12.10.2001

Andy-Warhol-Retrospektive

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Andy-Warhol-Retrospektive

„I can draw anything“ – damit versuchte sich 1949 der junge Andy Warhol (1930–1987) als Werbedesigner zu verkaufen. In der Tat hatte er es mit seiner Schwäche für Schuhe bald in die New York Times geschafft, bevor er sich Anfang der 60er-Jahre mit Suppendosen, Colaflaschen und anderen an Marcel Duchamp („Alles ist hübsch“) anknüpfenden Readymades in die Pop-Art hineinmalte – jene Kunstrichtung, die den Beweis antreten wollte, dass banale Sujets genauso stark wirken können wie ein Rembrandt.

Die Berliner Nationalgalerie und die Londoner Tate Gallery haben nun in einer umfangreichen Gesamtschau alle Phasen von Warhols darstellender Kunst versammelt. Da jeder Anspruch auf Vollständigkeit reine Megalomanie wäre, zieht die Ausstellung stattdessen Lebens- und Themenlinien nach, um – wie es der Kurator Heiner Bastian formuliert – Warhol aus der Aura des Pop-Art-Künstlers zu befreien. Für Bastian ist es gerade die Wende zu den Unglücks- und Todesbildern, die Warhol mit zeitlichem Abstand als Vertreter der „Klassischen Moderne“ erscheinen lassen.

Der herausragende Chronist, den wir auf den Bildern sehen, ist ein Voyeur unseres Erschreckens. Ein individueller Ausdruck der Kritik oder Affirmation ist seinen Werken fremd. Er reproduziert die Schreckbilder wie die Idolbilder („Marilyn in Gold“) der massenmedialen Wirklichkeit. In der Reproduktion eines immergleichen Motivs in verschiedener Anzahl und Größe („Thirty are better than one“) wird die Aura der Einmaligkeit eines Bildes gleichzeitig attackiert und bekräftigt.

Die Entdeckung des fotomechanischen Siebdruckverfahrens für die Kunst eröffnete ihm ab 1962 die Möglichkeit, den Maßstab seiner fotografischen Quellen zu vergrößern. Dass Warhol letztlich bei einem Großteil seiner Werke die „letzte Hand“ nicht dem eigenen Pinselstrich, sondern dem (mechanischen) Druck überließ, war ebenso eine Attacke gegen den Kunstbetrieb wie die serielle Produktion von Kunstwerken in seiner „Factory“.

Warhols Thema ist die Einsamkeit – die eigene, die der Idole wie die der anonymen Menschen. „Ich dachte“, sagte Warhol über die Menschen auf seinen Desaster-Bildern (Selbstmord, Autounfall etc.), „es wäre vielleicht schön für diese unbekannten Menschen, wenn einmal Leute an sie denken, die das normalerweise nicht tun.“ M. L. K.

Le Monde diplomatique vom 12.10.2001, von M. L. K.