11.01.2002

Le Monde, Le Monde diplomatique und die Börse

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Le Monde, Le Monde diplomatique und die Börse

Im Oktober 2001 hat sich die Gesellschaft der Redakteure der französischen Tageszeitung Le Monde mehrheitlich für den Plan der Geschäftsführung ausgesprochen, mit einen Teil des Unternehmenskapitals der Le Monde SA an die Börse zu gehen. Wir dokumentieren im Folgenden die Stellungnahmen von Ignacio Ramonet, Herausgeber von Le Monde diplomatique, deren Aktien mehrheitlich von Le Monde SA gehalten werden, sowie von Jean-Marie Colombani, dem Herausgeber von Le Monde.

ANGESICHTS der Ankündigung von Le Monde, mit einem Teil des Kapitals von Le Monde SA an die Börse zu gehen, haben zahlreiche Leser unserer Zeitung ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Sie fragen sich, in welchem Ausmaß diese Entscheidung die Unabhängigkeit von Le Monde diplomatique bedrohen könnte.

Das Kapital von Le Monde diplomatique SA verteilt sich wie folgt: 24 Prozent halten die Angestellten der Zeitung, 25 Prozent die Leser (macht zusammen 49 Prozent, das heißt mehr, als es zur Sperrminorität bedarf), und 51 Prozent hält Le Monde SA, der Mehrheitsaktionär. Die Entscheidung des Letzteren, an die Börse zu gehen, kann uns also nicht gleichgültig sein.

Das Kapital von Le Monde selbst wird zu 52 Prozent von internen Aktionären gehalten (davon 30 Prozent von der Gesellschaft der Redakteure, den Hauptaktionären) und zu 48 Prozent von externen Aktionären. Die verschiedenen Personalgesellschaften von Le Monde wurden zu diesem Börsengang befragt und haben sich sämtlich dafür ausgesprochen. Auch die Gesellschaft der Redakteure hat mit knapper Mehrheit am 22. Oktober 2001 in diesem Sinne votiert. Lediglich das Unternehmenskomitee, das nur beratende Stimme hat, hat ein negatives Votum abgegeben. Im Übrigen haben die Gewerkschaftsvertretungen von CFDT und SNJ im Hause sich gleichfalls negativ geäußert.

Laut Pressegesetz von 1986 ist der direkte Börsengang einer Pressegesellschaft verboten, weshalb anstelle der bisherigen Verlagsgesellschaft Le Monde SA drei neue Gesellschaften geschaffen wurden – Le Monde und assoziierte Partner, Le Monde SA und Verlagsgesellschaft Le Monde.

Le Monde hat nunmehr genau zwei Jahre Zeit – bis zum 5. November 2003 – um 25 Prozent der neuen Gesellschaft Le Monde SA an die Börse zu bringen, in der Hoffnung, 100 Millionen Euro zu erhalten.

Unabhängig von den rein sachlichen Argumenten, die für den Börsengang ins Feld geführt wurden, wird diese Entscheidung fraglos die bisherige Verlagsphilosophie verändern. Unser Gründer, Hubert Beuve-Méry, der auch Le Monde ins Leben gerufen hat, kommentierte die gefährlichen Beziehungen zwischen Geld und Presse gern folgendermaßen: Es darf nicht sein, dass die Mittel unser Denken beeinträchtigen.

Von nun an hat die Kapitallogik Einzug gehalten in das Zentrum unserer Unternehmensführung – und sie wird Einfluss haben. Ob man will oder nicht, die finanziellen Erfolge, die zu erzielen ein Börsengang aufnötigt, sind oft kaum mit der kritischen Informationsaufgabe einer seriösen Presse vereinbar.

Zu Recht hat die Gewerkschaft der Journalisten das Beispiel der Financial Times angeführt, wo 150 Redakteure entlassen wurden, einfach deshalb, weil die Ergebnisse des Jahres unter den – außergewöhnlich – hohen Ergebnissen des Vorjahres lagen.

Keiner zweifelt daran, dass die Verantwortlichen von Le Monde die Unabhängigkeit des Unternehmens erhalten wollen, und um dies zu gewährleisten, wurden zahlreiche rechtliche Hürden eingebaut. Doch was wird aus dieser Unabhängigkeit, wenn es an der Börse zu Turbulenzen, zu Aktieneinbrüchen und konzertierten Angriffen großer Marktführer kommt?

Da die Unabhängigkeit von Le Monde die vorderste Verteidigungslinie der Unabhängigkeit von Le Monde diplomatique darstellt, wäre ihre In-Frage-Stellung für uns eine große Gefahr und würde uns feindlichen Ambitionen aussetzen. Unsere eigenen Statuten sind die zweite Verteidigungslinie: Sie schützen unsere Unabhängigkeit, insofern sie garantieren, dass der Direktor von Le Monde diplomatique nur auf Vorschlag der Angestellten unserer Zeitung gewählt werden kann. Wir wissen außerdem, dass wir auf unsere Leser ebenso wie auf die Vereinigung „Les Amis du Monde diplomatique“ zählen können.

IGNACIO RAMONET

IN der Dezembernummer 2001 hat der Direktor von Le Monde diplomatique und Vorsitzende des Direktoriums von Le Monde diplomatique SA, Ignacio Ramonet, die „Sorge“ seiner Leser über den bevorstehenden Börsengang eines Teils des Kapitals von Le Monde SA zum Ausdruck gebracht. Die Argumente, die er anführt, bedürfen meines Erachtens folgender Präzisierungen.

Warum hat Le Monde entschieden, einen Teil seines Kapitals auf dem öffentlichen Markt zu platzieren? „Weil die Presse ein Unternehmen ist (allerdings ein besonderes Unternehmen, denn das wesentliche Produkt, das hier hergestellt wird, ist immaterieller Natur, doch trotzdem ein Unternehmen), kann sie sich den industriellen Entwicklungsgesetzen nicht entziehen.“ Dieser Satz des Le-Monde-Gründers Hubert Beuve-Méry, der oft frank und frei die „Wohltaten der Werbung“ pries, stammt aus dem Jahr 1956 und verweist auf eine elementare Wirklichkeit: Unabhängigkeit kann nur durch ausgeglichene Bilanzen, also ein Minimum an Rentabilität, garantiert werden.

Seit seiner Gründung im Dezember 1944 hat das Unternehmen Le Monde einige stürmische Phasen durchlebt, die seine Existenz mehr als einmal gefährdet haben. Es ist an dieser Stelle nicht angebracht, die Geschichte dieser Schwierigkeiten nachzuzeichnen, aber es sollte daran erinnert werden, dass sie überwunden wurden dank der Lesertreue und der gemeinsamen Anstrengungen der Lohnempfänger – mit dem einzigen Ziel, unsere Unabhängigkeit zu erhalten. Als mir im März 1994 die Leitung von Le Monde überantwortet wurde, stand das Unternehmen zum Verkauf. Seither wurde die Zeitung neu konzipiert, das Unternehmen umstrukturiert und die Unabhängigkeit wiedererlangt.

Gestützt durch eine zusammengeschweißte Aktionärsgemeinschaft, bei der die internen Aktionäre52,61 Prozent des Kapitals innehaben, hat Le Monde sich entschieden, eine Größenordnung anzustreben, die ausreicht, sich auch gegen unseligere Konjunkturlagen oder brutalere Rezessionen abzusichern, um sich dort, wo ihr ureigentliches Metier liegt, weiterzuentwickeln: in der Presselandschaft.

Die Finanzierung dieses Wachstums muss auf gesunder, transparenter Basis erfolgen. Deshalb haben wir beschlossen, nicht auf eine Verschuldungsstrategie zu setzen, was sich in der Vergangenheit als gefährlicher Weg erwiesen hat, und nicht unsere Partneraktionäre anzusprechen. Dies hätte nämlich bedeutet, das derzeitige Machtverhältnis, welchesdas Personal von Le Monde begünstigt, in Frage zu stellen.

Wir haben uns daher entschieden, zu gegebener Zeit an die Börse zu gehen. Das gesamte Personal und alle Partner haben lange über das Für und Wider nachgedacht, haben diskutiert und juristische wie legale Mittel ersonnen, um die Unabhängigkeit der Zeitung in noch größerem Maße zu sichern. Aufgrund dieses Vorgehens war es möglich, die klare und eindeutige Zustimmung unserer verschiedenen Instanzen zu gewinnen.

Unter solchen Bedingungen davon zu reden, nun habe „die Kapitallogik in unsere Unternehmensführung Einzug gehalten“, erstaunt, wenn man in Betracht zieht, welche Einmütigkeit zwischen all jenen herrscht, die seit 1995 zu der Gemeinschaft von Le Monde gestoßen sind. Einmütigkeit darüber, welchen Raum man dem Markt gewähren will, welches unsere Ziele sind –die Entwicklung unserer Zeitungen unter der Bedingung absoluter Freiheit – und was unsere Wirklichkeit ist, wie stark und komplex unsere Strukturen auch sein mögen (und sie sind es): Wir müssen gute Bilanzen aufweisen können, wenn wir unabhängig bleiben wollen.

Was nun Le Monde diplomatique betrifft, so weiß die Direktion sehr wohl, wie sehr ich sie stets unterstützt habe. Und sie weiß vor allem, dass ich in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Aufsichtsrats über ihre Unabhängigkeit wachen muss. Deshalb habe ich ein Limit gesetzt: Le Monde bleibt Aktionär mit 51 Prozent. Ich war immer der Meinung, dass die Sicherheiten der Angestellten von Le Monde für die Unabhängigkeit von Le Monde diplomatique wertvoller sind als die Sicherheiten dieser oder jener Privatperson.

Schließlich sollte Le Monde diplomatique gerade heute, da einige ihrer Mitglieder sich an kämpferischen Aktivitäten beteiligen, ein Beuve-Méry’sches Dogma im Kopf behalten: Der Journalist muss sich jedes kämpferischen Engagements enthalten. Das ist die oberste Garantie der Unabhängigkeit, die wir unseren Lesern schulden.

JEAN-MARIE COLOMBANI

Le Monde diplomatique vom 11.01.2002, von IGNACIO RAMONET und JEAN-MARIE COLOMBANI