10.11.2000

Boris Michailow

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Boris Michailow

Boris Michailow (geb. 1938) stammt aus Charkow (Ukraine) und gilt als Begründer der konzeptuellen Fotografie in der Sowjetunion. Bis 1989 arbeitete er als technischer Fotograf in einem Großbetrieb. Sein Werk ist geprägt von der Ikonografie der Sowjetunion, insbesondere von der Verkitschung des Privaten und dem allgemeinen Heldenpathos.

In seinem seriell angelegten Werk verwandelt er konkrete Fotos durch persönliche Eingriffe in Gesellschaftsstudien. Lange Zeit kolorierte er alltägliche Aufnahmen „sozialistischer Ready-mades“ (wie Komsomolzen, Soldaten) in grellen Farben, was vielfach als „russische Variante der Pop-Art“ gedeutet wurde. Durch die Erweiterung des Bildausschnittes auf 120 Grad mittels einer „Horizont“-Kamera (s. auch die BMW-Serie S. 12 – 17) betont er das Moment der Bewegung, des Vorbeiziehens.

Eines seiner frühen Bilder (1968) zeigt eine Familie, die, winterlich gekleidet, Eis essend (Warum gab es in der Mangelgesellschaft Eis im Winter?), eine Allee entlangläuft. Die Unterschrift „Ich fürchte mich nicht vor Leuten, die Eis essen“ ist in ihrem poetischen Galgenhumor charakteristisch für Michailows Werk. Viele Bilder sind Abbildungen scheinbar realer, alltäglicher Situationen, die durch Hinzufügung von Farbe oder Text zu Inszenierungen mutieren. In dieser Verwandlung offenbart sich eine die gesamte Gesellschaft prägende, fast panische Angst, die auch die beinahe zärtlichen Aufnahmen der Obdachlosen durchwirkt.

Im November erhält Boris Michailow, der derzeit in Cambridge (Massachussets) lehrt, den Hasselblad Award 2000.M. L. K.

Le Monde diplomatique vom 10.11.2000, von M. L. K.