15.12.2000

Der verpasste Kompromiss

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Der verpasste Kompromiss

Von FAISAL HUSSEINI *

TROTZ des Volksaufstands in den besetzten palästinensischen Gebieten erklärt die israelische Regierung weiterhin, sie habe beim Gipfel in Camp David den Palästinensern sehr weit gehende Zugeständnisse gemacht. Doch ihre Vorschläge garantierten nicht einmal die minimalen Voraussetzungen für die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates, sie missachteten unsere Rechte in Jerusalem, und sie waren unzureichend, was die Tragödie der palästinensischen Flüchtlinge betrifft. Die israelische Seite hat es vorgezogen, auf die Logik der Macht zu setzen, indem sie demonstrierte, dass es ihr mittels der illegalen Siedlungen in den besetzten Gebieten möglich ist, entgegen der Resolutionen 242 und 338 des UN-Sicherheitsrates die Grenzen vom 4. Juni 1967 zu korrigieren. Dieses üble Kalkül war es, das zum Scheitern des 1993 in Oslo vereinbarten Abkommens geführt hat.

Die Palästinenser konnten die positiven Seiten des Oslo-Prozesses nicht realisieren – im Gegenteil: Seit 1993 mussten sie erleben, wie weitere Teile ihres Landes für Siedlungen beschlagnahmt wurden und wie die israelische Politik der militärischen Abriegelung ihre Wirtschaft ruinierte. Die oben abgedruckten Karten, auf denen die von Israel in Camp David präsentierten Projekte Gestalt annehmen, machen deutlich, dass man für diese Probleme keine Lösungen gefunden hat. Die Gebiete unter vollständiger palästinensischer Kontrolle (Zone A) sind ein Flickenteppich unzusammenhängender Enklaven, die weder das besetzte Ostjerusalem umfassen noch die Gebiete, die an andere arabische Länder grenzen.

In Camp David hat Israel nicht etwa versucht, diese Probleme zu lösen, sondern war im Gegenteil bemüht, seinen eigenen Einfluss noch zu verstärken. Wie die Karten zeigen, ist das Westjordanland in drei Kantone aufgeteilt, während zugleich die jüdischen Siedlungen bestehen bleiben. Und Ostjerusalem bietet das Bild eines unentwirrbaren Gemenges aus jüdischen Siedlungen und palästinensisch kontrollierten Zonen. Ein solcher Vertrag bietet in keiner Weise die Voraussetzungen für einen politisch unabhängigen und wirtschaftlich lebensfähigen Staat.

Dennoch sind in den vergangenen Jahren die Grundlinien für die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts festgelegt worden. 1988, noch im Exil in Algier, stimmte der Palästinensische Nationalrat (PNC) mehrheitlich für eine Lösung auf der Basis der Koexistenz zweier Staaten, unter Beachtung der UN-Sicherheitsrats-Resolutionen 242 und 338, die von Israel den Rückzug aus allen Gebieten fordern, die es im Krieg von 1967 besetzt hat. Dieser historische Beschluss bedeutete nicht nur die Anerkennung des Existenzrechts Israels, sondern auch das Einverständnis, dass Israel dieses Existenzrecht auf einem Territorium wahrnehmen kann, das einer Fläche von 78 Prozent des geschichtlichen Palästina entspricht. Der Nationalrat gab sich also mit einem palästinensischen Staat zufrieden, der sich auf 22 Prozent dieses Territoriums beschränkt, nämlich den Gasastreifen und das Westjordanland, unter Einbeziehung Jerusalems. Damit hat das autochthone Volk Palästinas dem Staat Israel innerhalb der Grenzen vom 4. Juni 1967 die Anerkennung seiner Existenz in Frieden und Sicherheit garantiert.

Die Entscheidung des PNC ebnete den Weg für die Konferenz von Madrid 1991 und die Gespräche, deren Resultat dann 1993 der Vertrag von Oslo war. Damit hatten sich beide Seiten bereit erklärt, die UNO-Resolutionen umzusetzen, das heißt mit dem Grundsatz „Land gegen Frieden“ ernst zu machen. Endlich hatten Israelis und Palästinenser die Chance – jedenfalls nach unserer Überzeugung –, der Region ein neues Gesicht zu geben, indem Hass und Blutvergießen durch die Prinzipien von Frieden und Zusammenarbeit abgelöst werden.

Sieben Jahre nach Oslo sind nicht mehr als 70 Prozent des Gasastreifens und 40 Prozent des Westjordanlands unter – eingeschränkter – palästinensischer Kontrolle. Die in den Verträgen vereinbarte dritte Phase des Rückzugs wird von israelischer Seite immer wieder hinausgezögert. Und im Laufe der Jahre, aber insbesondere unter der Regierung Barak, hatte Israel in vielfacher Weise neue Fakten geschaffen, indem die Errichtung von Siedlungen und die Konfiszierung von Land beschleunigt vorangetrieben wurden: Seit den Verträgen von Oslo haben sich über 80 000 weitere Siedler im Westjordanland niedergelassen. Der Mehrheit der Palästinenser bleibt der Zugang zur Heiligen Stadt Jerusalem verwehrt, ihre Möglichkeiten, sich im Westjordanland von Stadt zu Stadt sowie zwischen dem Westjordanland und dem Gasastreifen zu bewegen, sind stark eingeschränkt.

In Camp David saßen wir einem Verhandlungspartner gegenüber, der sehr viel mächtiger ist als wir, wobei die USA keineswegs als neutraler Vermittler auftraten. Sie betätigten sich vielmehr als Parteigänger Israels, um uns so weit reichende Zugeständnisse abzuringen, dass sie für das palästinensische Volk niemals akzeptabel gewesen wären. Und auch nicht – was den Punkt Jerusalem betrifft – für die arabische und muslimische Welt insgesamt. Damit war das Gipfeltreffen gescheitert.

Trotz allem hat Camp David für beide Seiten einen großen Schritt nach vorn bedeutet, denn wir haben bei diesem Treffen eine ganze Reihe von Hindernissen überwunden. Aber leider war Ehud Barak so sehr in innenpolitische Probleme verstrickt, dass er nach seiner Rückkehr begann, kurzsichtige Maßnahmen zu ergreifen, nur um seine Regierung zu retten. Besonders tragisch war die Entscheidung, Ariel Scharon – ein Kriegsverbrecher, mit dem er eine Koalitionsregierung zu bilden erhoffte – einen Auftritt im haram asch-scharif auf dem Tempelberg zu gestatten, der drittheiligsten Stätte des Islam. Die Proteste, die dieser Besuch auslöste, entwickelten sich rasch zu einem Volksaufstand, in dem sich die jahrelange Enttäuschung und Erniedrigung entlud.

Irgendwann werden Palästinenser und Israelis wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn auch nicht zu dem Verhandlungsprozess, mit dem wir es seit den Oslo-Verträgen zu tun hatten. Der brutale und exzessive Einsatz von Gewalt durch Israel hat deutlich gemacht, dass die Palästinenser auf eine internationale Friedenstruppe angewiesen sind, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Darüber hinaus muss ein internationaler Kontrollmechanismus installiert werden, damit Israel die Abkommen, die es unterzeichnet hat, auch in die Realität umsetzt. Zugleich muss die Welt akzeptieren, dass die Palästinenser verhandeln und gleichzeitig demonstrieren können – so wie die Israelis gleichzeitig verhandeln und Siedlungen bauen können.

Man wird einen neuen Verhandlungsmechanismus finden müssen, der es erlaubt, den Geist des Vertrauens wieder aufzubauen, der sich 1991 bei der Madrider Konferenz zu bilden begonnen hatte und auf der Umsetzung der UN-Beschlüsse beruhte. Wenn ein solcher Ansatz gelingt, dann gibt es auch Aussicht auf weitere Fortschritte: Der Friedensprozess kann die Kriegshandlungen, die Vernunft kann die Logik der Gewalt ablösen. Je rascher wir uns auf die Vernunft besinnen, desto eher können wir auf den Weg zu einem dauerhaften Frieden zurückkehren.

dt. Edgar Peinelt

* Mitglied des Exekutivkomitees der PLO, zuständig für die Jerusalemfrage.

Le Monde diplomatique vom 15.12.2000, von FAISAL HUSSEINI