10.08.2001

Lance Armstrong und sein Ferrari

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Lance Armstrong und sein Ferrari

LANCE ARMSTRONG war ungewöhnlich mitteilsam auf seiner Pressekonferenz nach den Pyrenäenetappen der diesjährigen Tour de France, auf denen er sich das gelbe Trikot geholt hatte. Leutselig und freundlich beantwortete der 29-Jährige die bohrendsten Fragen der Journalisten, vor allem jene nach seiner Verbindung zum italienischen Sportmediziner Michele Ferrari. „Ich glaube, Ferrari ist unschuldig und ein Ehrenmann“, ließ Armstrong wissen, grinste und entschwand.

Das war starker Tobak, denn mit diesem Ehrenzeugnis steht der dreifache Toursieger weitgehend allein da. Schließlich trug Michele Ferrari in Fachkreisen lange Jahre den Beinamen „Dottore Epo“ und von ihm stammt der Ausspruch, das Blutdopingmittel Erythropoietin (Epo) sei nicht gefährlicher „als fünf Liter Orangensaft“. Entsprechend freigebig soll er nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bologna mit dem Stoff umgegangen sein. In seinem Sportmedizinischen Institut der Universität Ferrara wurden detaillierte Unterlagen über rund 60 Radprofis gefunden, teilweise mit genauen Trainingsplänen inklusive Dopinganweisungen. Es tauchen prominente Namen auf wie Ivan Gotti, Pawel Tonkow, Abraham Olano, Mario Cipollini oder Kevin Livingston. Ähnliches Material wurde bei Ferraris Mentor Professor Francesco Conconi sichergestellt. Der hatte schon in den Achtzigerjahren mit Eigenbluttransfusionen experimentiert, und zwar nicht nur bei Radsportlern, sondern auch bei Marathonläufern und Skilangläufern. Als diese Methode in Italien verboten wurde, verlegte er sich auf Epo-Experimente. Jetzt wurde gegen ihn und Ferrari aufgrund der gefundenen Behandlungsunterlagen Anklage erhoben. Der Prozess soll am 21. September beginnen. Lediglich der Dritte im Bunde, Luigi Cecchini, kam davon.

Schon im November hatten mehrere Radprofis eingeräumt, dass Epo auch bei der Tour de France seit 1994 eine immer größere Rolle spielte. Ihren Geständnissen beim Prozess in Lille gegen den Festina-Radstall war zu entnehmen, dass es auch austrainierten Profis nicht mehr möglich war, sauber an der Spitze mitzufahren. Was den „Dottore Epo“ betrifft, so wurde vor kurzem die Zeugenaussage des Ex-Radprofis Filippo Simeoni bekannt. 1997 habe ihm Ferrari erklärt, er müsse Epo und Testosteron nehmen. Simeoni nannte auch Preise. Ein Fläschchen Epo habe rund 120 Mark gekostet, vier Einheiten Wachstumshormone rund 100 Mark. Bei Conconi, der sogar Vorsitzender der Antidopingkommission des IOC war und Leute wie EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zu seinen Freunden zählte, wurden Listen mit 407 verschlüsselten Namen von Sportlern gefunden, in denen die genauen Dosen verabreichter Dopingmittel verzeichnet waren. Zu seinen Kunden gehörten neben Skilangläufern und anderen Ausdauersportlern auch Radprofis wie Bjarne Riis, Gianni Bugno, Francesco Moser, Tony Rominger, Marco Pantani oder Stephen Roche. „Leute wie Conconi, Cecchini, Ferrari“, sagt Lance Armstrong, „diese italienischen Typen, das sind phantastische Köpfe, großartige Trainer. Die kennen sich mit Physiologie aus.“

Die Dienste von Ferrari will der Texaner unbeirrt weiter nutzen. Dennoch war es dem smarten Armstrong sehr wohl bewusst, dass die Nähe zu dem italienischen Wunderdoktor seinem Image schaden würde, weshalb er die Verbindung erst zugab, als der englische Journalist David Walsh, der in der Sache recherchiert hatte, ihn in die Enge trieb. „Bin ich hingegangen, habe ich mich von ihm testen und in einigen Dingen beraten lassen?“, wiederholte Armstrong die hartnäckigen Fragen und gab selbst die Antwort: „Vielleicht.“ Die Dokumente der Staatsanwaltschaft sind da genauer. Sie belegen, dass er seit März 1999 fünfmal jeweils mehrere Tage in Ferrara weilte, zuletzt drei Tage im April dieses Jahres.

Auf die Armstrong-Connection war Walsh über Armstrongs alten Freund und Helfer Kevin Livingston gestoßen, der inzwischen vom US-Postal-Team des Amerikaners zum Team Telekom von Jan Ullrich wechselte. Livingstons Besuche bei Ferrari sind ebenfalls belegt, und die beschlagnahmten Akten enthalten seltsame Daten. So wird der Hämatokritwert, also der Anteil der roten Blutkörperchen, bei Livingston im Dezember 1997 mit 41,2 Prozent angegeben, kurz vor der Tour 1998 aber mit 49,9 Prozent. Der vom Radsportverband zugelassene Wert betrug seit 1997 50 Prozent, bei Überschreitung wurden die Fahrer „wegen gesundheitlicher Gefährdung“ für zwei Wochen gesperrt.

„Ich bin verdächtig, weil ich ein Radfahrer bin“, hatte Lance Armstrong auf seiner Pressekonferenz scheinbar resigniert gesagt. Das ist nicht ganz richtig. Er ist verdächtig, weil er ein Radfahrer ist, weil er die Tour dreimal gewonnen hat und weil er mit Michele Ferrari zusammenarbeitet.

MATTI LIESKE

Le Monde diplomatique vom 10.08.2001, von MATTI LIESKE