15.02.2002

Islamistische Kräfte

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Islamistische Kräfte

IM Lauf der letzten Jahre haben die militanten Islamisten unter den Uiguren enge Kontakte zu ihren Gesinnungsgenossen in der ehemaligen UdSSR geknüpft und dabei gleichzeitig ihre Verbindungen zu Pakistan und Saudi-Arabien ausgebaut. Viele von ihnen orientieren sich am Vorbild der afghanischen Rebellen, an deren Seite manche seit 1986 gekämpft haben. Zahlreiche chinesische Uiguren wurden in den Madrassen (Koranschulen) ausgebildet. Zwar behauptet Peking, zwei ihrer Organisationen (die Islamische Bewegung Ostturkestans und die Uigurische Partei Zentralasiens) seien in Afghanistan aktiv gewesen. Doch das waren nur individuelle Aktivitäten. Und kein Mensch weiß etwas von organisierten Strukturen, die unter den Uiguren zur Unterstützung der Taliban entstanden wären. Doch diese, so viel ist richtig, haben in derselben Zeit zwei ihrer „Spezialitäten“ nach China und vor allem nach Xinjiang exportiert: den religiösen Fundamentalismus und – über den Korridor von Wakhan im äußersten Osten von Afghanistan – auch ihr billiges Heroin.

Die muslimische Provinz im äußersten Westen Chinas ist somit von den Umwälzungen in Zentralasien unmittelbar betroffen. Peking hat seit 1996 seine Bemühungen um die Anrainerländer der Provinz verstärkt. Schließlich galt es, zu verhindern, dass die Auflösung der Sowjetunion und die Entstehung unabhängiger Republiken in Zentralasien sich in einer Art Dominoeffekt bis nach Xinjiang fortsetzt. So entstand die Kooperationsgruppe von Schanghai, bestehend aus China, Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan. Seit im Juni 2001 Usbekistan hinzukam, hat man sich in „Organisation für die Zusammenarbeit von Schanghai (OCS)“ umbenannt. Das Ziel der OCS ist es, neben der Förderung wirtschaftlicher Beziehungen die islamistische Bedrohung in Schach zu halten.

Knapp zwei Monate vor dem 11. September 2001 haben die sechs Länder ein Dokument über den Kampf gegen den Terrorismus unterzeichnet. Damit wollte man verhindern, dass uigurische Unabhängigkeitskämpfer in einem dieser Länder Zuflucht finden. Bis dahin hatte sich Peking durch das Auftauchen der USA in dieser Region in seinen Plänen erheblich gestört gefühlt; ja man hat Washington sogar beschuldigt, Öl ins Feuer zu gießen. Schließlich waren nach einem Bericht von Le Monde vom 28. Juli 2001 uigurische Kämpfer, die man im Frühjahr 2000 in Tschetschenien gefasst hatte, im Nato-Mitgliedsland Türkei ausgebildet worden.

Nach den Attentaten vom 11. September versuchte China – nach einem kurzen Moment des Zögerns –, von der neuen Situation zu profitieren. Die uigurischen Unabhängigkeitskämpfer wurden als „separatistische Terroristen“ bezeichnet, und die internationale Antiterrorkoalition wurde aufgefordert, sie auf ihre Liste von „Terroristen“ zu setzen. Sonst würde man mit „zweierlei Maß messen“, ließ das chinesische Außenministerium erklären. In Russland setzte Präsident Putin auf dieselbe Karte, indem er die Tschetschenen als „islamische Terroristen“ bezeichnete.

I. M. S.

Le Monde diplomatique vom 15.02.2002, von I. M. S.