Afrika im Abseits?
AMERIKA, der Nahe Osten und Asien spielen die Hauptrollen in der weltweiten „Offensive gegen den Terrorismus“. Und Afrika? Zu dem „neuen Jalta“, das uns nach dem Afghanistankrieg bevorstehen dürfte, scheint man Afrika gar nicht erst einladen zu wollen. Stattdessen werden die Afrikaner aufgefordert, sich erst einmal um die eigenen „Extremisten“ zu kümmern. Und die notorischen „Schurkenstaaten“ – Libyen, Sudan, Somalia – werden mit neuen Sanktionen und Militäroperationen bedroht.
Der ganze Kontinent scheint sich im Auge des Hurrikans zu befinden und wirkt vielleicht deshalb so stumm und abwesend. In Kano, einer der größeren Städte Nigerias, wo wie in der umliegenden Provinz die Scharia gilt, gab es Mitte Oktober bei Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen über hundert Tote. Anlass war eine Demonstration gegen die Angriffe auf Afghanistan gewesen. „Bin Laden ist ihr Che Guevara“ kommentierte der Regionalkorrespondent von Radio France International (RFI). Durch die Länder der Sahelzone, wo überwiegend ein friedlicher, auf mächtige Bruderschaften gestützter „schwarzer Islam“ praktiziert wird, verlaufen die alten Bruchlinien: Der Norden ist islamisch-arabisch, der Süden christlich-animistisch. Gegenüber RFI erklärte der Verteidigungsminister von Mali, in diesem „traditionell islamischen Gebiet“ habe man zwar keine Radikalisierung zu befürchten, aber es gebe – zumeist pakistanische – Wanderprediger, die aus Niger, Mauretanien oder Algerien heimlich ins Land gekommen seien und zum heiligen Krieg aufriefen. In Niger, dessen Regierung sich nicht geäußert hat, ergriffen Teile der Opposition und der islamischen Geistlichkeit entschieden Partei für Bin Laden. Auch in Marokko fanden sich etliche Islamgelehrte, die in einer Fatwa (religiöses Gutachten) die Teilnahme ihres Landes an der von den USA geführten Allianz gegen den Terrorismus als „Apostasie“ qualifizierten.
Vor allem im Maghreb nutzen einige Staatschefs die aktuellen Ereignisse zur nachträglichen Rechtfertigung ihrer über viele Jahre praktizierten Härte gegenüber den eigenen „Terroristen“. Zu einem Vergeltungsschlag gegen ein muslimisches Land wollte sich jedoch keiner von ihnen bekennen – man fürchtet den Volkszorn. Auf der Straße ist die Stimmung bestenfalls fatalistisch, manche sind auch bereit, Bin Laden als einen neuen Che Guevara zu verehren, als ihren Helden im „Krieg der Armen“. In Frankreich kann man in den Vorstädten mit maghrebinischer Bevölkerung häufig die Meinung hören: „Ussama, den schaffen sie nicht . . .!“ Die Mehrheit der afrikanischen Führer verlegt sich aufs Abwarten, was die Gefahr wachsen lässt, dass Afrika noch stärker marginalisiert wird. Umso bemerkenswerter ist das Verhalten des senegalesischen Staatschefs Abdoulaye Wade, eines gestandenen prowestlichen Liberalen, der stolz darauf ist, dass sein zu 90 Prozent muslimisches Land mehr als zwanzig Jahre lang von einem christlichen Präsidenten – Leopold Senghor – geführt wurde, ohne dass dieser von seinen Gegnern „jemals wegen seines Glaubens angegriffen wurde“. Abdoulaye Wade ließ auf einem von ihm einberufenen Gipfeltreffen in Dakar am 17. Oktober einen „afrikanischen Pakt gegen den Terrorismus“ beschließen. Wie so viele Beschlüsse der afrikanischen Führer dürfte allerdings auch dieser Pakt ohne konkrete Wirkung bleiben.
Handelt es sich hier wirklich um einen „Krieg des Guten gegen das Böse?“, fragte sich im September, zwei Tage nach den Anschlägen, der Leitartikler der in Dakar erscheinenden Tageszeitung Sud. Und der Außenminister eines westafrikanischen Staates formuliert im privaten Gespräch seine Erwartung, dass die Großmächte vor allem „mehr Bescheidenheit und Gerechtigkeit statt Arroganz und Unverschämtheit“ zeigen müssten. In Abidjan kommt der Sprecher des „Generalsekretariats der ehemaligen Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU)“ zu dem Schluss, dass „die zunehmende Armut, die Weigerung, entscheidende Probleme (wie die Palästinafrage) zu lösen, und der Mangel an Demokratie günstige Bedingungen für das Entstehen des Terrorismus geschaffen haben“. Und in der Zentralen Moschee der Schüler und Studenten in Ouagadougou (Burkina Faso) kann man die Meinung hören, dass „die Probleme der Ungerechtigkeit in der Welt durch Bombenangriffe nicht zu lösen sind“.
PHILIPPE LEYMARIE