Auf dem Weg in die grüne Hölle
DIE zweite Welle mennonitischer Siedler in Paraguay kam aus der Sowjetunion. Im April 1930 trafen die ersten von ihnen in Asunción ein. Nachdem sie den Paraguay bis nach Puerto Casado hinaufgefahren waren, brachen sie Anfang Oktober ins Chaco-Central auf, zunächst mit dem Zug, dann auf Ochsenkarren. Dort gründeten sie dann die Kolonie Fernheim. Einer der Pioniere erinnert sich:
„Nach einer eintönigen Reise erreichten wir Punta Rieles bei Einbruch der Nacht. Auf Anweisung des Bahnhofsvorstehers bekamen wir ein Abendessen, dann bereiteten wir uns darauf vor, die Nacht im Freien zu verbringen. Hinter einem Bretterhaufen, wo wir vor dem Wind geschützt waren, breiteten wir unsere nagelneue Zeltbahn aus, richteten uns die Decken und Kopfkissen und legten uns im Vertrauen auf Gott zur Ruhe. Am nächsten Tag, als wir Decken und Zeltstoff zusammenfalteten, fanden wir darunter eine gewaltige Schlange, die dort in der Nacht die Wärme gesucht hatte. Meine Tochter sah mich mit großen Augen an, als wollte sie sagen: ‚Papa, wohin hast du uns gebracht?‘.
Doch wir hatten noch ein großes Stück Wegs zurückzulegen. Wie wir später erfuhren, waren die Ochsen auf dem letzten Teil der Anreise verloren gegangen und erst nach vielen Stunden wiedergefunden worden. So stand die Sonne schon hoch, als unsere Wagenführer eintrafen. Mit ihnen freundeten wir uns rasch an, wir bestürmten sie mit Fragen. Einer von uns wollte wissen, was das Wort Chaco bedeute, und ein Fuhrmann antwortete lakonisch: ,Chaco? Das heißt einfach Hölle. Jawohl, mein Herr, grüne Hölle.‘ Auf den Fuhrwerken waren wir drei Tage unterwegs, bis wir Blumental erreichten, die erste Ortschaft der Kolonie Menno.
Am Tag darauf, einem Sonntag, kamen wir gegen Mittag an ein halbfertiges Gebäude inmitten eines dürren Feldes. Wortlos stieg unser Fuhrmann vom Wagen; wir rührten uns nicht. ,Wir sind da‘, sagte der Führer, ,oder vielmehr: ihr seid an eurem Ziel.‘ Mir entrang sich ein Seufzer aus tiefster Brust: ,Hilf uns, o Herr, oder wir werden sterben.‘ Das Haus hatte weder Tür noch Fenster, unter seinem kleinen Blechdach war kaum Platz für unser bescheidenes Gepäck, geschweige denn für 300 Menschen.
Obwohl es der Tag des Herrn war, nahmen wir Männer die Axt zur Hand und machten uns daran, Stöcke und Astgabeln so zu bearbeiten, dass wir aus unseren Stoffbahnen Zelte bauen konnten. Am Abend dienten unsere Decken wieder als Bettstatt, wir breiteten sie auf dem Gras aus, das die Kinder geschnitten hatten. Und als wir sie am Morgen zusammenfalteten, fanden wir unter der Matratze aus Gras – eine Schlange.“
Aus: Peter Rahn, „Al Infierno verde“, (hrg. von Peter P. Klassen), Kaputi Mennonita, Asunción 1996