14.12.2001

Diego García – eine strategische Säuberung

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Diego García – eine strategische Säuberung

DIE Insel Diego García liegt in der Weite des Indischen Ozean. Seitdem die ursprünglichen Inselbewohner Anfang der 1970er-Jahre gewaltsam nach Mauritius umgesiedelt worden sind, dient die Insel der US-Armee als Hauptstützpunkt für alle militärischen Interventionen in Richtung Mittelasien und Persischer Golf. Von dort starteten auch die B-52-Bomber, die tagtäglich die Frontlinien in Afghanistan unter Beschuss nahmen. Es gibt große Depots mit Waffen und Treibstoff sowie dutzende „strategisch günstig“ gelegener Installationen der US-Marine. Insgesamt arbeiten an die 4 000 Militärangehörige und Angestellte auf der Insel des Chagos-Archipels, von dem aus auch die Kommunikation und der Luftraum überwacht werden.

In den 60er-Jahren stand das Archipel im Zentrum einer umfassenden Reorganisation der englischen und US-amerikanischen Militärstützpunkte im Indischen Ozean. Als das britische Königreich seine Kräfte aus der Region „östlich von Aden“ abzog und damit die Region den USA überließ, fiel die Wahl des Pentagons auf die mit 44 Quadratkilometern größte Insel des Archipels – Diego García. Doch der Status des Atolls und der anderen vierundsechzig Chagos-Inseln stellte Amerika vor ein Problem: Offiziell gehörten sie zu Mauritius, ebenfalls britisches Territorium, das sich allerdings schon auf dem Weg in die Unabhängigkeit befand.

Die USA wollten aber auf keinen Fall riskieren, dass ein unabhängiger Staat eines Tages ihre Militäranlagen wieder in Frage stellen könnte. Hinzu kam, dass die Inselgruppe bewohnt war. Bereits im 18. Jahrhundert hatten die ersten europäischen Siedler Menschen aus Afrika und Madagaskar dorthin gebracht, um die Kokoshaine zu bewirtschaften: eine kleine, friedliche Gemeinschaft, die im Schutz des von türkisfarbenem Wasser umspülten Atolls ihr abgeschiedenes Leben führte. Doch Admiral Elmo Zumwalt, der damalige Befehlshaber der US-Marine, hatte erklärt, er „wünsche keine Bewohner, die unter den Einfluss kommunistischer Propaganda geraten [. . .] und uns politische Schwierigkeiten bereiten könnten“.

Großbritannien beeilte sich, den Forderungen der USA nachzukommen. Zunächst wurde 1965 die Inselgruppe gegen den Widerstand der UNO aus der Zugehörigkeit zu Mauritius herausgelöst und zu einer neuen Kolonie gemacht: dem „British Indian Ocean Territory“ (BIOT). Dieses wurde dann im Jahr darauf für ein halbes Jahrhundert an die USA verpachtet. Zur gleichen Zeit wurden die zweitausend Bewohner des Archipels aus ihrer Heimat vertrieben, indem man ihnen Urlaubs- und Erholungsreisen in die fünf Schiffsreisetage entfernte mauritische Hauptstadt Port Louis anbot, von wo sie dann nicht wieder zurückkehren durften. Auf den Inseln selbst wurde den Uneinsichtigen unterdessen das Leben unerträglich gemacht.

1971 landeten die ersten US-Soldaten in Diego García und begannen, mit ihren Bulldozern das Terrain für den Bau ihrer Gebäude zu planieren. Zu diesem Zeitpunkt war die Bevölkerung von Chagos bereits so gut wie unsichtbar geworden: Ihre Existenz wurde international bestritten, auch für den amerikanischen Kongress und das britische Parlament existierten sie natürlich nicht. Standesamtliche Dokumente, die autochthone Bewohner über mehrere Generationen belegen konnten, wurden zerstört oder beschlagnahmt. Die Menschen wurden mit gezielten Gerüchten eingeschüchtert. Nach intensiver psychologischer Kriegsführung hat man die letzten Inselbewohner unter Einsatz militärischer Gewalt zu hunderten in die Laderäume eines Schiffes verfrachtet. Ihr Hab und Gut mussten sie zurücklassen. Nach mehrwöchiger Odyssee landeten sie schließlich auf den Seychellen und auf Mauritius.

Und dann brachen eines Tages die obdachlosen Insulaner, die zusammengepfercht in den Elendsvierteln von Port Louis oder Victoria leben, das Schweigen. Mehr als dreißig Jahre nach ihrer Vertreibung erschien 1997 eine viel beachtete Artikelserie in der Tageszeitung Le Mauritien. Die Serie stützte sich auf – nunmehr öffentliches – britisches Archivmaterial, das belegt, dass die auf Chagos geborenen Menschen britische Staatsbürger sind. Denn sie stammen aus einem Gebiet, das bis heute London untersteht. Die Chagos-Flüchtlinge gründeten einen Verein, die Group of Refugees from Chagos (GRC), und Großbritannien wurde vor dem Londoner High Court wegen der Deportation seiner eigenen Staatsbürger verklagt. Am 3. November 2000 wurde die britische Regierung dazu verurteilt, die Rückkehr der ursprünglichen Bewohner von Chagos auf ihr heimatliches Archipel zu veranlassen.

Am Tag nach dem Prozess, über den die britische Presse ausführlich berichtete, versprach die Blair-Regierung, einen symbolischen Besuch auf der Inselgruppe zu finanzieren und die Möglichkeiten einer dauerhaften Wiederansiedlung der Vertriebenen untersuchen zu lassen. Doch mit den Attentaten vom 11. September ist die Lage für die ehemaligen Bewohner des Archipels wieder komplizierter geworden. Dass Diego García für die Bombardierung Afghanistans genutzt wurde, lieferte den Briten eine willkommene Ausrede, um die für November geplante Reise abzusagen. Derweil ziehen sich auch die versprochenen Untersuchungen in die Länge. Anfang November traten die Ureinwohner von Chagos erneut in den Hungerstreik und demonstrierten dafür, dass Großbritannien etwa tausend ehemalige Bewohner auf dem Militärstützpunkt von Diego García beschäftigen und die Zahlung einer lebenslangen Entschädigungsrente für die zwangsexilierten Insulaner garantieren soll.

Da sie nicht direkt gegen die US-Regierung juristisch vorgehen kann, will die GRC, in der sich die Mehrzahl der achttausend auf Chagos Geborenen und ihre Nachkommen organisiert haben, jetzt die Unternehmen verklagen, die den Militärstützpunkt damals gebaut haben. Das betrifft unter anderem die Firma Brown & Root, einen internationalen Baugiganten, der auf öffentliche Großaufträge und Technologien für die Erdölgewinnung spezialisiert ist. Bis 2000 wurde der Konzern vom amtierenden US-Vizepräsidenten Richard Cheney geleitet. Auch frühere Inhaber hoher Ämter der ehemalige Verteidigungsminister Robert McNamara und Außenminister Henry Kissinger sollen aufgefordert werden, ihre Rolle bei den Deportationen von Chagos darzulegen. Vielleicht entwickeln ja die Geschworenen des Bundesgerichts von Washington – einem mehrheitlich schwarzen Bundesstaat – Verständnis für die Geschicke der Insulaner, die wie einst ihre eigenen Vorfahren über den Ozean verschifft wurden.

HAKIM MALAISÉ

dt. Miriam Lang

Le Monde diplomatique vom 14.12.2001, von HAKIM MALAISÉ