabischen Welt war er isoliert, die Ölstaaten drehten ihm den Geldhahn zu, weil er während der Golfkrise Saddam Hussein unterstützt hatte, die Vereinigten Staaten schnitten ihn, desgleichen die meisten anderen westlichen Mächte – die Lage der PLO schien aussichtslos.
Sieben Jahre nach Oslo bleibt festzuhalten, dass Jassir Arafat seine Partie verloren hat. Ein ums andere Mal zeigte er Gesten des guten Willens, er hofierte die israelischen Medien und die jüdischen Organisationen in den USA, er verbeugte sich in der Schoah-Gedenkstätte Jad Vaschem, er ließ aus der PLO-Charta die Artikel streichen, die sich auf die Zerschlagung des zionistischen Staat bezogen, er sorgte für eine enge Zusammenarbeit zwischen den palästinensischen und israelischen Sicherheitsdiensten, er ließ ohne Gerichtsurteil potenzielle Terroristen und Oslo-Gegner internieren und lieferte ab und zu sogar Verdächtige an die Polizei des hebräischen Staates aus. Er begnügte sich mit platonischen Protesten, als Israel den Bau und die Erweiterung von Siedlungen in „Judäa und Samaria“ fortführte und intensivierte, obwohl das Gebiet eigentlich an die Palästinenser fallen sollte. Er reagierte entrüstet, als die israelische Armee die Rückzugsfristen nicht einhielt, als Jerusalem seiner Verpflichtung nicht nachkam, Tausende von palästinensischen Gefangenen freizulassen, als die israelische Regierung den Abschluss eines Friedensvertrags immer wieder hinauszögerte – und damit den Chef der palästinensischen Autonomiebehörde demütigte, der die tausendfach versprochene Staatsgründung schon zweimal verschieben musste.
Gleichwohl bestand Arafat hartnäckig auf weiteren Verhandlungen, mochten ihn seine Gegner auch als „palästinensichen Pétain“ beschimpfen. Am Ende des Camp-David-Treffens im Juli dieses Jahres hätte er einige beachtliche – wenn auch eher formale als inhaltliche – Zugeständnisse seitens Ehud Baraks nach Hause bringen können. Doch dazu kam es nicht. Barak wagte sich in der Jerusalemfrage auf ein Minenfeld, indem er für Israel die ausschließlichen Souveränitätsrechte über die heiligen Stätten, insbesondere über die Al-Aksa-Moschee forderte, weil diese angeblich auf den Trümmern des Tempels Salomons errichtet wurde – eine Hypothese, die israelische Archäologen bestreiten.
So trug Arafat, als er aus Camp David abzog, eine zündbereite Bombe in der Tasche, die Ehud Barak wenig später in die Luft gehen ließ. Ungeachtet der wiederholten Warnungen seiner Sicherheitsdienste, die seit Anfang dieses Jahres eine zweite Intifada voraussahen, gestattete er General Ariel Scharon, dem mehrere Massaker an Palästinensern zur Last gelegt werden – insbesondere das Massaker von Sabra und Chatila –, sich vor der Al-Aksa-Moschee ablichten zu lassen, der drittwichtigsten heiligen Stätte des Islam nach Mekka und Medina.
dt. Bodo Schulze
* Journalist und ehemaliger Botschafter Frankreichs in der Türkei und im Iran.